// zuckerbeat vol. 75

Soviel Sommeratmosphäre wie im Eröffnungsstück ihres neuen Albums „Bitte Orca“ hätte man den Dirty Projectors gar nicht zugetraut. Das klingt ein bisschen so, als würden… ach lassen wir doch mal die Sache mit den Vergleichen. Ist doch öde. Also: Die Dirty Projectors sind eine Band, die sich beflügelt davon, das sie nun endlich eine vollwertige […]

dirty-projectors1Soviel Sommeratmosphäre wie im Eröffnungsstück ihres neuen Albums „Bitte Orca“ hätte man den Dirty Projectors gar nicht zugetraut. Das klingt ein bisschen so, als würden… ach lassen wir doch mal die Sache mit den Vergleichen. Ist doch öde. Also: Die Dirty Projectors sind eine Band, die sich beflügelt davon, das sie nun endlich eine vollwertige Gruppe sind, auf einen langen Spaziergang am Ufer eines sonnigen Sandstrands begibt, um sich dort in einen endlosen Jam in Richtung Sommersonne zu vertiefen. Kurz gesagt: diesem Album strahlt trotz vertrackter Rhythmen und Widerhaken die Sonne aus dem Arsch. Das finden dann nicht nur die Badegäste, sondern auch die Geheimniskrämer super. Die einen lassen die Seele zur Musik baumeln und waten mit nackten Füßen durch die sanft heranpurzelnden Wellenwogen. Die anderen verkriechen sich im Hotelzimmer, starren vom geräumigen Balkon auf das hektische Treiben am Strand und genießen es, zur Musik in süßen Gedanken zu schwelgen. Vorher sollte man das Album allerdings ein bis zwei Mal durchhören, damit sich die verqueren Songstrukturen in Wohlgefallen auflösen. Dann aber wird „Bitte Orca“ zu einem einzigen Hort der Glückseligkeit, der so spannend komponiert ist, dass man gar nicht genug davon bekommt.

taking-back-sunday1Die Jungs von Taking Back Sunday werden sich in den letzten Jahren derweil mehrmals die Augen gerieben haben. Da schossen doch plötzlich allerhand Bands aus dem Boden, die ihren Sound nachäfften und das nur, weil Screamo für kurze Zeit zum heißesten Scheiß der Stunde ernannt wurde. Viele dieser Nachzügler hatten allerdings nicht die Klasse der Jungs, die nun völlig zu Unrecht in der Flut der Veröffentlichungen unterzugehen drohen. Taking Back Sunday sind mit einer Gabe gesegnet – was sie von den anderen abhebt, ist: sie schreiben nachhaltige Songs. Die wütenden Passagen des Erstlings sind auf Album Nummer vier zwar weitestgehend ad acta gelegt und durch mitreißende Refrains ersetzt worden, aber was solls. Das Album rockt. Die neue Single „Sink Into Me“ ist ein kleiner Bastard, der stellvertretend für den Rest des Albums steht. Erst denkt man, den braucht doch kein Mensch. 08/15 Emo mit nicht allzu schöner Hookline. Aber wenn das Stück dann zum vierten Mal läuft, dann steht man plötzlich im Hausgang, reißt die Fenster auf und wartet darauf, dass die nächste Gewitterfront aufzieht, um die komplette Inneneinrichtung durcheinander zu wirbeln. Taking Back Sunday haben auf diesem Album eine ganze Reihe solcher Tracks am Start, die sich erst nach mehrmaligen Hören als fette Hits entpuppen. Man kann ihnen das in Zeiten gleichförmiger Kajal-Gangs gar nicht zu hoch anrechnen. Und mal im ernst, eine schönere Sommerhymne, wie „Summer, Man“ wird es in diesem Sommer wohl auch nicht mehr geben. Wer mal wieder Songs hören möchte, die wirklich von Bedeutung sind und echte Gefühle transportieren. Mit „New Again“ wird er glücklich werden.

