// zuckerbeat vol. 74

Jetzt geht das schon wieder los, Green Day haben ihre Rockoper Nummer zwei aufgenommen. Eigentlich war der Vorgänger ja schon zum Scheitern verurteilt, aber dann hievte „American Idiot“ die Band kurzerhand aus dem Vorprogramm von Blink 182 ins Rampenlicht zurück. Da erschien selbst ein Duett mit U2 plötzlich nicht mehr allzu abwegig. Und jetzt muss […]

green-day1Jetzt geht das schon wieder los, Green Day haben ihre Rockoper Nummer zwei aufgenommen. Eigentlich war der Vorgänger ja schon zum Scheitern verurteilt, aber dann hievte „American Idiot“ die Band kurzerhand aus dem Vorprogramm von Blink 182 ins Rampenlicht zurück. Da erschien selbst ein Duett mit U2 plötzlich nicht mehr allzu abwegig. Und jetzt muss eigentlich nur noch das Revier verteidigt werden, dass da mit dem Vorläufer eingezäunt wurde. So schließt „21st Century Breakdown“ auch nahtlos dort an, wo der Vorgänger aufhörte. Die Songs schlagen Haken, stecken voller Melodien, die nur darauf warten von ganzen Stadien erwidert zu werden, man kann ohne Zweifel sagen: Green Day sind auf dem Höhepunkt ihres Schaffens angelangt. Wäre die Band Oasis, „21st Century Breakdown“ wäre ihr „Be Here Now“. Green Day sind an einem Punkt in ihrer Karriere angelangt, an dem sie sich alles erlauben können. Selbst eine rückwärtsgewandte Single, wie „Know Your Enemy“ wird der Band verziehen, weil hier ansonsten alles nur so strotzt vor Inspiration. Einfach das schmissige „Viva La Gloria“ abspielen oder das hymnische „East Jesus Nowhere“… und fertig ist die Tanzparty. Nun allerdings hat es die Band sich neben dem Hitreigen auch zum Ziel gesetzt, ihre ambitionierten Ideen an den Mann zu bringen. Und da kommt dann die zweite Hälfte der Platte ins Spiel. Eingeleitet von dem Foo Fighters-mäßigen Abgesang „Last Night On Earth“, erklingen im zweiten Akt plötzlich Clash-Anleihen mit Gypsy-Romantik („Peacemaker“), Beatles-Momente („Restless Heart Syndrome“) und zum Abschluss des Albums wird auch noch Bruce Springsteen gehuldigt („See The Light“). Irgendwo habe ich zuletzt gelesen, diesem Album sollen die Hits fehlen. Verdammt, das Ding ist eine einzige Hitsammlung, mit 18 Stücken so größenwahnsinnig, wie Godzilla auf Innenstadttournee. Green Day steuern mit „21st Century Breakdown“ geradewegs auf den Rockolymp zu. Die Wandlung zum Stadionact ist mit „21st Century Breakdown“ endgültig abgeschlossen. Ob man das nun geil findet oder nicht, muss jeder selbst entscheiden. Ich allerdings kann gar nicht genug kriegen von diesen Songs.

