// interview mit charlotte roche

Darauf hat die Welt gewartet. Die ehemalige „Fast Forward“ und „Tracks“- Moderatorin Charlotte Roche ist unter die Schriftsteller gegangen. Ihr Roman „Feuchtgebiete“ erzählt die Geschichte der 18jährigen Helen, die nach einer missglückten Intimrasur auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses landet. Am 31. März wird passend dazu eine Lesung im Würzburger Luisengarten stattfinden. Wir haben uns […]

Darauf hat die Welt gewartet. Die ehemalige „Fast Forward“ und „Tracks“- Moderatorin Charlotte Roche ist unter die Schriftsteller gegangen. Ihr Roman „Feuchtgebiete“ erzählt die Geschichte der 18jährigen Helen, die nach einer missglückten Intimrasur auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses landet. Am 31. März wird passend dazu eine Lesung im Würzburger Luisengarten stattfinden. Wir haben uns vorab schon einmal mit Charlotte Roche verabredet und ihr ein bisschen auf den Zahn gefühlt…

Hallo Charlotte, du hast jahrelange Erfahrung im Führen von Interviews. Wenn du dich selbst interviewen müsstest, mit welcherFrage würdest du beginnen?Oh mein Gott. Das käme natürlich darauf an, zu welchem Thema ich mich interviewen würde. Trotzdem scheinen viele Leute Angst zu haben, wenn sie mich interviewen. Einfach, weil sie denken: Die Charlotte hat schon so viele Preise gekriegt für ihre Interviews. Aber ich beobachte jetzt niemanden mit böser Miene bei seinem Interview und denke mir dann: Gott, wie kann man nur das und das fragen oder so. Ich bin eigentlich immer sehr nett zu den Menschen, die mir gegenüber sitzen.Das kann ich bisher nur bestätigen. Aber es gibt ja bestimmt auch Leute, die dich interviewen, die nicht allzu nett zu dir sind, oder?Nein, ich habe ehrlich gesagt bisher noch nie einen bösen Interviewer gehabt. Ich habe da echt Glück.Ich würde gerne ein bisschen deine Vergangenheit aufarbeiten. Dir ist 2004 von Viva gekündigt worden, obwohl du zuvor den Adolf Grimme Preis und den Bayerischen Fernsehpreis gewonnen hast. Was geht da in einem vor?Für die paar wenigen Fans von „Fast Forward“ war das natürlich ein Schock. Aber für mich hat sich das einfach nur natürlich entwickelt. Ich tat mir einfach mit der Zeit immer schwerer, die Sendung vor Einflüssen von außen zu schützen. Dazu wurde der Quotendruck immer größer und die Chefs wechselten so oft, dass man irgendwann keinen mehr richtig kannte. Und dann war da schon irgendwie klar, dass man wohl im schlimmen Streit auseinander gehen würde.Was ja dann auch so war…Stimmt, die letzten geplanten Sendungen haben wir auch gar nicht mehr produziert. Die hatten mir ein Limit gesetzt, so in der Art: Bis dann und dann drehst du das gefäl-ligst. Aber dann bin ich einfach vorher gegangen (lacht). Ich bin sozusagen vertragsbrüchig geworden.Du hast ja damals endlos viele Interviews geführt, unter anderem mit Pop-Größen, wie Robbie Williams, Madonna und Justin Timberlake. Da denkt man doch auch öfter mal „scheiße gelaufen“ oder?Es gibt schon ein paar Interviews, an die ich mich nur ungern zurück erinnere. Madonna zum Beispiel war schrecklich als Person. Ich saß da so ganz klein und total gut vorbereitet und sie war eine völlige Schweinebacke zu mir. Aber ich fand sowieso, dass sie ihre eigenen Mitarbeiter schlecht behandelt hat. Ich habe sie ja länger beobachtet und sie war immer nur unfreundlich. Zu jedem. Ganz schlimm.Das Interview hast du dann aber trotzdem gezeigt…Ja, das lief dann unter der Rubrik: „Wie man ein Interview so richtig versemmeln kann.