// zuckerbeat volume 21

Lassen wir uns doch einfach mal überraschen, also Waschzettel aus dem Fenster geschmissen und dann einfach mal die Musik für sich sprechen lassen. Das ist dann in etwa so, als würde man plötzlich vom Indie zum Jazz überlaufen, in den Laden rennen und blind ins Regal greifen. Und was soll ich sagen, im Falle von […]

_drivebyargument.jpgLassen wir uns doch einfach mal überraschen, also Waschzettel aus dem Fenster geschmissen und dann einfach mal die Musik für sich sprechen lassen. Das ist dann in etwa so, als würde man plötzlich vom Indie zum Jazz überlaufen, in den Laden rennen und blind ins Regal greifen. Und was soll ich sagen, im Falle von Drive-By Argument (klickt auf den Interpreten und ihr gelangt zum Reinhören sofort auf dessen Myspace Seite) (6) geht der Ansatz voll auf. Da werden munter die Melodien, wie Ping Pong Bälle übers überschaubare Feld aus Synthies und Gitarren geballert, dass man immer wieder mit der Zunge schnalzt, als wollte man einen astreinen Schmetterball hinlegen. Die Platte ist ein einziger Hitreigen, der es sich irgendwo neben den Killers gemütlich macht. Jeder Song für sich allein macht gute Laune. Und da kann man es am Ende auch verkraften, dass dieses selbst betitelte Werk am Stück gezockt, leider etwas eintönig rüberkommt.In tanzbaren Gefilden bewegt sich derweil auch Kaskade. Der_kaskade.jpg schürt allerdings erstmal schlimme Erwartungen, weil er seine Musik unter anderem für beinahe alles von Budweiser bis MTVs „Real World“ hergab. Die Teenie-Fraktion dürfte also unterbewusst schon mal den ein oder anderen Track seines neuen Werks „Strobelite Seduction“ (3) gehört haben. Falls nicht, machts allerdings auch nix. Die Scheibe trällert sich nämlich relativ gleichförmig durch zehn spannungsarme Dancefloor-Entwürfe, die genauso unscheinbar schimmern, wie kaputte Taschenlampen. Dann vielleicht doch lieber die neue Compilation aus dem Hause Melt! antesten. Das vielleicht einzigartigste Festival Deutschlands präsentiert passend zur Partysause einen schicken Sampler, der brillant zusammengestellt wurde. Bestachen die Vorläufer schon durch ein imposantes Bandaufgebot, wirkten dabei allerdings teilweise etwas holprig, hat man es auf „Melt IV“_melt4.jpg (7) nun erstmals geschafft, so unterschiedliche Bands, wie The Notwist, Franz Ferdinand, Hercules And Love Affair, Blood Red Shoes, Hot Chip und natürlich den allgegenwärtigen Lützenkirchen („3 Tage wach“ ist die offizielle Melt!-Hymne) so aneinanderzupflanzen, dass daraus ein bezauberndes Blumenbeet entspringt. Dass dabei nur wenig unveröffentlichtes Material dabei ist… wen juckts? Songs, wie „The Hollows“ von Why? und Blackmails „(Feel It) Day By Day“ wirken auch nach fünfzig Durchläufen noch taufrisch, wie Autoscheiben beim Sonnenaufgang. Stellt sich nur die Frage warum eigentlich die Lautstärke der Tracks nicht besser gepegelt wurde? Kann doch nicht sein, dass mich Justice lauter anschreien, als Blackmail. Zumindest mit der Volume-Abstimmung haben andere weniger Probleme, werfen aber dennoch einige Fragen auf. Zum Beispiel, warum einer Band, wie P:lot, die_pilot.jpg eigentlich in hoffnungsvollen Sphären der Marke Selig treiben könnte, so dermaßen überproduziert wurde. Das Album „Mein Name ist“ (4) erstickt leider trotz gelungener Ansätze in den Weiten seiner breit ausgestreckten Soundflügel. Die Songs bieten keinen Halt und lösen sich nach Verklingen des letzten Tons einfach in Luft auf. Nichts bleibt hängen. Außer dieses Gefühl, dass da mehr hätte gehen müssen. Andererseits ist das vielleicht immer noch besser, als eine Band, die ihr Album mit Zeilen, wie „wir wollen Wasserski fahren auf dem Kurfürstendamm“ einläutet. Kann mal bitte jemand eine andere Anlage holen, die neue Scheibe von den Ärzten reinschieben und so laut aufdrehen, dass man nix mehr von solch unsagbaren Ergüssen mitkriegt. Der zweite Song von SDP klingt dann eigentlich, wie der erste. Und beide zusammen wiederum, wie „Lasse Redn“ von oben genannter