// zuckerbeat vol. (1)22 – Wirbeln, Wind, Schwebeschwindel…

Ein musikalisches Bilderbuch in elf Akten präsentiert uns eine Band gleichen Namens und landet mit „Nelken & Schillinge“ irgendwo zwischen Chikinki und Franz Ferdinand, unter der Bedingung, dass die sich den Sänger von den Fotos als Protagonisten engagieren. Deutschsprachiger Indiepop klang selten so mitreißend, wie im Opener „Calypso“ oder im kurz darauf folgenden „Kopf ab“. […]

bilderbuch_nelkenschillEin musikalisches Bilderbuch in elf Akten präsentiert uns eine Band gleichen Namens und landet mit „Nelken & Schillinge“ irgendwo zwischen Chikinki und Franz Ferdinand, unter der Bedingung, dass die sich den Sänger von den Fotos als Protagonisten engagieren. Deutschsprachiger Indiepop klang selten so mitreißend, wie im Opener „Calypso“ oder im kurz darauf folgenden „Kopf ab“. Eine gewisse Sympathie für Bands, wie Selig oder Konsorten mit eingeschlossen und man wird diese Platte feiern, wie Weihnachten und Ostern zusammen. Der Rest wird sich fragen, was daran jetzt schon wieder so geil sein soll. Ich kleb noch irgendwo zwischen Zeilen und bin hin- und hergerissen. Ist ja auch mal nicht schlecht: Musik, die aneckt.

retribution_gospel_choir-2-300x300Aus dem Hause Sub Pop schwirren uns derweil einige bezaubernde Indie-Hymnen entgegen. Man möchte auf der Stelle das Fenster aufreißen, um diese Perlen der ganzen Welt zu offenbaren. Schon der Opener des Retribution Gospel Choir-Albums „2“ schickt einen runter in den Keller, schaltet einen Lichtkegel ein und lässt die bunten Dioden wie wild im Takt flackern. Mit zunehmender Dauer werden dazu Gitarrenwände aufgeschichtet, dass man sich in einen dauerhaften Headbang-Modus versetzt sieht. Diese Scheibe schreit geradezu nach dem Live-Erlebnis, die Band schafft es aber trotzdem diese geballte Energie vollends auf Silberling zu transformieren. Was Low Frontmann Alan Sparhawk und Low Bassist Steve Garrington hier fabrizieren steht dem Schaffen ihrer Hauptband nicht im Geringsten nach. Sie puzzeln uns ein schönes Motiv aus Ozzy-, Hard Rock und Power Pop Versatzstücken zusammen, das einfach nur gefeiert werden möchte.

dietmar-dathDer ehemalige Spex-Chefredakteur und Faz-Kulturelle Dietmar Dath postuliert in seinem bereits vor zwei Jahren erschienenen Roman auf literarische Weise „Die Abschaffung der Arten“. Mit reichlich Verspätung sei hier nun erstmals auf dieses Werk hingewiesen, dass sich in gewissem Maße in Form einer Science-Fiction-Geschichte mit der Utopie einer Welt, die lediglich von Tieren bewohnt wird, auseinander setzt. Die Handlung umschifft im ersten Kapitel einen Kulturkampf zwischen Gente (=Tieren) und Keramikanern (Keramikmaschinen), die sich nach dem Ableben der Menschheit um die Vorherrschaft auf dem Planeten streiten. Im zweiten Teil werden die sich zukünftig bildenden Gesellschaftssysteme auf Venus und Mars nachgezeichnet, wobei es einem der Autor nicht unbedingt leicht macht, ihm dabei auch zu folgen. Viele seiner Geschichten verlaufen sich auf ihrem Weg durch die Atmosphäre und bisweilen droht der Leser vollkommen den Faden zu verlieren. Teilweise eröffnet einem aber gerade das die Möglichkeit, sich selbst in den Schlupflöchern der Geschichte zu verstecken und die abstrakten Ansätze zu Ende zu denken. Irgendwann scheint sich Dath selbst der Ausweglosigkeit seines Ansatzes – oder im weiteren Sinne – unseres ganzen Daseins, bewusst zu sein. „Alles hier handelte von gar nichts.“ … „Wenn doch einmal die Frage nach Wahrheit aufkam, statt nur nach dem, was man halt so zu reden bestimmt war, dann ging es dabei um eine Art Neuigkeiten, die von folgenlosestem Quatsch nicht zu unterscheiden war…“ – irgendwie bemerkenswert, wie nahe er damit doch an unserem Alltag dran ist. Bemerkenswert und traurig zugleich. Ein Werk, dessen wahre Größe sich auch zwei Jahre nach Veröffentlichung nur bedingt bestimmen lässt. „Die Abschaffung der Arten“ ist ein Tierroman für Fortgeschrittene. Man könnte fast sagen: er ist ein Buch für all jene, denen das stumpfe Dasein unter dem Banner der Unterhaltungsindustrie so langsam auf die Nerven fällt. Dietmar Dath schreit nach Evolution, um am Ende festzustellen, dass der Kreis letztlich doch in der Mitte beginnt.

