// zuckerbeat volume 47

So Leute, jetzt macht euch auf was gefasst. Keine Ahnung ob die Menschheit bereit ist für dieses Album, aber sei´s drum. In ein paar Jahren könnte „Merriweather Post Pavilion“ von Animal Collective die Referenzgröße für moderne Popmusik sein. Popmusik, weil zwischen den vertrackten und hypnotischen Songstrukturen immer wieder sternenklare Lieblingslieder durchschimmern, wie sie die Fleet […]

animal-collective.jpgSo Leute, jetzt macht euch auf was gefasst. Keine Ahnung ob die Menschheit bereit ist für dieses Album, aber sei´s drum. In ein paar Jahren könnte „Merriweather Post Pavilion“ von Animal Collective die Referenzgröße für moderne Popmusik sein. Popmusik, weil zwischen den vertrackten und hypnotischen Songstrukturen immer wieder sternenklare Lieblingslieder durchschimmern, wie sie die Fleet Foxes gerne schreiben. Doch Vorsicht – dieses Album geht noch weiter. Es öffnet dir ein Tor zum All. Schwerelos treibst du umher zwischen Versatzstücken aus Sounds und Stimmungslagen und doch scheint es, von welcher Seite du die Musik auch betrachtest, immer wieder ein unsichtbares Band zu geben, das die unerschöpflichen Möglichkeiten dieser Band im Innersten zusammenhält. Die Songs wirken ebenso ambitioniert wie schlüssig, als hätte sie jemand in einem einzigen fantastischen Take in die Weiten des Weltraums geschleudert. Ihr merkt schon: mir fehlen die Worte um zu beschreiben, was hier passiert. Es fühlt sich an, als würden sich die Beach Boys mit einer nicht näher definierten Naturgewalt vereinen. Als würde jemand aus den waghalsigen Sounds von Pixar ein völlig neues Genre schaffen und sich dann spitzbübisch am See niederlassen, um ein traditionelles Liebeslied zu schreiben. Daraus entsteht Musik, die so schön, so zerbrechlich, so schlüssig, so waghalsig, so formvollendet, dass man sie nicht mal dafür hasst, dass sie womöglich bald vom Massenpublikum vereinnahmt wird. Man muss diese Scheibe einfach nehmen, wie sie ist. Man muss sie geschehen lassen. Dann bringt sie einen an einen Ort fernab aller Konventionen. Traumwandlerisch schleicht man durch die Gänge eines Labyrinths. Gar nicht so sehr auf der Suche nach dem Ausgang, sondern nach einem Moment. Besser: einer Erkenntnis, die sich hinter den grünen Punkten auf dem Frontcover versteckt. Also Augen schließen. Und anschließend schweren Mutes weiter ziehen in Richtungextrawelt.jpg Extrawelt. Das sind zwei Hamburger Elektro-Tüftler, die im letzten Jahr von der „Groove“ mit dem Award für das Album des Jahres ausgezeichnet wurden. Jetzt also hat auch der liebe Zuckerbeat die Scheibe für sich entdeckt und verliert sich nur zu gern in den nachdenklichen Fasern dieses elektronischen Wohlfühlteppichs. Manche werden ihre Musik wahrscheinlich anstrengend finden, weil sie einfach an einem vorbei zieht, wenn man nicht genau hinhört. Die Scheibe wurde sehr homogen zusammen geschraubt. Misstöne findet man nur vereinzelt. Stattdessen steht ein monströser Plüsch Osterhase vor einem, in dessen Armen man am liebsten versinken möchte. Zumindest bis man in Track fünf („Must Attack“) dann hinterrücks zum Schlachtermesser greift, um das wollige Vieh unter dem Blitzlichtgewitter des Laserregens zu zerfetzen. „Schöne neue Extrawelt“ hinterlässt damit als Gesamtkunstwerk einer immer kurzlebigeren Gattung von Musik einen wahrhaft berauschenden Nachgeschmack. Und versetzt den Hörer mit seinen atmosphärischen Elektrostampfern in eine betörende Zwischenwelt zwischen den Polen Minimal und Rave. Völlig abheben lässt