// aufgelesen vol. 49 – „meine reise beginnt mit einem sturz“

mit Büchern von J.J. Voskuil, Marie Pohl, J.D. Salinger, Frank Bill und Johnny Ramone. // Ein echtes „Mammut“-Werk erscheint in diesen Tagen unter dem Namen „Das Büro“. Der niederländische Schriftsteller J.J. Voskuil, welcher 2008 (am „Tag der Arbeit“) aus dem Leben geschieden ist, macht sich daran, die Mechanismen unseres Arbeitsalltags zu hinterfragen. Im Rahmen des […]

mit Büchern von J.J. Voskuil, Marie Pohl, J.D. Salinger, Frank Bill und Johnny Ramone.

voskuil// Ein echtes „Mammut“-Werk erscheint in diesen Tagen unter dem Namen „Das Büro“. Der niederländische Schriftsteller J.J. Voskuil, welcher 2008 (am „Tag der Arbeit“) aus dem Leben geschieden ist, macht sich daran, die Mechanismen unseres Arbeitsalltags zu hinterfragen. Im Rahmen des Buches folgen wir Maarten Koning, welcher gerade eine Stelle als wissenschaftlicher Beamter antritt. Er fristet ein weitestgehend tristes Dasein inmitten zahlloser Besprechungen, unnützer Sitzungen und ausufernder Kongresse. Schon nach kurzer Zeit scheint der staatliche Angestellte in einem Hamsterrad gefangen, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Das „Grau“ unserer Zeit wird für ihn zum Dauerzustand. Seine gesamte Existenz scheint von den Rädern der Bürokratie zermahlen zu werden und es schleicht sich dieses Gefühl von Hoffnungslosigkeit ein, das nur noch von einigen absurden Momenten gekontert wird. Nachdem das Buch in den Niederlanden erschienen ist, kam es zu einer regelrechten „Büromanie“ unter den Lesern. Der Autor versteht es sehr gut, die absurden Momente des Arbeitsalltags auf Papier zu transferieren, ohne dass es irgendwie bemüht anmuten würde. So wird man Zeuge von grotesken Szenen und verrückten Dialogen, die ein gekonntes Abbild des täglichen Lebens liefern. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie sinnlos das Handeln der einzelnen Akteure ist. Es ist diese Sinnlosigkeit, die sich durch das gesamte Buch zieht und einen als Leser zunehmend fasziniert, obwohl sie einen eigentlich verrückt machen müsste. Denn wozu der ganze Scheiß, wenn er am Ende sowieso nichts bleibt, was von Bedeutung ist. Eine gute Frage eigentlich, der man sich im Rahmen eines Selbstfindungsseminars durchaus mal widmen könnte. Was „Direktor Beerta“ (so der Titel des ersten Bandes) aber wirklich interessant macht, ist der Humor. Das Buch strapaziert (ähnlich wie die TV-Reihe „The Office“) die Lachmuskeln des Lesers und dürfte somit die ideale Sommerlektüre für all jene sein, die sich in den Sommerferien schon wieder nach den lieben, alten Kollegen zurück sehnen.

mariepohl// Marie Pohl ist eine Schriftstellerin, die gerne ihren Gefühlen folgt. Die führten sie vor geraumer Zeit nach Kuba, wo sie aus Zufall Zeuge eines Rituals einer so genannten Santería-Priesterin wird. Fortan stellt sich die Journalistin die Frage, ob sie wirklich einem Geist ins Gesicht blickte oder nur einem Hirngespinst aufgesessen ist. Der Gedanke nagt an ihr – so sehr, dass sie sich schließlich dazu entschließt, eine „Geisterreise“ zu unternehmen. So reist die Züricher Autorin fortan um die halbe Welt, um sich mit der Welt des Unerklärlichen auseinander zu setzen. Ihr Weg führt sie zu einem Fetischpriester nach Ghana und einem Hexer in Bali. Auf weiteren Stationen ihrer Reise trifft sie Geisterjäger in New York und einen Zauberer aus Deutschland. Dabei ist sie immer auf der Suche nach dem Unbekannten in unserer zunehmend technisierten Gesellschaft. Ob sie am Ende tatsächlich einem Geist ins Gesicht blickt und was sie sonst noch so alles auf ihrer bewegenden Reise erlebt? Marie Pohl hat all das in einem spannenden Buch festgehalten und erzählt Geschichten, so unglaublich, dass man sich fühlt wie damals am Lagerfeuer, wo immer wieder gruselige Geschichte zum Besten gegeben wurden, die einen die kommenden Nächte lang wach gehalten haben. Wer auf Übernatürliches steht, sollte unbedingt mal reinlesen. Es lohnt sich sehr ein Ticket für diese „Geisterreise“ zu erstehen.