cursive1Und yes, es ist endlich da. Das neue Album von Cursive und „Mama I´m Swollen“ ist mal wieder unberechenbar ohne Ende. Die Band verpackt ihre Hits ja gerne mal in verquere Songstrukturen, deswegen muss man sich in ihre Alben meist erst reinhören. Dann aber entfalten sie sich, wie Blütenblätter. Die Songs strahlen in Richtung der aufgehenden Sonne, als wollten sie sagen: Hallo Welt, schön dich zu sehen. Nach einer ausgiebigen Pause von drei Jahren und internen Querelen ist den Musikern wohl klar geworden, dass es eigentlich doch ganz schön ist, in einer Band zu spielen. Die neuen Songs wirken so enthusiastisch und euphorisierend, dass man sich kurzerhand in einen reißenden Fluss stürzen möchte, um sich eine Abkühlung von dem heißen Scheiß zu verpassen. Cursive haben Blut geleckt. Sie neigen hin und wieder sogar dazu, den einen oder anderen Song einfach mal laufen zu lassen. Die Widerhaken der letzten Scheiben sind besser versteckt, als noch vor einigen Jahren. Aber leicht… leicht machen es Cursive einem immer noch nicht. So gibt es nach dem famosen Opener zum Beispiel Hinweise auf Edgar Allen Poe und Pinocchio, die den homogenen Fluss der Platte aber nicht weiter stören. Wer zudem beim beschwingten „Caveman“ nicht von der ersten Sekunde an mitwippt, wie Schiffschaukeln, der ist eh hoffnungslos in seine schlechte Laune verknallt. „Mama I´m Swollen“ ist wie eine Jamsession. Eine ungezwungene, nahezu rockige Platte. Eine echte Cursive eben mit allem was dazu gehört. Checkt sie aus…

jon-savage1…und feiert hinterher eure Jugend mit einer selbst kompilierten Scheibe von niemand geringerem als Jon Savage. Wobei, der feiert mit „Teenage“ wohl eher die Jugend derjenigen, die Anfang des 19ten Jahrhunderts mit Jazz, Blues & Swing groß wurden. Und ob feiern da der richtige Ausdruck ist, sei auch mal dahin gestellt. Das Album ergänzt jedenfalls sein Buch „Teenage: Die Erfindung der Jugend 1875 – 1945“ um die Komponente Musik und wirkt schon im Opener -einer Band namens „Gottlieb´s Orchestra“- so herrlich altbacken und beschwingt, dass man sich sofort auf die Tanzfläche stürzt. Dass 1911 schon solche Songs entstanden sind! Einfach bemerkenswert. Und schön zu sehen, dass sich endlich mal jemand traut – in diesem Fall das allseits beliebte Label „Trikont“ – das Ganze auch zu veröffentlichen. So hip und altbacken hat mich jedenfalls schon lange kein Tonträger mehr mitgenommen. Schöner wäre das ganze höchstens noch auf Vinyl. Da würde es dann noch schöner knarzen, wenn die alten Musical-Melodien und Jazz-Klänge den Raum fluten. Als zeitgeschichtliches Dokument, als sagen wir: Soundtrack zur Vorgeschichte dessen, was wir heute als „Teenager“ bezeichnen, strahlt dieses Album aber dennoch eine ganz besondere Faszination aus. Es wirft einen geradewegs in eine Zeitkapsel und transportiert einen ein knappes Jahrhundert zurück in die Vergangenheit. Schade, dass man damals selbst noch nicht zu den Songs tanzen konnte. „She´s Got „It““ von Ted Weems & His Orchestra wäre mit seinen beschwingten Pianoklängen nahezu perfekt dazu gewesen. Von Duke Ellingtons Song „The Cotton Club Stomp“ ganz zu schweigen. Da fühlt man sich allerdings eher als Trickfilmversion seiner selbst. Ich sag ja, einfach herrlich, die Scheibe.

