// aufgelesen vol. (1)70 – „am rand“

mit neuen Büchern von Thomas Koebner, Hans Platzgumer, David Foster Wallace, Heike Melba-Fendel und Fatma Aydemir. // Edgar Reitz hat mit seiner „Heimat“-Trilogie ein Epos erschaffen, wie es hierzulande seinesgleichen sucht. Über 50 Stunden Filmmaterial erwarten den Neueinsteiger und das auf allerhöchstem Niveau. Wer sich darüber hinaus noch etwas intensiver mit dem Werdegang des Künstlers […]

mit neuen Büchern von Thomas Koebner, Hans Platzgumer, David Foster Wallace, Heike Melba-Fendel und Fatma Aydemir.

edgar-reitz// Edgar Reitz hat mit seiner „Heimat“-Trilogie ein Epos erschaffen, wie es hierzulande seinesgleichen sucht. Über 50 Stunden Filmmaterial erwarten den Neueinsteiger und das auf allerhöchstem Niveau. Wer sich darüber hinaus noch etwas intensiver mit dem Werdegang des Künstlers auseinander setzen möchte, der kann nun auch zu einer spannenden Biografie aus dem „Reclam“-Verlag greifen. In „Edgar Reitz – Chronist deutscher Sehnsucht“ macht sich der Schriftsteller Thomas Koebner daran, das Leben des Protagonisten noch einmal nachzuzeichnen und schafft es dabei, ein sehr interessantes Bild des „Heimat“-Schöpfers zu zeichnen. Edgar Reitz ist in diesem Zusammenhang wahrscheinlich nicht nur der Epiker unter den Filmemachern hierzulande, es gelingt ihm auch überaus glaubwürdige Figuren zu erschaffen, die er dann ein ganzes Jahrhundert lang begleitet. „Heimat“ ist für ihn in diesem Zusammenhang nie ein Begriff gewesen, der einen bestimmten Ort beschrieb. Einen Zaun um etwas zu ziehen, was man dann als Heimat begreift, würde ihm wahrscheinlich nie in den Sinn kommen. Dennoch gibt es bestimmte Grundgegebenheiten unter denen wir auf die Welt kommen und dazu gehört nun mal, dass wir uns im jungen Alter noch nicht selbst entscheiden können, wo wir leben. Deswegen spielt sein Epos zwar in Schabbach im Hunsrück, selbiges steht aber nur stellvertretend für eine Sehnsucht nach einem Platz an dem man sich zuhause fühlt. Dem Autor gelingt es dabei sehr treffend noch einmal das Werk des Künstlers Edgar Reitz unter die Lupe zu nehmen und so bekommt man zahlreiche Hintergrundinformationen aus dem Leben des Regisseurs und zu seinen Filmen, die einen dazu bringen, das Werk gleich noch einmal von vorne anzusehen.

SU_Platzgumer_2.indd// „Am Rand“ findet sich derweil der Protagonist des neuen Romans von Hans Platzgumer wieder. Der österreichische Musiker und Schriftsteller, der einst auch auf dem legendären Label „L´age D´or“ veröffentlichte, stellt in seinem neuen Werk die Frage nach richtig oder falsch. Verzwickt ist die Situation für die Hauptfigur namens Gerold Ebner vor allem deshalb, weil die Grenzen zwischen den beiden immer wieder zu verschwimmen scheinen. Schon als Kind hat Gerold seines ersten Toten gesehen und mit der Zeit mussten zwei weitere Menschen dran glauben, die durch seine Hände gestorben sind. Seine Mutter wollte er nicht länger dem Terror des Großvaters aussetzen und seinen besten Freund erlöste er von seinem Leiden. Ist er deshalb jetzt ein Mörder? Und was bitteschön hat ihn eigentlich dazu gebracht hier rauf auf den Gipfel zu steigen? Wird er hier wirklich seinen letzten Schritt tun, bevor sein Leben ein Ende nimmt? Hans Platzgumer gelingt es mit seinem neuen Roman eine wahnsinnige Spannung zu erzeugen, die einen bis zum (bitteren?!?) Ende hin fesselt. Es lohnt sich also mal reinzuschnuppern.