warpet-tour-20091Amerikas größter Punkrock-Zirkus öffnet derweil auch in diesem Jahr mal wieder seine Tore. Passend dazu gibt’s die alljährliche „Vans Warped Tour Compilation 2009“, die mal wieder alles versammelt, was in der Punkrockszene Rang und Namen hat. Mit charmanten 51(!) Hits auf zwei Cds ist wirklich für jeden was dabei. Die alten Haudegen von NoFX, Bad Religion und Thursday teilen sich den Platz auf den beiden Silberlingen mit zahlreichen Jungspunden, die sich anschicken, das Feld von hinten aufzurollen. Dementsprechend beeindruckend grinst man dann auch zur Sommersonne, wenn Big D And The Kids Table den beschwingten Reigen nach fast drei Stunden Spielzeit beenden. Zuvor hat man sich allerdings gefragt, warum Anarbor nicht längst die öden Gesellen von Fall Out Boy aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geschubst haben. Oder warum The Ataris auf ihrem letzten Album nicht einen so wunderbaren Song, wie das hier vorhandene „All Souls Day“, zu Stande gebracht haben. Ebenfalls sehr gelungen: das sommerliche „The State Of Florida“ von den nimmermüden Grinsebacken Less Than Jake. Dazu ein wenig breitenwirksamer Poppunk von trendy Acts a la The Maine, Hit The Lights und Konsorten, die zwar sehr austauschbar klingen, aber in dieser gebündelten Form für ein entspanntes Sommerfeeling sorgen. Freunde der härteren Gangart freuen sich derweil über die wunderbaren Underoath oder schlagen sich zu The Devil Wears Prada den Schädel ein. Kurz gesagt, mit diesem Soundtrack zum Festivalsommer kann man gar nix falsch machen. Da holt man sich die Strandparty direkt ins Wohnzimmer. Und deshalb haben wir auch ein fettes Verlosungspaket zu dem Teil am Start. Mit Shirts, Alben und allem, was sonst noch so dazu gehört. Freut euch deshalb schon mal auf den nächsten Print-Zuckerkick. Da gibt’s alle Details zur Verlosung. Solange könnt ihr euch schon mal die Mucke reinziehen. Es lohnt sich wirklich – auch wenn die hierzulande leider spärlich unterschätzten Broadway Calls versehentlich unter falschem Decknamen auf dem Backcover stehen. Da steht nämlich Broadway Kills. Was die Mucke natürlich nicht weniger gut macht. Meiner Meinung nach der beste Pop Punk-Act seit Alkaline Trio. Und damit genug gelabert. Einfach Play drücken und abgehen.

tori-amos1Und hinterher vielleicht mal wieder ein entspanntes Bad genehmigen und die schöne, neue Scheibe von Tori Amos in den Player schieben. Nachdem sie auf ihrem letzten Album „American Doll Posse“ in diverse Rollen schlüpfte, ist die Künstlerin auf „Abnormally Attracted To Sin“ wieder ganz bei sich. Schon der Opener verspricht ein großes Hörerlebnis, so himmelhochjaulend, pardon – jauchzend, wie sie sich bei dem famosen „Give“ in stimmliche Höhen aufschwingt. Danach zeigt sie dann den üblichen Verdächtigen Marke Norah Jones und Konsorten, wie man Radiopop mit Tiefsinn kontert und dadurch etwas Nachhaltiges schafft („Welcome To England“). Die Songs hängen einem auch noch Stunden später im Ohr und sind so vielseitig arrangiert, dass sie auch über sechzehn Runden nicht langweilig werden. Dazu zeigen sie eine Künstlerin, die im wahrsten Sinne des Wortes ihre Maske abnimmt. Das Frontcover gibt die Richtung vor… dort wo Alanis Morissette aufgrund allzu gleichförmiger Sounds zuletzt in den tosenden Weiten der stürmischen Musikbranche ins Schwanken geriet, schippert Tori Amos unbeeindruckt zum Ziel und schafft das, was für eine Künstlerin ihrer Größenordnung wahrscheinlich am Wichtigsten ist: dass sich die Menschen ihre Platte nicht nur kaufen, sondern sich die Musik auch anhören. “Abnormally Attracted To Sin“ macht bewusst, dass im Hause Amos der Funke noch lange nicht erloschen ist. Das lässt die Scheibe zwar aufgrund ihrer Vielseitigkeit am Ende etwas zerrissen wirken, zeigt aber welches Potenzial auch auf dem zehnten Studioalbum noch in dieser Künstlerin schlummert.

contact-high1Den ziemlich abgefahrenen Streifen „Contact High“ vom österreichischen Regisseur Michael Glawogger sollte man sich derweil auf keinen Fall entgehen lassen, wenn man auf Filmstoff der Marke „Fear & Loathing In Las Vegas“, „Pulp Fiction“ und Westernklassiker a la „Spiel mir das Lied vom Tod“ steht. Der Soundtrack zum Streifen pendelt zwischen Bands, die gekonnt einen auf Morricone machen (Calexico mit dem famosen „Frontera“), freakigem Folk (auch wenn Devendra Banhart diesen Begriff wohl nicht sehr gerne über sich selbst hören würde) und geschmacksicherem Indie-Sound der Marke Get Well Soon. Der Titelsong wurde komponiert von niemand geringerem als Sven Regener, Frontmann von Element Of Crime, der auch das selbst gesungene Stück „Don´t Bogart Me“ beisteuert. Das Ganze wird dann noch gestreckt um einige Klassiker von Captain Beefheart und Roxy Music. Fertig ist die Wundertüte, die der „Psychedelic Roadmovie Western Komödie“ den passenden Schleier aus betörenden Melodien überstreift. Das Ding funktioniert so gut, dass es allen Freunden von Soundtracks der Marke „Death Proof“ und „From Dusk ´til Dawn“ das Wasser im Mund zusammen laufen lassen dürfte. Kurz gesagt: ein psychedelischer Trip der Sonderklasse.