hollywood-undead1Und wie sagt man so schön? Manche Sachen sind einfach nicht tot zu kriegen. Manche Musikstile auch nicht. NuMetal erlebt derzeit ein unsägliches Revival, was natürlich die Frage aufwirft: wann kommt da endlich Nachschub, damit die Teenies ihre ollen Limp Bizkit-Cds endlich aus dem Player nehmen und sie durch zeitgemäßere Klänge ersetzen. Falls ihr jetzt denkt, das Ding ist durch, da geht nix mehr. Falsch gedacht. Das Ding ist heiß, wie Himbeeren. Und man muss den Untoten aus Hollywood schon zugestehen, namenstechnisch hätten sie sich keinen schöneren Banner für ihr musikalisches Projekt einverleiben können. Hollywood Undead heißt der neueste Entwurf der Marke Rock meets Rap. Covertechnisch so in Slipknot-light entpuppt sich das Album als mitspringfreudiger Mix aus Papa Roach meets Iglu & Hartly („No Other Place“), Pink meets Linkin Park („Everywhere I Go“) und Eminem meets Limp Bizkit („Young“). Auf “Swan Songs” ist für jeden was dabei. Die Scheibe wird sowohl von Fans von Fall Out Boy ins Herz geschlossen werden, wie auch von denjenigen, die sich in den Indie-Dissen zu Marilyn Manson am Ausdruckstanz versuchen. Zumindest so lange, wie sie nicht allzu genau hinhören. Anfangs dachte ich noch, da kommt vielleicht so eine gewisse Ironie zum Vorschein. Überhaupt dachte ich, warum auch immer, dass die dieses ganze NuMetal Ding ironisch auf die Schippe nehmen. Vor allem weil niemand geringerer als Josh Freese von den Vandals bei einigen Songs am Schlagzeug saß. Aber nach dem Genuss folgender Textzeile: “Horny like a sickness, quickies with the quickness, pussy like it’s business, Work it like it’s fitness, Listen while I spit this game at all these bitches, now I’m gonna hit this and fuck it till I’m dickless…” da frage ich mich dann doch, ob Limp Bizkit nicht vielleicht Philosophen waren. Sorry, aber, ich bin ja vor Ewigkeiten auch zu Linkin Park im Kreis gesprungen, aber bei Hollywood Undead muss ich dann doch leider passen.

attwenger1Attwenger haben es derweil geschafft, ihren wunderbaren „Attwengerfilm“ mal eben auf DVD zu veröffentlichen. Das bedeutet Interviewverweigerung deluxe. Endloses herumfahren mit der Schrottkiste. Stundenlanges Labern über Nichtigkeiten. Den Job mit der Öffentlichkeitsarbeit lassen die Jungs lieber von Anderen erledigen. Jochen Distelmeyer von Blumfeld zum Beispiel, der sich zu der Aussage genötigt sieht, die Band mal eben als „…Nichts“, besser gesagt als „ein Häufchen Musikband“ zu bezeichnen. Was gibt es auch zu sagen, wenn die Musik eigentlich für sich selbst spricht. Dementsprechend wird lieber gefeiert. Und ja, es geht weiter, ist schließlich Ehrensache. Die Jungs sagen es ja auch selbst am Ende des Films: „schon allein deshalb, weil wir weiterleben“. Sympathischer geht’s nicht. Dementsprechend gibt’s zur DVD dann auch noch die Band-Doku aus dem Jahre 2005 mit dazu. „Attwenger Adventure“ ist ein hübsches Begleitvideo zum Bandalltag des jungen Regisseurs Markus Kaiser-Mühlecker aus Linz. Er hat die Band ein Jahr auf Tour begleitet und vor allem den Alltag der Jungs gefilmt. Dazu steht natürlich wieder der feinsinnige Blumfeld-Sänger Rede und Antwort, was wiederum nur umso deutlicher vor Augen führt, welchen großen Einfluss Markus Binder und Hans-Peter Falkner mit ihrer Musik auf die hiesige Indie-Szene ausüben. Kommt ja zugegeben recht selten vor, dass eine Band aus dem Volksmusik-Sektor von den Indie-Helden der Nation gefeiert wird. Attwenger schaffen es mit ihrer Musik dem ganzen Bierzelt-Größenwahn einen subtilen Unterton einzuhauchen. Sie stellen einen gekonnten Gegenentwurf zur platten Volksmusik-Szene da, wenn sie sich a la Sonic Youth in ein Feedback-Gewitter stürzen und damit dem volkstümlichen Sound neue Facetten entlocken.

