// zuckerbeat volume 23

Während sich die ganze Welt an Pete Dohertys Lifestyle aufgeilt, wird gerne mal vergessen, dass sein ehemaliger Kollege Carl Barat auch noch am Start ist. Seine Combo, also known as Dirty Pretty Things (klickt auf den Interpreten und ihr gelangt zum Reinhören sofort auf dessen Myspace Seite) ist dabei nämlich im After-Libertines-Vergleich der wesentlich schmissigere […]

Während sich die ganze Welt an Pete Dohertys Lifestyle aufgeilt, wird gerne mal vergessen, dass sein ehemaliger Kollege Carl Barat auch noch am Start ist. _dirty-pretty-things.jpgSeine Combo, also known as Dirty Pretty Things (klickt auf den Interpreten und ihr gelangt zum Reinhören sofort auf dessen Myspace Seite) ist dabei nämlich im After-Libertines-Vergleich der wesentlich schmissigere Zweitling gelungen. Zugegeben. Die beiden Libertines-Scheiben bleiben nach wie vor unerreicht. Aber „Romance At Short Notice“ (6) weiß durchaus zu gefallen mit seinen gesäuselten Indie-Perlen der Marke „Plastik Hearts“ und „Tired Of England“. Die Scheibe lebt dabei vor allem davon, dass sich die Dirty Pretty Things nur selten an überambitionierte Soundentwürfe heranwagen. Wo die Babyshambles vor allem auf ihren Erstling regelmäßig an den ambitionierten Songstrukturen scheitern, verlässt sich Barats Crew einfach auf ihre Stärken und ballert zwölf Songs aus der Kanone, die funkelnd am Firmament zerschellen. Einzig „Come Closer“ und „Faultlines“ driften dabei vielleicht ein Stückchen zu weit in Kooks-sche Gefilde ab. Was den positiven Gesamteindruck aber nur geringfügig zu mindern weiß. Die anspruchsvollen Klangwelten von Pivot sind _pivot.jpgda schon ein ganz anderes Kaliber. Vertrackte Songs – von John McEntire (Tortoise) abgemischt – geben einem das Gefühl, als wäre man gerade die Zielscheibe eines betrunkenen Messerwerfers, der sich mal so richtig abreagieren möchte. Etwas gruselig wirkt das alles schon, wenn die Australier ihren Post-Rock auf die Menschheit loslassen, wie ein durch geknalltes Eichhörnchen beim nächtlichen Angriff auf Parkbank-Schläfer. Der Opener jedenfalls dürfte sich perfekt zur Untermalung eines Schlachtfests im modernen Splatter-Movie eignen. Danach allerdings schieben sich Keyboard-Flächen durch deine Hüften und drücken deinen Hintern in Richtung Tanzfläche. „O Soundtrack My Heart“ (6) wirkt dabei, als würden Ratatat plötzlich einen auf Krautrock machen und vergessen, die Reißleine zu ziehen. Ein insgesamt über weite Strecken ebenso anstrengendes, wie vereinnahmendes Erlebnis. Ein Album, wie ein Fels, der die Auffahrt zur Autobahn blockiert. Bis man sich endgültig verliert im Dickicht der Irrwege. Klee gehen _klee.jpgda eher den entgegen gesetzten Weg. Ihre Musik polarisiert vor allem deshalb, weil sie so stringent geradeaus läuft. Daran ändert sich auch auf „Berge versetzen“ (7) nichts. Die Single „Zwei Herzen“ ist der Hit für diejenigen, denen Mia. zu sehr in esoterische Gefilde abdriften. Klee sprechen in ihren Songs direkt an, was sie fühlen. Und werden deshalb oft mit dem Vorwurf konfrontiert, klischeehafte Musik abzuliefern. Meiner Meinung nach ist das Gegenteil der Fall. „Sag mir, wie weit muss ich gehen, um hinter meinen Horizont zu sehen?“ wird hier gekontert mit Zeilen der Marke „Alle Ziele, die ich hatte, verloren sich auf Wegen“. Das Gefühl wird spürbar. Trotz der einfachen Wortwahl. Trotz der Vergleiche, die man schon hundert Mal gehört hat. Klee pressen da noch ein Gefühl raus. Und genau das kann man ihnen gar nicht zu hoch anrechnen. Diese Hingabe an die Musik. Diese Kompromisslosigkeit. Dieses Gefühl die Wahrheit einfach mal beim Namen zu nennen. Du willst „Berge versetzen“? Kein Problem. Einfach „play“ drücken und die Augen schließen. Und hinterher vielleicht noch mal von Dr. Dog behandeln_dr-dog.jpg lassen. Deren neustes Werk „Fate“ (7) klingt wie ein Wellness-Wochenende auf einer Hippie-Farm. Die Chöre heben dich empor zu den Sternen und legen die Welt unter dir auf Warteschleife. Romantische