kitsune-maison-71Die passende Elektrobreitseite für das Hier und Jetzt schleudert uns dann der neueste Wurf aus dem Hause Kitsuné um die Ohren. Auf der neuen Trendschleuder „Kitsuné Maison Compilation 7“ wird mal wieder alles angekarrt, was sich in den endlosen Elektro-Welten tummelt. Bekannte Namen, wie Phoenix, autoKratz und La Roux, treffen auf zahlreiche Soundentwürfe der tanzbaren Sorte, die mal schöne Erinnerungen an die Computerjockeys wecken (Beni – „Fringe Element (Short Like Me Edit)“ oder die japanischen Einflüsse mit einer gekonnten Klaviermelodie kontern (80 Kidz – „Miss Mars“). Nachdem man das letzte Mal eher darauf setzte, den Status Quo in Sachen elektronisches Trendbewusstsein zu zementieren, wird diesmal auf zukünftige Klangverfechter der poppigen Sorte gesetzt. Der Pop, der steht nämlich hoch im Kurs bei Kitsuné und wird von James Yuill ebenso befeuert, wie vom Two Door Cinema Club, der so unverschämt nach Phoenix klingt, dass man sich kurzzeitig fragt, ob das nicht vielleicht doch die Originale sind. Wer heute schon wissen will, was morgen in den Discos läuft, sollte sich das Teil hier auf keinen Fall entgehen lassen. So viel heißer Scheiß ist selten auf einer Cd versammelt.

men-without-pants1Und dann auf zur nächsten Partyrakete der Post Luftgitarren-Ära. Wo kommen die nur alle her, diese Neulinge im Rockbereich. Men Without Pants jedenfalls klingen wie die perfekte Fusion aus Primal Scream und Wolfmother – nur eben wesentlich zeitgemäßer und schmissiger. Das mag unter anderem daran liegen, dass hier niemand geringerer als Dan The Automator von den Gorillaz hinter den Regler steht. Zusammen mit Russel Simins von der Jon Spencer Blues Explosion und reichlich Stargästen der Marke Yeah Yeah Yeahs und Blonde Redhead wird hier voll auf die Kacke gehauen und die Rockstarpeitsche raus geholt. Wenn dann auch noch der unglaubliche Sean Lennon zum Mikro greift ist man vollends gefangen im schweißtreibenden Würgegriff, den „Naturally“ anlegt. Diese Scheibe will nichts anderes, als gefeiert werden. Und wir tun ihr den Gefallen.

j-dilla1Im Hause J Dilla scheint derweil die Veröffentlichungswut ausgebrochen zu sein. Mit „Jay Stay Paid“ erscheint nun schon der nächste Nachruf auf den renommierten Beatbastler. Im Gegensatz zur kürzlich veröffentlichten Songsammlung „Dillanthology“ gibt es auf dem Album aber auch mal neuen Stoff zu hören. Es ist schlicht faszinierend, wie der Künstler Nostalgie mit einem nahezu visionären Ideenschatz kontert. Die Scheibe klingt wie ein Mixtape vergangener Tage, aber die Songs sind keineswegs von gestern. Ganz im ernst… wer zu diesen instrumentalen Entwürfen durch ein Industriegebiet fährt, sieht die Welt plötzlich mit anderen Augen. Es ist, als schenke einem Dilla die Möglichkeit mit seinem Tracks durch Wände zu sehen. Es fühlt sich an, als kratze er an der Oberfläche und lege dadurch das Ursprüngliche hinter den Dingen frei. Ihr könnt das selbst überprüfen. Einfach die Scheibe in den Player stecken und wirken lassen. Selten hat man Sounds gehört, die so hingebungsvoll den Ursprüngen des HipHop huldigen und doch immer wieder neue Facetten von sich Preis geben. Mit zunehmendem Hörgenuss entpuppt sich das Album abseits der offensichtlichen Hits von Doom, Black Thought und Reakwon , als nahezu wegweißend. Und das drei Jahre nach dem tragischen Ableben dieses visionären Künstlers. Man muss es so sagen. Ein nahezu „unsterbliches“ Teil.