“Und wer steht bei deiner Best Of-Liste ganz oben?Das war, als ich als der abgewichste Interviewer, der ja schon so(ooooooooooo) viele Interviews in seinem Leben geführt hat, Helge Schneider interviewt habe. Da habeich, als die Tür hinter mir zuging, nur noch geschrieen und Luftsprünge gemacht. Der Helge war da ganz ernst und hat völlig ohne Comedy auf meine Fragen geantwortet. Da war ich im Interviewhimmel auf Wolke 7. Am Ende hatten wir dann auch 40 Minuten Redezeit in der Sendung, wofür ich ja immer gekämpft habe. Ich meine, diese ganzen Interviews in drei Minuten, die können ja nur oberflächlich werden.Was hältst du denn so von dem Programm, das heute so auf Mtviva läuft?Ich stehe ja persönlich eher auf gutgemachte Independent-Filme. Außerdem laufen da nur noch so amerikanische Serien nach dem Muster „blondes Tittenmädchen trifft Surferboy“. Wenn ich das gucke, geht’s mir danach nur schlecht. Da lasse ich es lieber. Ich muss aber schon sagen: Bei mir ist es auch manchmal so, dass ich nach dem Ausgehen oder im Hotel Lust auf Chartmusik habe.Wirklich?Ja, sogar bei mir kommt das vor. Da will man dann Videos mit Christina Aguilera sehen, aber selbst die gibt es auf MTV ja nicht mehr. Ich bin vielleicht auch einfach zu alt für das heutige Musikfernsehen. Das ist ja eher was für Teenager.Du hast nach „Fast Forward“, neben der Moderation des Musikmagazins „Tracks“ auf Arte, auch eine ziemlich amüsante Version von „Wahrheit oder Pflicht“ mit Ferris MC und Mieze von mia. produziert, die aber nie gesendet wurde. Woran ist das Ganze gescheitert?Erstmal muss ich sagen: Das Video, das da gerade im Internet gelandet ist und von dem keiner weiß, wie es da hinkam, das ist schon fünf oder sechs Jahre alt. Jetztdenkt natürlich jeder, das ist topaktuell. Aber damals war das ein herber Rückschlag für mich. Ich war nämlich fest davon überzeugt, dass das Ganze eine gute Sache ist, aber dann haben uns alle Sender abgesagt. Jahre danach sind jetzt alle wieder aufgeregt, was ich total künstlich finde. Wenn jetzt alle kommen und sagen: „Mach doch so was.“ Dann kann ich nur entgegen: „Ja, das wollte ich ja vor sechs Jahren mal machen, aber kein Sender wollte es haben.“ Ich meine: Auch heute würde das kein Sender nehmen. Die Internet-Community findet das zwar super, aber in der normalen TV-Landschaft ist dafür kein Platz.Gehen wir doch mal ein wenig weg vom Fernsehen. Du hast ja erst kürzlich eine Lesung für den „Bildblog“ gemacht. Das ist eine Homepage, die akribisch die Bild-Zeitung nach Falschaussagen durchleuchtet und selbige offen legt. Du beziehst als Person seit Jahren offensiv Stellung gegen die Bild-Zeitung. Besteht aber bei einem solchen Blog nicht auch die Gefahr, dass man gerade dem Medium noch mehr Aufmerksamkeit beschert, das man eigentlich am meisten verflucht?Ich finde es ehrlich gesagt toll, dass es den Blog gibt. Ich meine: Jeder weiß, dass die Bild-Zeitung lügt und zwar in fast jedem Artikel. Die schlampen, die machen Fehler, aber die wollen auch ganz bewusst die Politik steuern in Richtung CDU oder was auch im mer. Jetzt gibt es endlich den „Bildblog“ als Beweis für alles, was die Bild-Zeitung falsch macht. Trotzdem mache ich mir etwas Sorgen, um diejenigen, die ihn betreiben.Wieso das?Ich meine, die wühlen da jeden Tag in dem ganzen Dreck. Ich weiß nicht, was das auf Dauer für Folgen hat, wenn man sich jeden Tag mit diesen Idioten von der Bild-Zeitung beschäftigen muss. Die müssen das ja alles lesen (lacht). Dadurch, dass ich die Bild-Zeitung und jeden, der da arbeitet, so sehr hasse, würde