// zuckerbeat 32

Wäre das eine gerechte Welt, wären vor ein paar Jahren nicht Wir sind Helden und mia. aus der Versenkung in die Spitzenregionen der Charts gekrochen. Nein, Spillsbury wären heute die größte Popband dieses Landes. Der Erstling „Raus“ atmete neben den NDW-Anleihen auch eine Portion Punk-Appeal. Und klang damit so viel mitreißender und unmittelbarer als das […]

Wäre das eine gerechte Welt, wären vor ein paar Jahren nicht Wir sind Helden und mia. aus der Versenkung in die Spitzenregionen der Charts gekrochen. Nein, Spillsbury spillsbury.jpgwären heute die größte Popband dieses Landes. Der Erstling „Raus“ atmete neben den NDW-Anleihen auch eine Portion Punk-Appeal. Und klang damit so viel mitreißender und unmittelbarer als das gleichförmige Zeug der Kollegen. Doch dann zerrieben sie sich auf dem Folgewerk „2“ in der scheinbar allgegenwärtigen Dringlichkeit, ganz schnell etwas nachlegen zu müssen. Und was soll ich sagen: sie sind gescheitert. Was mich die Band nur noch mehr ins Herz schließen ließ. Die Hoffnung blieb nämlich: auf ein atemloses Meisterwerk. Auf noch mehr Zeilen der Marke „wenn du die Augen morgens zumachst, verschwindet dann der Tag?“ Und jetzt sind sie urplötzlich wieder da. „Auf zum Atem“ kommt aus dem Nichts. Und präsentiert eine Band, die sich kompromissloser denn je dem Popaspekt ihrer Musik verschreibt. „Das letzte was ich tu in meinem Leben ist sterben“ schleudern sie einem da in „Es ist egal“ entgegen. Und es klingt wie ein Spatenschlag in die Fresse derer, die sie bereits beerdigt hatten. Blumenschmuck war ja noch nie so ihr Ding. Und deswegen zerfetzen sie ihr hübsch geschmücktes Grab mit einem zielsicheren Tanz der Teufel-Gedächtnis-Handgriff. „Auf zum Atem“ ist ebenso poppig, wie unberechenbar. Das hübsche Antlitz verkommt immer wieder zur Fratze. Das Ganze in genau zehn Stücken, die dir hinterrücks in die Fresse schlagen. Dieses Album ist so 100 Prozent Spillsbury, dass man sich mit einem Mal die Boxhandschuhe überzieht und sich in den Ring stürzt. Gegen die Gleichförmigkeit der Poplandschaft. Ein Hoch auf Spillsbury. Also Arme hoch. …9,10 und aus. Und dann mal geschaut, was Hot Club De Paris hot-club-de-paris.jpgso treiben. „Live At Dead Lake“–übrigens kein Livealbum- könnte man durchaus einen typischen Zweitling nennen. Die Band bleibt lediglich berechenbar in Bezug auf ihre Unberechenbarkeit. Insgesamt erzielen die vielen Rhythmuswechsel, die stark an die Anfangstage der Futureheads erinnern, natürlich nicht mehr denselben A-ha-Effekt, wie beim Erstling, aber trotzdem sprudeln die Ideen nur so aus den Jungs heraus. Manch einer mag das sicher anstrengend finden, aber wenn man sich erstmal durch das vordergründige Chaos gewühlt hat, entpuppt sich hinter den Songs durchaus so etwas, wie Hit Appeal. „The Dice Just Wasn´t Loaded From The Start“ zum Beispiel. Was ist denn das bitte? Perkussives Gitarrentrommeln? So kompromisslos und hinterfotzig vorgetragen, dass man meint, die Jungs würden sich geradewegs ins “Bitter Sweet Symphony”-Video von The Verve stürzen, um Großmeister Ashcroft ein Bein zu stellen. Eine Platte, wie ein Wettlauf mit der Zeit. Ein dicker Mittelfinger gegen den Stillstand. Mit dermaßen vielen Hakenschlägen, dass man manchmal das Gefühl bekommt, da würde jemand mit Kakteen nach den Jungs werfen. Alles in allem also einer der schönsten Hindernis-Läufe des ausklingenden Sommers. Trotz eingebauter Stolperfallen. Völlig ausgepowert lehnt man sich anschließend