karamel1Irritationen ruft derweil das neue Werk von Karamel hervor. Klingt ja fast wie Kante meets Die Sterne, was die Band um Johann Scheerer (Cloud Hill Recordings) da abliefert. Nur düsterer, dramatischer, irgendwie spontaner und doch ebenso detailreich, durchdacht, effektbeladen. Karamel brauchen dazu keine „Maschinen“, wie sie es einem mit dem Albumtitel vorgaukeln. Die verlassen sich lieber auf ihr Gefühl und erzeugen damit ein anstrengendes, aber nach kurzer Eingewöhnungszeit, mitreißendes Hörerlbenis. Nach zwei Songs wird man dieses Album entnervt ausschalten oder sich vollends in der Musik verlieren. Die Band macht es einem nicht gerade einfach mit ihrem sperrigen Klangansatz. Die Tracks sind bis zu acht Minuten lang und schlagen Haken, bis man nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist. Alle die dachten, mit deutschsprachiger Popmusik ist es in den letzten Jahren stetig bergab gegangen, sollten sich dieses Monster hier anhören. Wenn zum Beispiel in „6/8“ Gisbert zu Knyphausen zum Duell antritt, bekommt man einen Querschläger nach dem anderen um die Ohren geballert. Dieses Songs sind gefährlich, Karamel suchen ihr Heil im Extrem. Nach dem ersten Durchlauf ist man überfordert. Nach dem zweiten angefixt. Nach dem dritten wie berauscht von dieser Platte. Es ist fast schon, als würde im Indie-Club plötzlich Krautrock gespielt und alle drehen durch. „Maschinen“ ist gerade aufgrund seiner Kompromisslosigkeit ein wegweisendes Werk. Es fordert dem Hörer alles ab und jeder muss am Ende selbst entscheiden, ob er bereit ist sich auf diese Wucht der Emotionen einzulassen.

cass-mccombs1Bei Cass McCombs ist die Sache wiederum schon nach den ersten paar Takten klar. Entweder man liebt die Musik oder man wendet sich anderen Dingen zu. Songwriterkunst steht und fällt in erster Linie mit der Stimme des Protagonisten. Nimmt sie einen ein, lässt man sich nur zu gerne auf eine kleine Geschichtsstunde einladen. Lässt sich Stories erzählen aus den Katakomben der Seele. „Catacombs“ ist also je nach Blickwinkel ein famoses oder verzichtbares Werk. Wer sich bei Calexico schwer verliebt an den heimischen Plattenspieler kuschelt oder zu den letzten Scheiben von Dylan von einer besseren Welt träumte. Dazu vielleicht noch eine gewisse Nähe zu dem musikalischen Schaffen von Conor Oberst verspürt. Der wird auch an diesem nostalgisch angehauchten Werk seine Freude haben. Eine gewisse Affinität zu romantisch verklärten Sounds vorausgesetzt. Der Titelsong von Cass McCombs könnte derweil ein moderner Klassiker des Songschreiber-Genres sein. Der Rest der Scheibe bietet gekonnte Alternativ-Perlen zu den Großen im Geschäft. Auf „Catacombs“ vereint sich die Sehnsucht nach der großen Liebe mit dem verklärenden Blick zurück auf Zeiten, in denen jeder Tag noch euphorischer begangen wurde, als der davir. „Catacombs“ ist des Künstlers Abgesang an die eigene Jugend. Ein wirklich gelungenes Werk für einen 32jährigen.

malcolm-middleton1Womit wir uns zum Abschluss noch mal einem Tune im Sinne der frühen Lemonheads widmen. Malcolm Middleton atmet auf „Waxing Gibbous“ den Sound der frühen 90er, vermischt das ganze aber mit einer gehörigen Portion Sonnenscheinpop a la Scouting For Girls. Man merkt dem Album an, dass es sich für den Künstler um eine echte Herzensangelegenheit handelt. Die zehn Songs, eingeläutet vom Tanzboden-Hit „Red Travellin´ Socks“, strotzen nur so vor Inspiration und Spielfreude. Der Ex-Arab Strap-per scheint einfach die Seele baumeln zu lassen und lässt die Stücke laufen. Immer wieder schlängeln sich aus den Songs nahezu beiläufig ein paar beschwingte Melodien, die selbst einen so klassischen Folk-Schmachtfetzen, wie „Carry Me“ vom spröden Charme der Kneipenhymne befreien. Stattdessen entsteht das erhabene Gefühl, hier mal wieder einem Album zu lauschen, dass alles kann, aber nichts muss. Malcolm Middleton wirkt wie ein nächtlicher Besucher, der sich seinen Weg bahnt, durch die von Laternen durchfluteten Straßenschluchten. Eine verlorene Seele auf der Suche nach einem schönen Platz mit Blick zum Mond. Womit wir dann auch am Ende wären. Lasst es euch gut gehen und genießt die Romantik. Bis zum nächsten Zuckerbeat.

// alexander nickel-hopfengart