ich mir die auch niemals kaufen. Nicht mal, wenn mir jemand sagen würde, dass ich da drin bin. Dann würde ich denen ja auch noch Geld geben. Und diese Leute, die opfern sich in gewisser Weise für uns auf, sich diesen Schund jeden Tag durchzulesen. Natürlich kann da jetzt der zynische Bild-Mitarbeiter sagen, das wäre Werbung für seine Zeitung. Meiner Meinung nach ist es aber die perfekte Anti-Werbung. Ich hoffe ja, dass dieser Blog bewirkt, dass keiner mehr diesen Mist kauft.Dann wäre der Blog aber auch tot…Ich denke, das würde man dann dankbar in Kauf nehmen (lacht).Dein neuer Roman, aus dem du auch in Würzburg lesen wirst, heißt „Feuchtgebiete“. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist das Ganze eine Art Liebesgeschichte mit hohem Ekel-Faktor…Charlotte (unterbricht): Ja(aaaaaa), es kommt zwar einerseits viel Blut darin vor, aber der Roman ist genauso warm und menschlich. Es geht vor allem um den weiblichenKörper und um sexuelle Dinge. Selbstbefriedigung und so…Ist das Buch denn autobiografisch?Charlotte (lacht): Teilweise ist es das natürlich. Ich meine, es gibt Autoren, die sich absichtlich wegpositionieren und sagen, ihr Roman wäre reine Phantasie, um damit die literarische Leistung zu vergrößern. Denn wenn man sagt, das Buch hat starke autobiografische Züge, dann könnten die Leute ja kommen und sagen: „Ja, ich kann auch mein Leben aufschreiben. Das kann ja wohl jeder.“ Aber ich mag diese Romanfigur aus dem Buch so gerne, weil sie viel von mir selbst hat und auch teilweise so ist, wie ich früher gerne gewesen wäre. Es wäre also ein völliger Verrat, wenn ich sagen würde, das Ganze hat nichts mit mir zu tun. Es hat ganz im Gegenteil sehr viel mit mir zu tun.Eine Freundin von mir sagte kürzlich: Sie würde das Buch sehr gerne lesen, aber sie glaubt ihr würde dabei schlecht werden…Charlotte (schmunzelt): Es kommt natürlich darauf an, wie hart gesotten man ist. Für manche ist es wahrscheinlich eine Mutprobe, das Buch zu lesen. Andere sind einfach nur abgeturnt von dem Ekelfaktor. Da frage ich dann immer: „Ja, wo denn? Welche Stelle?“ Und dann sage ich: „Das ist doch eigentlich eine lustige Stelle.“ Ichhabe also ganz offensichtlich eine andere Ekel- Vorstellung als andere. Denn dieses Buch ist ganz bestimmt nicht geschrieben worden, damit die Leute sich vor ihm ekeln.Trotz allem: Worin liegt denn für dich der Reiz so explizit über Verletzungen, Körpersäfte oder geschwollene Hämorrhoiden zu schreiben?Die Geschichte des Buches ist ja, dass ein Mädchen wegen Hämorriden im Krankenhaus liegt. Da spielen natürlich sehr viele anale Geschichten mit rein, aber auch Themen wie Selbstbefriedigung und weibliche Geschlechtsorgane. Der eigent- liche Grund für das Schreiben des Buches war, dass ich eine Geschichte über weibliche Gerüche erzählen wollte. Es wird ja heutzutage so ein Kampf gegen den weiblichen Körper geführt. Ich sage nur: parfümierte Slipeinlagen. Das impliziert ja der Frau, dass sie eigentlich stinkt, auch wenn sie geduscht hat. Dass da also ein Geruch im Intimbereich der Frau ist, der unbedingt mit Chemikalien abgetötet werden muss.Wozu führt das deiner Meinung nach?Na ja, das führt dazu, dass man als Frau verklemmt. Und da war dann so eine Wut in mir gegen diese Seifen- und parfümierte Slipeinlagen-Industrie. Dievermitteln der Frau einfach etwas Schlechtes. Und ich bin da dann auch nicht zimperlich. Ich wollte eine wahrhaftige Beschreibung der weiblichen Lust und des weiblichen Körpers machen. Aber eben eher positiv angelegt: So in der Art: Auf diese