zurück und lauscht den Klängen von Woolfy Vs Projections.woolfy.jpg Die errichten auf „The Astral Projections Of Starlight“ eine bunte Zauberwelt und lassen dabei die unterschiedlichsten elektronischen Lichteffekte auf den Zuhörer hinabregnen. Stimmungsvolle Jazz-Anleihen treffen auf Vocal-Samples und verlieren sich in den ausufernden House-Arrangements. Dabei kann sich die Musik nie so recht entscheiden, ob sie nun After- oder Party Hour sein möchte. Die Funkanleihen und dubbigen Disco-Ausflüge machen dennoch glücklich, weil sie am Ende ein homogenes Gesamtbild erzeugen. Und wenn dann in „This Space“ auch noch Trompeten und Saxofon einen fliegenden Teppich unter die nackten Füße zaubern, dann lässt man sich endgültig von der Platte hinfort tragen. Etwas Sternenstaub in den Haaren hat schließlich noch niemandem geschadet. Im schlimmsten Fall trägt man anschließend einen Wasserfall aus Glitzersternen vor sich her. Was wiederum manchen empörten Aufschrei von zu viel Harmonie nach sich zieht. Aber damit muss man eben leben, wenn man zu solch anschmiegsamen Klängen kurzerhand die Bodenhaftung verliert. Die wiederum hat der King schon längst verloren. Der chillt wahrscheinlich grade im Rockstarhimmel und kartet mit den üblichen Verdächtigen aus, wer denn nun das nächste Schwergewicht im Rockgeschäft werden wird. Pünktlich zum 50jährigen Deutschland-Jubiläum (die Plattenfirmen scheinen sich inzwischen immer absurdere Gründe für Veröffentlichungen aus den Fingern zu saugen) gibt’s nun einen erneuten Aufguss der alten Hits in Form einer Doppel-Best Of namens „50 Jahre Elviselvis.jpg in Deutschland“. Zwischen die Hits wurden dabei ein paar rare Aufnahmen aus Bad Nauheim gestreut, die allesamt nicht sonderlich stören. Bei Titeln wie „Frankfort Special“ sollte man allerdings auch keine musikalischen Wunderwerke erwarten. Sehr störend allerdings (aber zumindest in weißer Voraussicht ans Ende der Platte gepresst) sind die zahlreichen Interview-Ausschnitte auf Scheibe eins. Da folgt fast zwangsläufig ein entnervter Klick auf die Stopp-Taste. Stellt sich also mal wieder die Frage: Wer braucht so was? Und wieso schlägt Stoff wie dieser, bei dem sich noch nicht mal sonderlich viel Mühe bei der Gestaltung gegeben wird, immer wieder in den oberen Regionen der Charts ein. Ich weiß es nicht. Und genieß stattdessen einfach noch ein bisschen die Musik, die auch als 50ster Aufguss ihrer selbst nicht totzukriegen ist. Hinterher allerdings bin ich mal wieder verliebt. Die Ska-Granaten von The Slackers slackers.jpghaben nämlich mal wieder einen neuen Glücksbringer am Start. „Self Medication“ packt die Hängematte aus… “Everyday is Sunday when you’re unemployed. Feels pretty good man, I should be overjoyed. Every tomorrow’s Monday, Friday never comes.” Ja so klingt das wohl, wenn man es sich in seiner Nische gemütlich gemacht hat. Und, dass ich mal zu solch hoffnungsvollen Lyrics, wie „The stars that wouldn’t shine, they don’t go away, just ‚cause you don’t see them shining here today” im Takt wippe, wäre mir vorher auch nicht in den Sinn gekommen. Dieses Album will so dermaßen gemocht werden, dass man sich schon fast ein bisschen ausgenutzt vorkommt. Aber wehren kann man sich trotzdem nicht. Sie wissen eben einfach, wie´s geht. Also „sing me a happy song, so I can dance the whole night long. Sing me a sweet melody, so I can find a harmony. When I hear that song, I know nothing can go wrong.