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Miloš Formans Verfilmung des Kultmusicals wieder im Kino Ich war elf, als mich mein Vater mit in das Musical Hair nahm. Zwei Stunden lang saß ich gebannt im Dunkeln, sah Menschen mit langen Haaren dabei zu, wie sie tanzten, sangen und über die Bühne und durchs Publikum wirbelten. Das alles war auf Englisch, deswegen verstand […]

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Miloš Formans Verfilmung des Kultmusicals wieder im Kino

Ich war elf, als mich mein Vater mit in das Musical Hair nahm. Zwei Stunden lang saß ich gebannt im Dunkeln, sah Menschen mit langen Haaren dabei zu, wie sie tanzten, sangen und über die Bühne und durchs Publikum wirbelten. Das alles war auf Englisch, deswegen verstand ich nur die Hälfte, aber es hinterließ irgendwie einen tiefen Eindruck bei mir. Ich fasste den festen Entschluss (sehr zur Freude meines nostalgischen Vaters), mir die Haare auch lang wachsen zu lassen, gab aber dann irgendwann auf – es sah irgendwie doch nichts aus.
Jetzt ist 2008, meine Haare sind 0,8 Milimeter lang und jeder, aber auch jeder, der meint, etwas zu sagen zu haben, redet über das vierzigjährige Jubiläum der „Achtundsechziger“ – was sie bewegt haben und dass damals noch alles besser war. Und was wir ihnen zu verdanken haben. Letzteres wird von Laberbacken rechts der Mitte dann auch gerne mal ein wenig umgedreht und verleitet Leute wie „Bild“-Chef Kai Diekmann dazu, ganze Bücher zu schreiben, in denen er den 68-ern die Schuld für so ziemlich alles gibt, was heutzutage schiefläuft in Deutschland und in der Welt.

Eins jedoch würde wohl niemand verneinen: Dass uns die Jahre 1967 bis 1969 (vom Summer of Love bis Altamont) einen ganzen Haufen großartige Popkultur hinterlassen haben: verstrahlte Musik, revolutionäre Filme, Drogentrips und die in ihnen entstandenen Bücher wie Philip K. Dicks „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ aus dem später Blade Runner wurde. Und das „American Tribal Love Rock Musical“, wie Hairs offizieller Untertitel lautet, gehört mit seinen trippigen Songs, seinen von ganz tief unten kommenden Gefühlsausbrüchen und seiner Anti-Vietnam-Message auf jeden Fall dazu.
Miloš Formans Film von 1979, den der Verleih Neue Visionen jetzt noch einmal in die deutschen Kinos bringt, wirkt im Verhältnis dazu fast nur noch wie ein hohles Echo. Eine Reminiszenz an die Zeiten, in denen der Punk noch nicht die Welt regierte und das New Hollywood noch nicht begonnen hatte, an seinem eigenen Rausch zu ersticken. Eine Reminiszenz, die nichtsdestotrotz den Gesetzen des Kinos gehorchen musste, und die unbändige Energie des Musicals, das eher eine wilde Hippie-Revue mit kritischen Untertönen ist, in einen Plot bog, in dem die Hauptfigur Claude Bukowski ursprünglich gar kein Hippie ist und der am Ende einen tragischen Twist hat, bei dem nicht Claude resigniert nach Vietnam zieht und stirbt, sondern sein Kumpel Berger sich stattdessen die Haare abschneidet und sich für seinen besten Freund opfert. Den besseren Film über einen Hippie und die erstaunliche Kraft der Musik drehte Forman fünf Jahre später mit Amadeus. Hair schockte dagegen 1979 kein Mitglied des Establishments mehr und wirkt heute eher wie ein Historiendrama, ein Blick zurück mit zahmer Nostalgie, dem die wilde Grenzenlosigkeit des Originals auf fast allen Ebenen fehlt.
Nichts von ihrer Anmut verloren haben allein die Songs. Von der Generationsproklamation „Aquarius“, über das LSD-befeuerte „Walking in Space/Three-Five-Zero-Zero“ und das zuckersüße „Good Morning Starshine“ bis zum verzweifelt klagenden „Let the sunshine in“ bringen sie einen immer noch zum Lachen, Weinen und verträumten Mitsingen – auch im Film. Und in der Titelnummer „Hair“ steckt auch nach wie vor eine der schönsten Verballhornungen der amerikanischen Nationalhymne: „Oh, say can you see – my eyes? If you can, then my hair’s too short.“
Wer Hair noch nicht kennt, dem sei auch der Film wärmstens ans Herz gelegt, denn immerhin enthält er genug vom Original, um seine wahnwitzige Power erahnen zu lassen. Wer echte Hippies in Action sehen will, sollte lieber in die Videothek spazieren und sich den Director’s Cut von Woodstock ausleihen. Wenn dort Keith Moon sein Schlagzeug zerdeppert, Joe Cocker „With a little help from my friends“ intoniert und Jimi Hendrix den „Star-Spangled-Banner“ durch den musikalischen Schlamm zieht, stehen die „Achtundsechziger“ wirklich für einen Moment wieder auf und man bekommt für dreieinhalb Stunden diesen unbestimmten Wunsch zurück, sich die Haare lang wachsen zu lassen.

// 6 von 10 Zuckerli
// text: Alex Gajic