PrintHappy Birthday klingen derweil, als wollten sie dem Indie-Süßwarenladen Marke Los Campesinos und We Have Band noch ein paar schmackhafte Leckereien hinzufügen. Mit dem beschwingten Opener „Girls FM“ ihres gleichnamigen Albums sollte ihnen die örtliche Tanzfläche zu Füßen liegen, mit dem darauf folgenden „2 Shy“ dürfte ihnen jeder Fan von Dinosaur Jr. willenlos um den Hals fallen. Happy Birthday verstehen es auf charmante Weise nostalgisches Flair mit einer Portion Nerd-Attitüde zu vermengen und was das Schönste dabei ist: es macht einfach nur Spaß ihnen dabei zuzusehen. Wenn Weezer irgendwann mal aufhören sollten, nur noch Popsongs zu schreiben und „Pinkerton“ ins Extreme überführen würden, dieses Album könnte dabei raus springen. Alles in allem: Frech, gewitzt und äußerst gelungen.

fursaxaEtwas irritierend muten die Field-Recordings mit Harfenunterstützung aus dem Hause Fursaxa an, die sich da aus den Boxen schlängeln, während das Album „Mycorrhizae Realm“ mein Wohnzimmer in einen Urwald transformiert. Irgendwie creepy, die Scheibe, so als würde in einem alten Geisterhaus eine Fensterscheibe zerspringen und sich ein heftiger Luftzug seinen Weg durch die alten Gemäuer bahnen. Die meditativen Songs laden geradezu dazu ein, die Augen zu schließen und sich in träumerische Zwischenwelten hinfort zu zaubern. Alles in allem trotzdem nichts für schwache Nerven.

trihggerTriggerfinger bewegen sich derweil auf nicht ganz dem Terrain, das man vom lieblichen „Haldern“-Label erwarten durfte. Für deren Album „What Grabs Ya?“ standen nämlich nicht etwa die üblichen Verdächtigen, wie Sigur Ros oder Kings Of Convenience Pate, sondern so brachiale Rockbärte, wie ZZ Top und Led Zeppelin. Dementsprechend dürfte das Teil dann auch ein gefundenes Fressen für Luftgitarren-Fanatiker sein. Freunde von Queens Of The Stone Age können ebenfalls mal reinschnuppern. Vielleicht poltert „First Taste“ dann demnächst auch auf ihrer Stereoanlage in Dauerrotation. Mir persönlich ist das Trio aus Belgien allerdings eine Spur zu breitbeinig unterwegs, auch wenn man im aufgeheizten Club sicher ganz gut zu diesem Sound hier durchdrehen kann.

erikpennybendErik Penny könnte demnächst den Kings Of Convenience den Rang ablaufen, wenn er weiter so tolle akustische Klampfer abliefert, wie auf seinem aktuellen Album „Bend“. Die Scheibe strotzt geradezu vor Songperlen, die man sich am liebsten an einem einsamen Strand im Licht der Morgensonne zu Gemüte führen möchte. Alle, die gerade schlimme Erinnerungen der Marke Jack Johnson ereilen, dürfen derweil gerne ein bisschen lästern. Da schwingt schon so ein bisschen Hochglanz-Surfer-Atmo mit, aber irgendwie wirkt das im Fall Penny so herrlich unverbraucht, dass man seine Zeilen nur zu gerne auf Endlosschleife stellt.

the-soundsDie Lieblingsband eurer Lieblingsband hat derweil auch mal wieder ein neues Album am Start und vielleicht klappt es ja diesmal mit dem Durchbruch. Soundtechnisch haben The Sounds schließlich schon seit dem Erstling glitzernde Gitarre-Pop-Songs im Gepäck, wie sie die Jungs und Mädels von Dover wohl schreiben würden, hätten sie sich dann nicht doch für unsägliche Dance-Pop-Attacken entschieden. „Crossing The Rubicon“ jedenfalls besticht durch eine hohe Hitdichte Marke Blondie meets Hole. Mit Unterstützung von James Iha aus dem Hause Smashing Pumpkins und Adam Schlesinger (Fountains Of Wayne) sollte es diesmal nun wirklich klappen. Diese Platte hat zwölf passende Argumente in Sachen Indie-Disco parat, zu denen sich alle im Blitzlicht der Tanzfläche die Schweißperlen um die Ohren hauen. Zeitlupenmodus einschalten und vorspulen. Und dann auf ins Meer der Gefühle. Bis zum nächsten Zuckerbeat.