// strichcode vol. 45 – „komm schon, knopfauge…“

mit den Bänden Flughunde, We Are Gypsies Now, The Walking Dead, Ich hab die Unschuld kotzen sehen, Holmes, The Goon, Eine Nacht in Rom, Das große Durcheinander und Die Zeitsparer. // Das Zeug zum Klassiker hat nicht nur der Roman „Flughunde“ des ehemaligen „Spex“-Redakteurs Marcel Beyer, sondern auch die nun erscheinende Graphic Novel gleichen Namens, […]

mit den Bänden Flughunde, We Are Gypsies Now, The Walking Dead, Ich hab die Unschuld kotzen sehen, Holmes, The Goon, Eine Nacht in Rom, Das große Durcheinander und Die Zeitsparer.

st_TB_VS_13_1_s118-151.indd// Das Zeug zum Klassiker hat nicht nur der Roman „Flughunde“ des ehemaligen „Spex“-Redakteurs Marcel Beyer, sondern auch die nun erscheinende Graphic Novel gleichen Namens, welche auf den Geschehnissen des verstörenden Originals basiert. Darin dreht sich alles um einen Akustiker im Dienst des dritten Reichs und Helga, die Tochter von Goebbels. Aus beiden Perspektiven werden die damaligen Geschehnisse reflektiert und es läuft einem mit zunehmender Seitenzahl immer wieder ein kalter Schauer über den Rücken. Die analytische Herangehensweise des Wissenschaftlers Karnau wirkt besonders verstörend, wenn zwischenzeitlich sogar Versuche an Menschen durchgeführt werden.

Dem gegenüber steht die Sichtweise der jungen Helga, die im Laufe ihres Heranwachsens ein unheimlicher Verdacht beschleicht, der sich in beängstigender Weise auf den Leser überträgt. Die Comic-Künstlerin Ulli Lust, die bereits im Jahre 2011 mit dem „Prix Révélation“ (dem „Oscar“ für Comics) ausgezeichnet wurde, gelingt es die Geschichte von Marcel Beyer mit beunruhigenden und dunklen Motiven grandios in Szene zu setzen, so dass man das Werk schon nach wenigen Seiten nicht mehr aus der Hand geben möchte. Besser kann man einen Roman eigentlich kaum adaptieren. Also schnuppert mal rein.

gypsies// Eine Art grafisches Tagebuch erscheint in der Zwischenzeit unter dem Titel „We Are Gypsies Now – Der Weg ins Ungewisse“ im „Metrolit“-Verlag. Die Autorin Danielle de Picciotto bezeichnet ihr Werk als „Graphic Diary“ und verzückt uns mit einem schicken Weltenbummler-Abenteuer, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Zusammen mit ihrem Mann (Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten) macht sich die Musikerin daran, die große weite Welt zu erkunden. Diesbezüglich löst sie gleich zu Beginn erst einmal ihre Wohnung auf und begibt sich auf große Suche nach dem Sinn. Vorher allerdings gilt es erst einmal einen passenden Nachfolger für die heimischen vier Wände zu finden und die Dinge zu behalten, die ihr wirklich am Herzen liegen. Der Rest wird dann kurzerhand verscherbelt oder in die Tonne gekloppt und dann 18 Monate lang rund um den Erdball gereist. Dabei möchten Alexander und Danielle zusammen herausfinden, was ihnen wirklich wichtig ist und einen Ort finden, an dem sie in Zukunft verweilen können. Und so überkommt einen beim Lesen des Werkes auch immer wieder ein Gefühl von Fernweh, das wohl jeder Mensch in sich trägt, das aber manchmal auch einfach nur darauf beruht, dass so manche Alterative aus der Ferne betrachtet etwas attraktiver erscheint. Ob die beiden am Ende ihr Glück finden? Am besten du findest es selbst heraus. „We Are Gypsies Now“ ist ein herzerwärmendes Werk voller zauberhafter Geschichten und Zeichnungen, die auf formvollendete Weise miteinander verwoben sind.

walkinddead17// Die epische Comic-Saga „The Walking Dead“ versammelt in der Zwischenzeit mal wieder die neuesten Heftchen des Originals hinter einem hochwertigen Hardcover-Einband. Wie man das vom „Cross Cult“-Verlag gewohnt ist, kommt die Geschichte im handlichen A5-Format auf den Markt und strotzt auch in der 17. Runde nur so vor Intensität. „Fürchte dich nicht“ erzählt in diesem Zusammenhang von einer mysteriösen Person (oder einem Gott) namens Negan, mit welchem sich die Gruppe um Protagonist Rick im Rahmen zahlreicher Auseinandersetzungen konfrontiert sieht. Während die Mitglieder zusammen mit einem mysteriösen Fremden namens „Jesus“ noch herauszufinden versuchen, um wen (oder was) es sich bei Negan eigentlich handelt, stellt sich plötzlich schreckliche Gewissheit ein. Was ist, wenn der mysteriöse Unbekannte nur ein Phantom ist und in seinem Namen die schrecklichsten Grausamkeiten verübt werden? Wie begegnet man einem solchen Gegner, der am Ende für niemanden greifbar ist? Die daraus resultierenden Konflikte bringen Rick und seine Gruppe an den Rand ihrer Kräfte. Darüber hinaus gelingt es Schöpfer Robert Kirkman und den beiden Mitstreitern Charlie Adlard und Cliff Rathburn mit einem interessanten Kniff, den Zusammenbruch einer Zivilisation unter veränderten Bedingungen zu thematisieren. Wenn das eigentliche Grauen in Form der Zombies in Schach gehalten wird, was macht das aus den Menschen, die den Spuk überlebt haben? Finden sie am wieder Vertrauen zueinander oder vernichten sie sich und ihre Mitmenschen selbst?