“ Wie wahr, wie wahr. Und ebenso zurückgelehnt treiben wir weiter in Richtung Sorry Gilberto.sorry-gilberto.jpg Die durfte ich vor einiger Zeit schon mal auf einem Festival am Berliner Rauch Haus live erleben. Und ich muss zugeben, dass der Auftritt damals so charmant lo-fi-poppig war, dass ich ihn bis heute nicht aus dem Kopf bekommen habe. Gäste waren zwar nicht viele da. Aber die beiden haben trotzdem eine traumhafte Figur gemacht, wie sie da in der Nachmittagshitze ihre Hüften schwangen. Umso schöner, dass das elegant gekleidete Duo jetzt endlich mal einen richtigen Tonträger an den Start gebracht hat. Auf „Memory Oh“ spürt man ganz deutlich den Einfluss der Moldy Peaches. Charmant reduziert erzählen sie im Duett ihre Geschichten übers Leben und sorgen hin und wieder durch spielerische Einfälle, wie das schicke Fiepsen im Hintergrund von „Love But Zero“, dafür, dass einem die Mucke nicht irgendwann auf den Sack geht. Jakob Dobers und Anne von Kelle sind wirklich so eine Band, die man sich am liebsten auf einem einsamen Maisfeld vorstellt. Irgendwo spielt ein kleines Kind mit seinem Hund, auf der anderen Seite springen ein paar Außerirdische aus dem Dickicht. Und irgendwann ballern alle zusammen mit Spielzeugpistolen auf einen Drachen, der sich in den Ästen des nahe liegenden Waldstücks verheddert hat. Dazwischen erheben sich diese winzig kleinen Songs wie Blubberblasen aus der Seifenkiste und zerplatzen auf der Nase. Hach, Kurzweil kann manchmal so herrlich sein. Also umarmt dieses Album. Alle. Jetzt. Und knutscht zu dieser Musik die Welt aus den Angeln. Hinterher nämlich könnte so manchen das Grinsen aus dem Gesicht plumpsen. Da wird zum x-ten Mal die Retro-Keule des Rock´n`Roll geschwungen und man ist durchaus versucht den Towers Of London towers-of-london.jpgdafür einen Award als letzte Hardrock Band der Gegenwart auszustellen. „Fizzy Pop“ jedenfalls ist so dermaßen altbacken, dass man sich an dem Album durchaus die Zähne ausbeißen kann. Die Stücke rockenrollen so breitbeinig ins glitzernde Blitzlichgewitter, dass man wie ein begossener Pudel das Weite sucht. Das können die doch anno 2008 nicht wirklich ernst meinen? Eine Single namens „Naked On The Dance Floor“ raus hauen und tatsächlich glauben, dass die gesamte Fangemeinde sich jetzt wieder zum Lockenschütteln vor der Bühne versammelt. Sorry, Leute, aber du muss ich passen. Da schlag ich mir lieber die Nächte mit der neuen DVD von Radio Soulwax um die Ohren. In „Part Of The Weekend Never Dies“ kriegt man nämlich noch mal hautnah vor Augen geführt, wer damals der Vorreiter, nicht nur in Sachen Bastard-Pop, gewesen ist. Die Scheibe beinhaltet zwei Filme über radio-soulwax.jpgdie renommierte Band. In der gleichnamigen Dokumentation kommen neben der Gruppe auch allerhand interessante Künstler, wie James Murphy, Peaches & die Klaxons zu Wort. Weiterhin beinhaltet die DVD Liveaufnahmen aus entspannten „Nite Versions“ Tagen. Daraus wird ein schickes Paket mit beiliegender Cd geschnürt, das man jedem Fan nur blind ans Herz legen kann. Über einen Zeitraum von 120 Liveshows wird das Spektrum der Band ausgelotet und mit Saam Farahmand – unter anderem verantwortlich für die aktuellen Clips von Hercules & Love Affair und Hot Chip – von einem renommierten Clip-Regisseur in Szene gesetzt. Insgesamt entsteht daraus ein ebenso kurzweiliger, wie berauschender Spaß für elektro-affine Indie-Anhänger, mit dem ich mich dann für heute in die Nacht verabschiede. Bis zum nächsten Zuckerbeat.

von: alexander nickel-hopfengart