Band. Und dann soll das ganze natürlich auch noch irgendwie sozialkritisch sein, _sdp.jpgweil doppelbödig. Nur leider kommt davon nichts beim Hörer an, weil alles so einförmig wirkt. Und dann noch diese Songtitel… „Die Frau vom Ordnungsamt“, „Der Chiwawa von Paris Hilton“ und „Abtörn“. Allesamt Stücke, die man sofort in den Giftschrank sperren möchte. Genauso, wie die meisten anderen der 18 Tracks. „Die Rache des kleinen Mannes“ (3) sieht meiner Meinung nach jedenfalls anders aus. Also sorry, Jungs. Das ist mir zu viel Schönwetter-Stimmung. Das gibt nur Sonnenbrand. Deswegen machen wirs uns mal in melancholischen Breiten gemütlich. Leicht verstörend dürften Bedroom Walls dabei auf alle wirken, die den wunderbaren Horror-Streifen „All The Boys Love Mandy Lane“ im Kino gesehen haben. Da ertönt nämlich in trister Atmosphäre der vielleicht schönste Song des Albums namens „In Anticipation Of Your Suicide“. Dabei punktet das Album nicht nur mit traumhaften Zeile „Your Suicide Is Just A Last Years News“,_bedroom-walls.jpg sondern auch durch diese unverfängliche Melodien-Seeligkeit, bei der immer ein mysteriöser Unterton mit zu schwimmen scheint. Dieses Album wird eines dieser Werke werden, die man ganz für sich alleine hören will. Man möchte sich mit „All Good Dreamers Pass This Way“ (6) im Zimmer verkriechen und den Regentropfen beim Aufprall auf das gegenüberliegende Hausdach zusehen. Einfach um diesen Funken Hoffnung zu erhalten, dass vielleicht einer dieser Tropfen sich gegen sein Schicksal stemmt, und nicht an den brüchigen Ziegeln zerschellt. Und weil wir gerade so schön in unserer Traumwelt schweben, lassen wir uns hinterher auch gerne noch von I Am Kloot auf einen Trip mitnehmen. Deren neues Album „Moolah Rouge“ (8) klingt wie der letzte Atemzug eines hoffnungslosen Romantikers, der kurz davor steht, an seinem Weltschmerz zu ersticken. Schon allein wie im ersten Song dieses schöne kleine Wort _iamkloot.jpg„Sweetness“ ins Mikrofon gehaucht wird… so verstörend und doch aufgeladen mit liebreizender Anziehungskraft. Man möchte sich einfach nur treiben lassen. So wie die Band selbst. Die spielte dieses wunderbare Werk nämlich in wenigen Tagen im Studio ein. Es war fast wie ein Gig, gaben sie zu Protokoll und man merkt es den Songs an. Sie leben von ihren spontanen Ideen. Von der unprätentiösen Produktion. Von den Überraschungsmomenten. Von den wunderbaren Melodien. Von der Liebe zur Musik. Oh scheiße, jetzt werd ich hier fast schon euphorisch, aber spätestens bei „Ferris Wheel“ ist jeder, der das Wort „Indie“ schon mal gehört hat, hin und weg von dieser Platte. Alles in allem also definitiv ein ernstzunehmender Anwärter auf die Jahrescharts. Ebenfalls bemerkenswert, aber in ganz anderer Hinsicht ist „Tha Carter III“ (7) von Lil Wayne. Der_lil-wayne.jpg famose Reimbastler wird ja seit einiger Zeit als Meister seines Fachs bezeichnet. Und deshalb hat er sie auch fast alle gekriegt: Jay-Z, Busta Rhymes und Konsorten. Alle wollten sie mit von der Partie sein, wenn Lil Wayne zum dritten Mal den Carter gibt. Aber wie soll man das eigentlich noch steigern, wenn die renommierte New York Times schon über den Vorgänger als „historische Veröffentlichung“ spricht. Am Ende gibt es nur ein Antwort: Einfach weitermachen, ein bisschen an den Produktionsschrauben drehen und die geplante Carter-Trilogie auf höchstem Niveau zu Ende bringen. Alles in allem muss man sagen: Es gelingt ihm. Es gibt derzeit kaum einen Rapper, der seinem einzigartigen Flows und seiner versierten Wortspielen das Wasser reichen kann. Da stellt sich eigentlich nur die Frage, wann der Junge auch hierzulande einschlägt. „Tha Carter III“ hat aufgrund seiner abwechslungsreichen Produktion jedenfalls beste Chancen an den Spitzenpositionen der Charts zu kratzen. Und vor allem „A Milli“ ist vom Sound her so herrlich verquer, dass man einfach niederknien möchte. Womit wir dann auch schon am Ende wären. Also tschö. Bis zum nächsten Zuckerbeat.

// von Alexander Nickel-Hopfengart