unschuld// „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ ist ein ziemlich fieses Buch, das scheinbar zusammenhangslose Begebenheiten aneinander reiht. Dann aber verdichtet sich alles zu einem komplexen Ganzen, das einem den Atem raubt. Kein Wunder, dass der Roman nun auch in einer grafischen Variante erscheint. Zeichner Philipp S. Neundorf hat sich daran gemacht, die blutige Geschichte von Buchautor Dirk Bernemann in einen schwarz-weiße Bilderrausch zu verwandeln, ohne dass die Qualität der Original-Story abhandenkommt. Wir wollen hier noch gar nicht zu viel verraten, weil das der Geschichte nur ihre Intensität rauben würde – nur so viel sei gesagt: Fans von Quentin Tarantino sind bei „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ auf jeden Fall an der richtigen Adresse. Darüber hinaus dürften auch Freunde des Comic-Klassikers „Sin City“ auf ihre Kosten kommen, weil einen die Motive von Philipp S. Neundorf immer wieder an das breite Schaffen von Frank Miller erinnern. Wer auf morbide Unterhaltung mit einer gehörigen Portion Gewalt steht, sollte unbedingt mal in rein schauen. Es lohnt sich.

CV_HOLMES.indd// Während die Geschichte von Sherlock Holmes derzeit im TV eine Frischzellenkur erfährt (die beiden Reihen „Sherlock“ und „Elementary“ sind beide äußerst sehenswert), versuchen sich die Macher der Graphic Novel „Holmes“ an einer klassischen Adaption des Themas. Im ersten Band von Cécil & Brunschwig, welche derzeit im „Jacoby & Stuart“-Verlag erscheint, dreht sich alles um den großen Abgang des Meisterdetektivs. Der Band wirft in diesem Zusammenhang zahlreiche Fragen auf, die sich mit dem mysteriösen Tod von Sherlock Holmes auseinander setzten. Am 4. Mai 1981 verschwindet der Protagonist nach einem Sturz hinab der Reichbachfälle für immer und ewig. Zusammen mit sich selbst reißt er außerdem seinen Erzfeind Professor Moriarty mit in den Tod. Im Rahmen des ersten Bandes „Abschied von der Baker Street“ versucht nun Dr. Watson höchstpersönlich die damaligen Ereignisse rückzuvollziehen. Wobei man sich als Leser immer wieder mit der drängenden Frage konfrontiert sieht: Ist Sherlock Holmes wirklich tot oder spielt er nur ein perfides Spiel? Darüber hinaus versucht der Band Licht ins Dunkel zu bringen, was den mysteriösen Professor Moriarty betrifft. Der wurde von Holmes nämlich bis zuletzt nicht ein einziges Mal gegenüber Watson erwähnt. Ob da nicht was faul ist? „Holmes“ besticht nicht nur durch eine spannende Geschichte, sondern auch durch klassische Motive, welche die Atmosphäre um die Jahrhundertwende sehr gekonnt ins Hier und Jetzt transferieren.

goon8// Nach dem großartigen siebten Band, welcher endlich die mysteriösen Geschehnisse von „Chinatown“ thematisierte und dadurch die Reihe „The Goon“ auf ein völlig neues Level hievte, erscheint nun der sehnlichst erwartete Nachfolger unter dem Titel „Der Ort, an dem das Unheil gedeiht“. Die Regie führt auch diesmal der „Goon“-Schöpfer Eric Powell und der perfektioniert auch in der achten Ausgabe seinen Stil. War der Vorgänger noch von einer gewissen Ernsthaftigkeit geprägt, geht’s diesmal humorvoller zu. Da werden Theater in die Luft gejagt oder Särge aus dem Erdreich geholt. Für eine ordentliche Portion an trashigen Momenten ist ebenfalls gesorgt, wenn sich der Goon mit seinem Kumpel Franky über die miesen Gestalten hermacht, die sich den Beidem im Laufe der Geschichte in den Weg stellen. Dabei bekommt es das schräge Duo am Ende wieder mit einem längst Totgeglaubten zu tun, der allen Anwesenden das Blut in den Adern gefrieren lässt. Mit Ausnahme des Goons natürlich, der auch diesmal wieder ordentlich zulangen darf. Im Gegensatz zu früher bekommt man diesmal außerdem eine zusammenhängende Geschichte präsentiert, was -wie schon beim Vorgänger- dazu beiträgt, dass die Figuren eine gehörige Portion an Tiefgang ausstrahlen. Soll heißen: Der „Goon“ ist auch diesmal in Bestform. Es lohnt sich also mal reinzuschauen.