Popmusik mit leicht angefolkten Sounds der Marke Bob Dylan lässt dich die Augen schließen und durch die Zeit reißen. Und dann stehst du plötzlich zwischen lauter leicht bekleideten Menschen und tanzt dich zu dieser Musik in eine bessere Welt. Dr. Dog entfernen sich auf „Fate“ zwar ein ganzes Stück von gängigen Song-Schemata, verstecken aber zwischen den psychedelischen Ansätzen zahlreiche Schatzkisten randvoll mit Melodien. Am eindrucksvollsten gelingt ihnen das alles im Song „Hang On“. Den möchte man einfach nur solange umarmen, bis er sich unter der Haut festsetzt. So, wie diese Platte, die hoffentlich nicht von der Flut der Veröffentlichungen mitgerissen wird. Sondern verweilt. Dort wo sie hingehört. In den Gehörgängen der Menschen. Für alle, die es derweil eine Spur rockiger mögen, sei hierbei noch auf Cog hingewiesen_cog.jpg. Mir liegen gerade zwar keine weiteren Infos zu der Combo vor, aber jeder, der bei Incubus ins Schwitzen gerät, sollte auch mit „Sharing Space“ (6) gut bedient sein. Die Stücke bewegen sich dabei immer auf dem schmalen Grad zwischen Prog-Ansätzen und Alternative-Rock-Phantasien. Verlieren sich dabei aber niemals in allzu schmalzigen Schunkel-Konsens der Marke Nickelback. Stattdessen fühlt man sich ein bisschen, als würde man die Band gerade im Studio bei einem ausgedehnten Jam belauschen. Dass die Stücke dabei auch nach mehreren Durchläufen nicht an Spannung verlieren, liegt vor allem an den verqueren Song-Ansätzen, die konsequent auf gelungene Spitzen zusteuern, die man durchaus „Refrains“ nennen könnte, wenn sie sich denn auch mal wiederholen würden. Gut, dass sie es nicht tun. Denn so bleiben Cog ein echter Geheimtipp für alle, die den Glauben in die Rockmusik noch nicht verloren haben. Ebenso ausufernd, aber wesentlich elektronischer scheppern Halma anschließend_halma.jpg durch einen fiktiven Filmsoundtrack, der oftmals in dubbige Gefilde abstürzt. „Broad Peak“ (6) ist der perfekte Sound für Schlafwandler auf einer nächtlichen Hauptverkehrsstraße. In jedem Moment könnte dich die Musik mit einem gezielten Schlag über die Leitblanke schmettern. Dennoch wirken die Songs verführerisch. Zärtlich. Mysteriös. Wie ein Haufen Aliens, die sich gerade durch ein einsames Waldstück schleichen, um die Umgebung zu erkunden. Dann treffen sie plötzlich auf Gevatter Tod. Ein gezielter Wink. Ein Portal. Und schwups, schlendern die kleinen grünen Männchen in eine Zwischenwelt und schweben davon. Du hast den Faden verloren? Kein Problem. Hör dir einfach mal Halma an, wenn du nachts um 5 mit dem Fahrrad nach Hause fährst. Die Musik wird die Welt um dich in einen geheimnisvollen Schleier hüllen. Wer es trotzdem gerne, etwas bodenständiger mag, dem sei hier zum Abschluss noch eine wirklich gelungene Sampler-Reihe ans Herz gelegt. Zum Auftakt von „Pop Portrait“ (7) wurde nämlich niemand geringerer, als Jan Delay, gebeten_jan-delay.jpg, sein persönliches Lieblings-Songs zusammen zu stellen. Und man verliert sich auch heute noch zu gerne in Torchs wunderbarem „Kapitel 1“ oder der Adolf Noise-Remix–Fassung des großen Deutschrap-Klassikers „Ist mir egal“ von Der Tobi und das Bo. Hach, deutscher HipHop kann so schön sein. Aber Jan Delay lässt es natürlich nicht dabei bewenden, sich nur an seinem Fachgebiet abzuarbeiten. Stattdessen treten dazwischen die Goldenen Zitronen und Turbostaat die Zimmertür ein. Und sein neuer Kumpel Udo Lindenberg ist natürlich auch am Start. Am meisten Spaß macht aber das Wiedersehen mit den fast vergessenen und bis heute völlig unterschätzten Selig („Ohne dich“). Wobei die ollen Hamburger Jungs von Tocotronic („Let There Be Rock“) und der ehemalige Würzburger Knarf Rellöm natürlich auch aller Ehren wert sind. Insgesamt also ein bunter Haufen, der da von dem lieben Jan Delay angekarrt wurde. Und wir freuen uns jetzt schon auf die Fortsetzung mit (so meine ich gehört zu haben) den Jungs von Tocotronic. So stay tuned. Bis zum nächsten Zuckerbeat.

// von Alexander Nickel-Hopfengart