david-foster-wallace// Nachdem David Foster Wallace leider bereits verschieden ist, gibt es für die Fans des begnadeten Autors trotzdem keinen Grund traurig zu sein. In regelmäßigen Abständen erscheinen neue Veröffentlichungen des vielschichtigen Schriftstellers und so kommen wir zu Jahresbeginn in den Genuss eines kleinen aber feinen Werkes namens „Der grosse rote Sohn“, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Darin macht sich der Autor im Auftrag der Zeitschrift „Premiere“ auf in Richtung Caesars Palace in Las Vegas. Dort werden im Jahre 1998 die „Adult Video News Awards“ vergeben, was so in etwa den Oscars der Pornofilmszene entspricht. Dort spricht Foster Wallace nicht nur mit den Protagonisten der Szene, die auf so schöne Namen wie Dick Filth hören, sondern er legt auch die Zusammenhänge und Wechselwirkungen der Porno-Industrie offen. Dass es dabei gerade das vollkommene Fehlen jeglicher Ironie ist, das dieses Werk zu einem der witzigsten seiner Zunft macht, ist bemerkenswert und dürfte all jenen gefallen, die bereits an der „Kreuzfahrt-Review“ „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ ihre helle Freude hatten.

melba-fendel// Was macht man eigentlich, wenn man eines Tages nach Hause kommt und dort einen Zettel vorfindet, auf dem steht, dass der eigene Mann einen verlassen will? Dieses Ausgangsszenario stellt die „Zeit“-Kolumnistin Heike-Melba Fendel ihrem zweiten Buch namens „Zehn Tage im Februar“ voran und fügt hinzu, dass er sich zehn Tage Bedenkzeit erbete, um über die Zukunft der gemeinsamen Beziehung nachzudenken. Die Frau entscheidet sich darauf erstmal zum Eröffnungsabend der Berlinale zu schlendern, denn dort wartet ein breites Sammelsurium an Filmen auf sie. Genauso wie die Regisseurin Jane Campion, der sie sich auf seltsame Weise verbunden fühlt. So wird „Zehn Tage im Februar“ im weiteren Verlauf immer mehr zu einer Art Sinnsuche für die Protagonistin. Möchte sie in der Vergangenheit verharren, wo sie einst mit einem Scheich in Cannes herumstapfte oder lieber Tränen im Hier und Jetzt vergießen, wo das geliebte Eigenheim auch nicht die erhoffte Erlösung darstellt. Welche Aufgabe sie in diesem Zusammenhang von Jane Campion mit auf den Weg bekommt, als ihr Mann schließlich wieder zu Hause aufschlägt. Es lohnt sich mal reinzuschnuppern in dieses Werk, das vom Timing her gar nicht besser erscheinen konnte.

Aydemir_25441_MR1.indd// Über den neuen Roman von Fatma Aydemir wird derzeit ziemlich viel gesprochen. Die studierte Germanistin ist nicht nur Redakteurin bei der „Taz“, sondern schreibt auch für das „Missy Magazin“ und sie „Spex“ und mit ihrem Debüt „Ellbogen“ ist ihr ein echter literarischer Glücksgriff gelungen. Im Grunde genommen beschreibt sie in ihrem Werk die Suche einer jungen Frau nach ihren Wurzeln. Hazal Akgündüz ist 17 Jahre junge und lebt wie die Autorin in Berlin. Sie will eigentlich ein ganz normales Leben führen, doch ihre Eltern fühlen sich fremd in ihrer Wahlheimat. Mit unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert beginnt alles mit dem Klauen eines Lippenstifts. Was folgt sind stumpfe Gewalt und eine Flucht nach Istanbul vor der Polizei – in eine Stadt, in der sie noch nie zuvor gewesen ist. Dort sucht sie ihren Platz in einer Welt und man nimmt Anteil am Leben dieser so glaubwürdig in Szene gesetzten Protagonistin, die so viel über das Alltag zu erzählen weiß, wie ihn viele Menschen heutzutage erleben. Wenn du also mal wieder ein wirklich spannendes Buch aus dem echten Leben lesen möchtest, dann lass dir dieses Werk nicht entgehen. Und damit Schluss für heute. Bis zur nächsten Leserunde.