// autobusse fliegen nicht

Maierfilz ist ein unbedeutender Ort in Niederbayern, der sogar so un-bedeutend ist, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt.In Maierfilz steht das Kunststoffwerk Laubenthal. Alle Maierfilznerarbeiten bei Laubenthal. Laubenthal ist marktführend in der Entwicklung und Produktion von Gummistiefelsohlen. Laubenthaler Gummistiefelsohlen werden sogar nach Kirgisistan, in den Oman oder SierraLeone exportiert. Gustav Laubenthal, der das Laubenthaler […]

Maierfilz ist ein unbedeutender Ort in Niederbayern, der sogar so un-bedeutend ist, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt.In Maierfilz steht das Kunststoffwerk Laubenthal. Alle Maierfilznerarbeiten bei Laubenthal. Laubenthal ist marktführend in der Entwicklung und Produktion von Gummistiefelsohlen. Laubenthaler Gummistiefelsohlen werden sogar nach Kirgisistan, in den Oman oder SierraLeone exportiert. Gustav Laubenthal, der das Laubenthaler Kunst-stoffwerk gegründet hat, ist ein überzeugter Sozialist. Sein Lebens-motto lautet: „Geht es den Arbeitern gut, geht es auch der Fabrikgut.“ Deswegen hat er beim Bau des Kunststoffwerks die zwei Bauernhöfe abreißen lassen, aus denen Maierfilz damals bestand undhat dafür viele, kleine, graue Häuschen mit centstückgroßen Vorgär-ten hingestellt. Ganz gleich, ob gewöhnlicher Arbeiter oder Personal-chef. Jeder bewohnt ein solches Häuschen. Gustav Laubenthal eben-so. Er ist auch ein großzügiger Mann und fördert die MaierfilznerInteressengemeinschaften. Für den Kegelverein hat er Lederschuhemit glatten Rutschsohlen gestiftet. Den Fußballclub hat er mit Trikotsausgestattet. Die Cheerleader haben Glitzerkostümchen bekommenund für den Bridgeclub hat er Plüschsessel gekauft. Man sieht, dassGustav Laubenthal an jeden Maierfilzner gedacht hat.In Maierfilz gibt es ein Krankenhaus, einen Kindergarten, eine Grundschule mit angeschlossenem Gymnasium, ein Altenheim und einenFriedhof. Es ist für jeden gesorgt.Den Tag über, wenn alle im Kunststoffwerk arbeiten und die Kinderin den Bildungsstätten lernen, ist es ruhig. Die Maschinen klappern inder Fabrik, über die Tafel kratzt die Kreide. Alles ist ordentlich, gleichund grau – wie es sich für Maierfilz gehört! Nur einer störte dieses beschauliche und friedliche Bild und das warder Spast Herman! Herman war der Einzige in Maierfilz, der geistig gestört war.Eigentlich sollte es Herman gar nicht geben.Als es damals öffentlich wurde, dass Hermans Mutter einen Krüppelzur Welt bringen sollte, besuchte Gustav Laubenthal sie und riet ihrzur Abtreibung. Doch Hermans Mutter blieb stur und brachte Her-man zur Welt und er war der erste Spast von Maierfilz! Da GustavLaubenthal nie mit einem wie dem Herman gerechnet hatte, gab esauch nichts in Maierfilz, wohin man Herman hätte stecken können.Man versuchte Herman zu ignorieren, wenn er seinen Körper aufKrücken über das Pflaster schleifte. Man ging ihm aus dem Weg, da-mit man sein Gesicht nicht angucken musste. Denn das war ekelhaft, ähnelte dem des Philosophen Sartre, das heißt, Hermans rechtesAuge schielte nach oben, das andere nach unten. Geistig war Her-man schwach, ganz schwach. Er war plemplem. Aber so war das da-mals, denn einen Herman gibt es nicht mehr in Maierfilz.Eines Tages stand nämlich ein kanariengelber Autobus vor HermansHaus. Er hatte diesen heimlich gekauft, obwohl er keinen Führer-schein hatte, da es Spasten in Maierfilz verboten ist, einen Führerschein zu erwerben. Doch das war nicht Hermans einzige verrückteIdee. Herman begann in seinem centstückgroßem Vorgarten zu gra-ben. Er buddelte und schaufelte kniend ein Loch, das nach einigerZeit zu einem Krater anwuchs und schließlich ein Tunnel wurde, derschräg in die Erde abwärts führte. Die braven Maierfilzner dachten, dass Herman einen Karpfenteich anlegen wollte, später hielten sie esfür eine Müllentsorgungsgrube. Je tiefer Hermans Tunnel wurde, des-to mehr weiche, braunschwarze Erde türmte sich vor seinem Hausund auf der Straße auf. Das wurde den Maierfilznern irgendwannzu viel und so baten sie Gustav Laubenthal mit Herman zu reden.Der setzte sich auch gleich in sein Auto und fuhr zu Herman. „Hal-lo Herman!“ brüllte er in den schwarzen Tunnel hinunter. Nach einerhalben Stunde kam Herman von Kopf bis Fuß mit Erde beschmiert,heraus gekrochen. „Guten Tag, Herman,“ sagte Gustav Laubenthalin dem freundlichstem Ton, den er gegenüber dem Spast anschla-gen konnte. „Was soll denn das werden?“ Herman starrte mit of-fenem Mund in den blauen Himmel. „Ein Tunnel, nicht wahr? Und du machst deinen ganzen Garten kaputt. Pfui, Herman. Schämst dudich denn nicht?“ Herman guckte noch immer in den Himmel. EinMarienkäfer landetet auf seiner feuchten Unterlippe. „Und diesesGefährt da, hähh?“ Aus Hermans Mund lief Speichel. Gustav Lau-benthal wurde sehr unruhig und begann Herman zu schütteln. „Du Dreckssack,“ schimpfte er. „Vom Tellerwäscher zum Millionär,“ heulte Herman plötzlich auf. „Wie?“ „Australien.“ „Du Spast! Glaubst du,dass man mit einem Bus quer durch die Erde nach Australien fahrenkann? Du Hirntoter!“ Plötzlich ließ Laubenthal Herman los, der so-fort in seinen Tunnel zurück kroch. Eine Lachsalve erfasste Lauben-thal. Er schüttelte sich vor Lachen, bis ihm die Tränen kamen. Dannstieg er in sein Auto und fuhr davon. Doch Herman ließ sich nicht ab-bringen und grub weiter.Eines Tages war der kanariengelbe Autobus verschwunden und Her-mans Tunnel eingestürzt. Herman war weg. Ganz Maierfilz seufz-te erleichtert auf. Herman wurde für tot erklärt, man pflanzte einKreuz in seinen Garten, sähte Gras und spritzte die Erde von der Stra-ße weg.Doch ein Jahr später bekam Gustav Laubenthal eine Postkarte ausAustralien mit einem Känguru darauf. Diese war vor zwei Wochen in Sydney abgeschickt worden. „Herman geht gut!“ stand dort krake-lig geschrieben und ein Herz war daneben gemalt.// von johanna schricker