Weise kann eine weibliche Heldin mit ihrem Körper umgehen. Trotzdem ist die Protagonistin in meinem Buch nicht nur cool und selbstbewusst. Sie schämt sich auch sehr viel. Und ich bin, was gewisse Sachen angeht, auch sehr schamhaft. Auch wenn das jetzt mal wieder keiner glaubt.In welcher Hinsicht denn schamhaft?Ich traue mich zum Beispiel nicht, mit meinen Freundinnen über solche Themen zu reden. Und da ist es jetzt eben einfacher für mich, ein Buch darüber zu veröffentlichen.Bei der ganzen Sache spielt ja auch eine gewisse Form von Neugier eine Rolle. Gibt’s Dinge, vor denen du so viel Angst hast oder die du so ekligfindest, dass du sagst: da lasse ich lieber die Finger davon?Ne, ich gucke lieber hin, als dass ich wegschaue. Wenn ich im Krankenhaus wäre und da liegt eine gute Freundin mit einer Wunde, dann will ich da immer das Pflaster abziehen, um zu sehen was da drunter steckt. Im Buch und bei mir ist es ja auch so, dass man durch Konfrontation trainiert, keine Angst mehr zu haben, weil man später vielleicht selbst mal jemandem helfen möchte. Ich will niemand sein, der kein Blut sehen kann, weil ich dann in Ohnmacht falle. So kann ich niemandem helfen, auch als Mutter. Ich überfordere mich lieber selbst mit ekligen Gedanken, weil das Leben nun mal eklig ist.Wirst du deine Lesungen denn bebildern?Auf keinen Fall. Das wird eine ganz klassische Roman-Lesung.Hast du mal überlegt, die ganze Geschichte in Krankenhäusern durchzuführen?Nein. Es gibt schon Magazine, die so Ideen haben, dass man im Krankenhaus Fotos mit mir macht oder mir medizinische Geräte in die Hand gibt. Da weigere ich mich komplett. Jeder seriöse Autor stellt ja keine Szene aus seinem Roman nach. Warum sollte man auch? Es geht ja darum, dass das Ganze bei den Leuten im Kopf passiert. Da muss man keine Hämorrhoiden-Operation auf der Bühne dazu durchführen.Da würden dann auch sicher einige rausgehen oder umkippen…Ja, aber meistens ist die Phantasie der Menschen ja viel schlimmer, als die Bilder. Und in Ohnmacht sind die Leute bisher nur bei meiner Doktorarbeit gefallen. Das The-ma war: „Masturbation mit einem Staubsauger“.Wie jetzt? Die sind in Ohnmacht gefallen? Bei der Masturbation oder der Lesung?Bei der Lesung.Aber ihr habt sie dann schon wiederbelebt oder?Nein, die sind alle von allein wieder aufgewacht. So eine Ohnmacht ist ja nichts Schlimmes. Da muss man einfach nur abwarten.Du verarschst mich jetzt oder?Nein, wenn man in Ohnmacht kippt, atmet man ja noch. Das sieht nur alles so hochdramatisch aus. Aber das Besondere war: Die Ohnmacht kam immer, bevor die Bilder gezeigt wurden. Das spielt sich alles im Kopf ab. Durch die reine Kraft des Wortes und der Phantasie. Weil sich die Leute dann ganz genau ausmalen, wie eklig das jetzt ist.Und das Thema deiner Doktorarbeit hieß wirklich „Masturbation mit einem Staubsauger“?Ja, das waren Männer… denen ist teilweise die Vorhaut oder der ganze Penis abgerissen worden. Manchmal wurde auch die Eichel abgeklemmt. Das war teilweise sehr lustig, aber manchmal eben auch sehr, sehr schmerzhaft, und da sind dann manche nicht damit zu Recht gekommen.Interessant… Wie kommt man denn überhaupt auf so ein Thema für eine Doktorarbeit?Charlotte (lacht): Ach, das ist mir einfach so zugeflogen. (kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen). Ich bin so. Sexualität im Zusammenhang mit Medizin scheint mich magisch anzuziehen.Na dann. Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview und bis bald in Würzburg.// das interview führte alexander nickel-hopfengart