salinger1// Eine weitere Neu-Übersetzung einer renommierten Kurzgeschichten-Sammlung aus dem Hause J.D. Salinger kommt in diesen Tagen in den Handel. „Hebt an den Dachbalken, Zimmerleute und Seymour eine Einführung“ versammelt nicht nur die beiden oben genannten Geschichten des Schriftstellers, sondern zählt auch zu den bestverkauften Werken des Jahres 1963. Die beiden Kurzgeschichten erzählen aus dem Leben der sogenannten „Glass-Familie“. Berichtet wird aus der Sicht von Buddy, der als eine Art Alter Ego von Salinger fungiert. Die Kritik tadelte die beiden Werke im Rahmen der Erstveröffentlichung, weil der Autor nach Meinung vieler Pressevertreter allzu ausschweifend an die ganze Sache heranging. Salinger tat in diesem Zusammenhang alles dafür, um deren Zweifel an seinen künstlerischen Qualitäten noch weiter zu befeuern, indem er sich zunehmend auf Nebensächlichkeiten beschränkte und die Geschichten auf diese Weise nicht so richtig in Tritt kommen lässt. Diesbezüglich kann man natürlich anmerken, dass das Leben selbst so ist: unberechenbar, keinen konkreten Handlungssträngen folgend, sondern lediglich eine Ansammlung von Momenten, die wir stilgerecht in eine Erzählung zu transformieren versuchen. Salinger verweigert sich dem in diesen zwei Episoden weitestgehend und genau das macht sie so interessant, weil hier mit gängigen Erzähl-Mechanismen gebrochen wird. „Hebt an den Dachbalken, Zimmerleute und Seymour eine Einführung“ enthält zwei mutige Werke eines außerordentlichen Schriftstellers.

frank-bill// Der Autor Frank Bill aus Southern Indiana legt in diesen Tagen seinen Debütroman vor. „Cold Hard Love“ spielt nicht nur in seiner Heimat, es zeichnet auch ein ziemlich düsteres Bild der Situation vor Ort. Das große Versprechen von der grenzenlosen Freiheit wird hier ad absurdum geführt. In der Welt von Frank Bill dreht sich alles um Prostitution und Mordversuche. Selbige wiederum sollen vor allem dazu dienen, diesem Sumpf des Verbrechens zu entfliehen, sorgen aber letztlich nur dafür, dass sich die Protagonisten fortwährend immer tiefer in die Scheiße reiten. In „Cold Hard Love“ wird eine Welt beschrieben, die aus den Fugen gerät (oder schon lange geraten ist). Man kann sich genauso wenig auf die schützende Hand der Familie verlassen, noch hilft es die gesellschaftlichen Benimmregeln einzuhalten, um sich auf der Karriereleiter nach oben zu arbeiten. In Frank Bills Kurzgeschichten gibt es nichts, was einem Halt bieten würde. Und doch gelingt es dem Autor zwischen all den Geschichten über Waffenschmuggler und Crystal Meth immer ein Lächeln auf den Lippen zu behalten. Da kann man eigentlich nur hoffen, dass sich irgendwann jemand wie Quentin Tarantino oder Robert Rodriguez dieser Erzählungen annimmt, um sie treffsicher auf die Leinwand projiziert.

johnny-ramone// Zum Abschluss möchten wir euch heute noch auf eine gelungene Biografie über Johnny Ramone hinweisen, die in diesen Tagen beim „Tropen Sachbuch“-Verlag erschienen ist. „Commando“ setzt sich in diesem Zusammenhang nicht nur mit dem kontroversesten Musiker aus dem Hause Ramones auseinander, es macht auch verdammt viel Spaß, sich durch die Seiten zu wühlen. Das liegt vor allem daran, dass „Die Autobiographie von Johnny Ramone“ nicht mit Illustrationen und Fotos geizt, sondern auch daran, dass sich der Musiker höchstpersönlich daran macht, das eigene Schaffen kritisch zu hinterfragen. Darüber hinaus erfährt man Wissenswertes über schlagkräftige Auseinandersetzungen mit Malcolm McLaren oder Band-Mate Joey Ramone, der es mal wieder mit der Pünktlichkeit nicht allzu genau nahm. Die Geschichte von Johnny ist aber auch deshalb so interessant, weil er auf den ersten Blick so überhaupt nicht dem Bild eines klassischen Punkrockers entspricht. Jedenfalls muss man wohl mit der Lupe suchen, um weitere Punkrock-Legenden zu finden, die sich als Fürsprecher von Ronald Reagan zu erkennen geben. Herausgegeben wurde der schicke Band übrigens von John Cafiaro in Zusammenarbeit mit Steve Miller und niemand Geringerem als Henry Rollins. Na, wenn das mal kein zusätzlicher Kaufanreiz ist. Also schmökert mal rein. Bis zum nächsten Mal.