wendy-mcneill1Wer derweil gerne mal einen Hauch von Balkan-Anleihen ins Ohr geflüstert bekommt, aber nicht unbedingt zum exzessiven Genuss von Wodka neigt, sondern eher so der Lagerfeuer-Typ ist. Der sollte sich vielleicht mal das neue Album von Wendy McNeill anhören. Auf „A Dreamers Guide To Hardcore Living“ gibt sie sich herzlich zerbrechlich, versprüht aber auch so eine gewisse Leichtigkeit, wenn sie ihre Folk-, Jazz- und Klaviermelodien in die Wagschale wirft. Einmal schön durchgerührt und fertig ist der romantische Soundtrack zum Sonnenuntergang. Damit die Sache allerdings nicht allzu gleichförmig gerät, werden hin und wieder auch noch ein paar verdrehte Chöre, Loops und Streicher aufgeboten. Alles in allem ein äußerst vielseitiges Liedermacher-Werk. So eine Art Mondscheinromantik-Pop, wie ihn schon das eigenwillige Cd-Cover andeutet.

dub-pistols1Die Dub Pistols haben nach Remixen für Lily Allen, U2 und Mika nun auch wieder eigenes Material am Start. „Rum & Coke“ schimpft sich das neue Zeug und versprüht mit seinen elektrisierenden Funk-Anleihen eine entspannte Urlaubsatmosphäre. Im Grenzgebiet zwischen Rock, HipHop, Soul und Ska wird alles verwurstet, was die Partymeute zum Glücklichsein verleitet. Das kann man jetzt unentschlossen finden oder die Hüften dazu schwingen. Kalt lassen dürfte dieser Sound nun wirklich niemanden. „I´m In Love“ featuring Lindy Layton & Rodney P zum Beispiel ist so ein anschmiegsamer Popsong, dass man nicht umhin kommt, sich entweder voll für oder gegen diese Scheibe auszusprechen. Aufgrund der anstehenden Sommermonate tendiere ich nach einigen Durchläufen allerdings eher zu ersterem. Das Teil ist rund, wie Bücher eckig. Und sorgt mit seinen unzähligen Gaststars für einen abwechslungsreichen Gesamteindruck.

inlove1InLove erzählen uns hinterher eine Geschichte von der Liebe. „Stories“ schmiegt sich an einen heran, wie eine schmusebedürftige Katze. Von DJ Cam gekonnt in Szene gesetzt, entfaltet das Werk einen betörenden Charme, der sich ganz offensichtlich bei Sade und Ella Fitzgerald bedient. Alle, denen romantische Popklänge die Pickel ins Gesicht treiben, sollten sich lieber eine Extra-Ration Clerasil, Clearasül, Klärasal oder was auch immer in den Schrank stellen. Das hier ist retro, wie Schlaghosen. Soul aus den 70ern steht bei InLove hoch im Kurs und sorgt zwangsläufig für Gähnfalten im Gesicht der Anti-Romantiker. Alle, die sich jedoch gerne auf eine jazzig angehauchte Reise einladen lassen und auch die große Pop-Geste nicht scheuen, sollten sich diesem aus der Zeit gefallenen Entwurf aber durchaus mal annähern.

kristina-sbjornsen1Anschließend wagen wir uns mal in die zerbrechliche Welt von Kristin Asbjornsen. Die 37jährige Norwegerin ist in ihrer Heimat gleich mal an die Spitzen der Charts geschossen. Und wer jetzt einen beschwingten Chartentwurf der Marke Norah Jones erwartet, der liegt schon mal gar nicht so falsch. Jazz, Gospel, Pop und Percussion vermischen sich auf ihrem zweiten Album „The Night Shines Like The Day“ zu einem entspannt vor sich hinlaufenden Popsound, der allerdings auf Dauer etwas ermüdend wirkt. Der eine oder andere Wachmacher hätte der Scheibe sicher gut getan. Die Songs bemühen sich zwar um eine facettenreiche Instrumentierung, aber so zur Hälfte hin, neigt man dann doch dazu, vollends abzudriften. Wer sich allerdings gerne von einem gehauchten Pop-Jazz-Entwurf die Seele massieren lässt, der sollte trotzdem mal reinhören. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.

// alxander nickel-hopfengart