einen hinterher omar-roriquez.jpgOmar Rodriguez Lopez (The Mars Volta), indem er sich auf „Old Money“ auf seine große Stärke besinnt: Seinen ausgeprägten Hang zur Improvisation. Das erahnt man schon im Opener, wo er eine betörende Melodie vollends gegen die elektronische Wand pfeffert. Dennoch wirken seine Songs diesmal beinahe gemäßigt im Vergleich zum restlichen Output des Tüftlers und so entspringt dieser experimentellen Wucht immer wieder ein Melodiebogen, der direkt ins Herz schießt. Dass die Scheibe auf dem renommierten HipHop Label „Stones Throw“ erscheint, ist zumindest insofern keine Überraschung, als das sich Selbiges auch für die Veröffentlichung wegweißender Alben, wie zum Beispiel dem futuristischen Werk von Georgia Anne Muldrow verantwortlicht zeigt. Zu Omar Rodriguez ist es da nicht mehr weit. Vor allem, weil seine Songs diesmal oft an der Fünf Minuten-Schallmauer zerschellen. Und er sich mit dem Track „Private Fortunes“ in Gefilde wagt, die Carlos Santana auch gut stehen würden. Alles in allem der vielleicht beste Solo-Wurf des talentierten Musikers. Und jetzt zum Runterkommen mal bei Blackmarket aus Arizona vorbei geschaut. Die Vorband der Subways, feuert auf ihrem ersten blackmarket.jpgAlbum ein amtliches Brett nach dem anderen aus der Bordwand des sinkenden Schiffes Emo-Rock. Die Scheibe ist eigentlich eine einzige Ansammlung von potenziellen Krachern für die nächste Festivalsaison. Wenn du mit einem gestohlenen Einkaufswagen in Richtung Bierkastenstapel rast, um sie alle Neune auf einmal umzupusten, willst du genau diese Tracks hören. Schon der famose Auftakt (Magic Tricks“, „Night In Question“ und die Krönung von Rocksong namens „Sheila“) sorgt dafür, dass es gar keine Zweifel an ihrer Gesinnung gibt. Wer sich damals zu Jimmy Eat World („Bleed American“) oder erst kürzlich zu den Subways freudestrahlend im Blitzlichtgewitter der Clubs suhlte, der wird sich hingebungsvoll vor diesen Jungs verneigen. So einen bunten Strauß an melodieverliebten Rocksongs habe ich jedenfalls lange nicht gehört. Und weil wir grad so schön am Abfeiern sind, gleich noch rüber zu Verlen.verlen.jpg Wie jetzt? Du kennst Verlen nicht. Das, lass dir gesagt sein, sollte sich so schnell wie möglich ändern. Das 2005er Debüt-Album war ja schon ne Bombe. Und ich bin mir sicher, wäre grade noch mal 1998, diese Jungs wären schon lange durch die Decke gegangen. Hymnische Rockmusik mit zahlreichen Hooks in der Art, wie sie Blackmail gerne schreiben, wenn sie sich mal nicht in eine verhallte Tropfsteinhöhle verirren: das macht Spaß. Das rockt. Das bringt die Speaker deiner Lautsprecher Box zum Erstrahlen. Wenn dann kurz darauf die ganze Bude zu brennen beginnt, stehst du fröhlich im Raum und wirfst dem lieben Mann vor der Scheibe einen freundlichen Blick zu. „Lass mich nur noch schnell den Song zu Ende hören, okaaaaaaaay?“ schreist du ihm entgegen und reckst deine Hände nach oben. In deinen Armen: Eine Luftgitarre heller as hell. Du durchstreifst die Rauschwaden und bevor du schließlich nur knapp dem Erstickungstod entrinnst, wirkt die ganze Szenerie so dermaßen erhaben, als hättest du den Rock gerade neu erfunden. Kurz gesagt: das Rockbrett des Frühlings. Und ab jetzt neben Blackmarket in Dauerschleife auf meiner Anlage. Wer derweil etwas mehr den romantischen Versuchungen der 60er erlegen ist, wie leblose Hirschgeweihe, der sollte sich mal in das elektronisch angehauchte Pianoexperiment namens „Clockwork“ heranpirschen. Der französische alif-tree.jpgDJ Alif Tree verliert