jim// Im ersten Band des hochwertigen Comic-Albums „Eine Nacht in Rom“ dreht sich derweil alles um die Suche nach der großen Liebe. Autor Jim und Kolorist Delphine verstehen es dabei sehr gekonnt, die Gefühle der Beteiligten auf ihre Zuschauer zu überführen. Selbige werden im Rahmen des Werkes nämlich selbst mit einem astreinen Dilemma konfrontiert. Der Protagonist Raphael steht kurz vor seinem 40ten Geburtstag. Zusammen mit seiner Frau Sophie führt er ein glückliches Leben, dann aber bringen eine alte VHS-Kassette und ein Anruf sein Leben ins Wanken. Am anderen Ende der Leitung ist niemand Geringeres als Marie, die Raphael nun schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen hat. Sie war einst die große Liebe seines Lebens und auch jetzt funkt es noch ganz gewaltig zwischen den Beiden. So gilt es nun auch ein altes Versprechen in die Tat umzusetzen. Zu Ehren ihres 40ten Geburtstags wollten die Beiden nämlich die Nacht zusammen verbringen. Und so steht der Protagonist vor der Entscheidung, ob er wegen seiner Jugendliebe sein ganzes Leben aufs Spiel setzt. „Eine Nacht In Rom“ ist in diesem Zusammenhang nicht nur herrlich romantisch, sondern auch ein gefundenes Fressen für all jene, die sich an Filmen wie „Before Sunset“ oder „Before Sunrise“ ergötzten.

Leavitt_GroßeDurcheinander_K3_120917.indd// Eine Graphic Novel zum Thema Alzheimer ist ein sehr gewagtes Unterfangen. Sarah Leavitt aber meistert es in ihrem Werk „Das große Durcheinander – Alzheimer, meine Mutter und ich“ dennoch sehr souverän. Es ist eine wirklich bewegende Geschichte, die sie in ihrem Comic erzählt. Dadurch wird man als Leser nicht nur mit der komplexen Krankheit Alzheimer konfrontiert, sondern erlebt auch, was die Diagnose im direkten Umfeld der Betroffenen auslöst. In „Das große Durcheinander“ versuchen alle Beteiligten auf ihre Weise mit der Krankheit der Mutter umzugehen. Im Fokus steht dabei das Verhältnis zu ihrer Tochter Sarah (der Autorin des Werkes). So entstand nach dem Tod der Mutter eine Art „Graphic Memoir“, die einerseits die Symptome der Krankheit schildert, andererseits aber auch von bewegenden Momenten erzählt, welche die beiden miteinander verleben. Mit feinen Strichen und schwarz-weißen Motiven gelingt es der Autorin, die Situation in all ihren Facetten zu umreißen und so kann man „Das große Durcheinander“ (trotz der anfänglichen Skepsis, ob man ein solch schwieriges Thema im Rahmen einer Graphic Novel aufgreifen sollte) nur als vollends gelungen bezeichnen.

tucholsky// Dass auch Erwachsene mit Bilderbüchern viel Spaß haben können, stellt in diesen Tagen des neue Werk der vielfach ausgezeichneten Illustratorin Franziska Walther unter Beweis. Die hat sich nämlich unter dem Titel „Die Zeitsparer“ daran gemacht, die schönsten Kurzgeschichten von Ignaz Wrobel (alias Kurt Tucholsky) mit zauberhaften Zeichnungen zu garnieren. So bekommen wir diesen schicken Rundumschlag, der erstmals im Jahr 1914 das Licht der Welt erblickte, noch einmal in einer runderneuerten Variante um die Ohren gehauen. In seinen Texten nimmt sich Tucholsky vor allem das gesellschaftliche Leben der damaligen Zeit vor und hinterfragt die allseits gültigen Moralvorstellungen. Die vier Geschichten sind in diesem Zusammenhang nicht nur wahnsinnig amüsant, sondern rufen einem auch immer wieder zu, sich nicht vom Trott des Alltags kleinkriegen zu lassen. Die aufwendigen Motive von Franziska Walther rücken die Ereignisse nicht nur in ein ansprechendes Licht, sie transportieren die Message des Autors auch noch einmal unter veränderten Bedingungen. Am Ende lässt sich sagen: das Experiment ist geglückt. „Die Zeitsparer“ ist eine herrliche Gemeinschaftsarbeit, die deutlich macht, wie man Kunst und Literatur auf gelungene Weise miteinander verknüpft. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Strichcode.