sich auf seinem Album in einem betörenden Mix aus wabernden Flächen, die auch vor dem spröden Charme eines längst vertonten Western-Klassikers nicht Halt machen. Alles in allem ist „Clockwork“ mehr Songwriter-Album, als experimentelle Spielwiese. Stellenweise werden Erinnerungen an den Erstling von Unkle wach, wie in dem schlicht bemerkenswerten „Never Be The Same“, das wie geschaffen ist, nachts um 4 in einer halbleeren Diskothek den Raum mit einer betörenden Eleganz zu durchfluten. Schade nur, dass der Künstler gerade hier den Bruch mit den Konventionen sucht und diesen großartigen Popmoment kurzerhand cuttet, wie Scherenschnitte. Andere Songs erinnern an die poppigen Eskapaden von Roisin Murphy, als Moloko noch kein verblasster Fleck auf der Landkarte des Pop war. Und überhaupt. Dieses ständige Spiel mit der Dissonanz erhebt manchen Track geradezu beiläufig über die zahllosen Alternativen des Nu Jazz-Universums. Bis man sich am Ende endgültig verfängt in den zurück gelehnten Weiten dieses französischen Elektro-Wolkenteppichs… Da kann man hinterher dann auch gleich noch bei wigald-boning.jpgWigald Boning vorbei schauen und sich auf einen entspannten Trip in Richtung massentauglicher Jazz Klänge einladen lassen. Puristen des Genres werden „Jet Set Jazz“ sicher verschmähen, dennoch hätte man dem lieben „Die Doofen“-Frontmann gar nicht zugetraut, dass er ein solch anschmiegsames Kätzchen easy listningialer (was für ein Wort!) Gangart hinbekommt, ohne dabei ein paar Kratzer abzubekommen. Schon nach wenigen Minuten hat man vollends vergessen, wer einem da gegenüber sitzt: und das ist gut so. Da hat jemand schließlich schon lang genug versucht, witzig zu sein. Somit freuen wir uns über seine leichtfüßige musikalische Kapitulation vor dem eigenen Blödel-Image. Einfach umdrehen und richtig schön durchmassieren lassen von den Sounds von Christian Prommer (erst kürzlich beim Hafensommer in Würzburg am Start) und Konsorten. Hach. Da könnte man fast romantisch werden, wie der Musiker selbst, der sich mit diesem Album einen „Jugendtraum“ erfüllt: Musik für die langen Fahrten zwischen seinem Wohnort im Allgäu und dem Münchener Flughafen zu generieren. Am Ende entsteht daraus ein ambitionierter Easy-Listening-Entwurf mit elektronischer Perücke, den man sich nur allzu gern überstreift ohne sich damit der Lächerlichkeit Preis zu geben. Selbiges überlassen wir dann lieber den Jungs von Nashville Pussy. nashville-pussy.jpgDie zelebrieren auch anno 2009 immer noch die reinste Form dessen, was man unter Rock´n´Roll versteht. Dass sie damit auch auf „From Hell To Texas“ durchkommen, liegt einzig und allein daran, dass die Melodien sitzen. Sonst müsste dieser klägliche Versuch einen auf Kiss oder Alice Cooper zu machen, eigentlich sang und klanglos im luftleeren Raum zerschellen. Jedenfalls spürt man zwischen all den Klischees, die da abgefeuert werden immer noch eine tiefe Hingabe an die Musik. Ans Schwitzen auf der Bühne. An Stücke, die auf den großen Moment zusteuern und die gar nichts anderes können, als dem Hörer eine gute Zeit zu schenken. Kurz gesagt: Wer immer noch arschtretend auf dem Bett herum springt und sich in inniger Hingabe die Luftgitarre schnappt. Genau der sollte sich einen Track, wie „Dead Man Can´t Drunk“ oder eines der elf anderen Stücke rein pfeifen und dazu in selbst verliebter Pose seiner Leidenschaft zum Rock frönen. Alle anderen haben eh schon lang das Weite gesucht. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von: alexander nickel-hopfengart