// zuckerbeat vol. (1)68 – wir glauben an gar nichts und wir sind nur hier wegen der gewalt

Von Selig mag jeder halten, was er mag. Für mich persönlich gehört die Band zum Besten, was in Sachen Deutschrock jemals auf die Bühne gestapft ist. „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ schafft es dabei zwar nicht, an die psychedelische Großtat namens „Blender“ heranzureichen, strotzt aber stattdessen vor Melodien, die an „Ist es wichtig“ und „Sie hat […]

selig1Von Selig mag jeder halten, was er mag. Für mich persönlich gehört die Band zum Besten, was in Sachen Deutschrock jemals auf die Bühne gestapft ist. „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ schafft es dabei zwar nicht, an die psychedelische Großtat namens „Blender“ heranzureichen, strotzt aber stattdessen vor Melodien, die an „Ist es wichtig“ und „Sie hat geschrieen“ andocken, so dass der Kassenschlager schon mal gesichert sein dürfte. So wie die Jungs mit „5.000 Meilen“ loslegen, deutet alles darauf hin: die wollen es noch mal wissen. Selig möchten ins Stadion und die euphorische Reaktion auf ihre Club-Tour lässt den Schluss zu, dass hier durchaus noch Entfaltungspotenzial besteht. Alles in allem überholt die Band ihr gelungenes (Comeback-)Album noch mal mit links und reiht reihenweise Hits aneinander, die jeden Radiohörer den Glauben an gute Musik zurückgeben werden. Regler rauf und „Freier Fall“ voraus. Selig sind zurück. Und irgendwann macht Jan Plewka wieder den Rio Reiser… Wollen wir wetten?!

morrisseyMorrissey veröffentlicht derweil in regelmäßigen Abständen eine Compilation nach der nächsten und hat nun sogar eine alte Songzusammenstellung re-releast. Schlicht unglaublich ist das, aber der Smiths-Sänger kann es sich leisten, hat er doch einen ganzen Haufen herzerwärmender Songschwerenöter im Gepäck, die jedem Indie-Anhänger die Herzklappen öffnen. „Bona Drag“ ist im Original ein Werk aus dem Jahre 1990 und versammelt vor allem die Songs aus der frühen Schaffensphase des Solo-Künstlers. Mit „Everyday Is Like Sunday“ (das netterweise auch als Vinyl-Single erhältlich ist) und „Suedehead“ sind dann auch zwei ganz dicke Fische im Netz, zudem gibt’s sechs bisher völlig unveröffentlichte Tracks als Zugabe, die den Klassikern in Nichts nachstehen. Vor allem das zauberhafte „Happy Lovers At Least United“ eignet sich ganz vorzüglich, um die Liebste aufs Riesenrad einzuladen, ihr Kopfhörer überzustülpen und Morrissey den Rest in Sachen Mondschein-Romanze erledigen zu lassen. Hach, einfach schön.

jonesbo_headhunterAls Kontrastprogramm dazu eignet sich ganz hervorragend der neue Schmöker aus dem Hause Jo Nesbø. Dessen aktueller Bestseller hört auf den Namen „Headhunter“ und dreht sich um Roger Brown, einen renommierten (na ja, was wohl… genau, einen…) Headhunter, der allerdings ganz nebenbei die eigenen Kunden um ihre Kunstwerke erleichtert. Mit dem Holländer Clas Greve ist er in diesem Zusammenhang allerdings an den falschen Geschäftspartner geraten. Und so entspinnt sich eine atemlose Verfolgungsjagd, die einen als Leser mit zunehmender Dauer immer mehr zu fesseln vermag. Nesbø schafft es nach seinen gefeierten Harry-Hole-Krimis auch mal ohne seinen langjährigen Helden auszukommen. Dass sich das Buch so geschmeidig liest, liegt auch daran das Nesbø mit seinem neuen Roman niemanden etwas beweisen muss. Er will einfach nur eine schnörkellose Geschichte erzählen und beschränkt sich dabei aufs Wesentliche. Die zahlreichen Twists sind zwar manchmal etwas unrealistisch, sorgen aber für Spannung. Ist man erst mal drin in der Geschichte, wird man das Buch auch nicht mehr zur Seite legen. Alles in allem schlummert unter der Oberfläche auch noch ein zynischer Kommentar zum schnelllebigen Abschöpfen von „Humankapital“. Es ist am Ende aber vor allem die Story, die einen fesselt und „Headhunter“ zu einer äußerst spannenden Angelegenheit für kalte Herbsttage macht.

flying-lotus-patternFlying Lotus gehört derweil zu den ambitioniertesten Jazz-Elektronikern der Indie-Szene. Auf seinem letzten Album gab sich sogar Thom Yorke ein Stelldichein. Nun wird in Form einer 7-Track-EP nachgelegt, die sich irgendwie zwischen Lee Hazelwood und DJ Premier einnistet. „Pattern & Grid World“ ist ein gefundenes Fressen für all jene, die es noch zu schätzen wissen, wenn Künstler konsequent ihre eigenen Grenzen ausloten. Flying Lotus macht in diesem Zusammenhang keine Gefangenen.  Atari-Sounds treffen auf Grime-Eskapaden und psychedelische Flächen. Wer wissen möchte, wie Innovation ohne Kompromisse klingt, sollte sich dieses waghalsige Werk auf keinen Fall entgehen lassen.

pascow-kaputt200Pascow wiederum machen auf ihrem neuen Album keine Gefangenen. Der Opener „The Strongest Of The Strange“ rumpelt los, als wollte die Band erstmal die eigenen Grenzen ausloten. Verdammt noch mal – „Alles muss kaputt sein!“ ist ein verdammt wütendes Werk. Die Muff Potter-Referenz ist deshalb auch nur teilweise haltbar. „Äthiopien die Bombe“ klingt, als würden Captain Planet mit Matula in den Ring steigen. Soll heißen: Pascow liefern Deutschpunk von der guten Seite. Klasse Texte, die niemals ins Plakative abdriften, treffen auf eine irrwitzige Spielfreude, die über die volle Länge niemals abebbt. Stattdessen reiht sich eine Punk-Hymne an die nächste. Wer in seinem Herzen einen Platz für klassischen Deutschpunk mit ordentlicher Rock-Schelte reserviert hat, der sollte sich dieses Feuerwerk der Emotionen auf keinen Fall entgehen lassen. Für mich persönlich des Deutschpunk-Highlight des Jahres 2010. Zumindest bis dato.

brandtbrauerfrick_cover-400x400Brandt Brauer Frick versuchen in der Zwischenzeit der elektronischen Musik ein akustisches Outfit überzustülpen. Das funktioniert vorwiegend dann, wenn sie sich in jazzige Gefilde vorwagen. „You Make Me Real“ wartet mit einer ganzen Reihe verquerer Soundeskapaden auf, ist dabei aber trotzdem immer tanzbar genug, um im Club für flackernde Momentaufnahmen zu sorgen. Um auf den Geschmack zu kommen, sollte man sich das schicke Primaballerina-Video zum famosen Track „Bop“ zu Gemüte führen, das gekonnt in Szene setzt, wofür diese Band steht. Dass musikalische Ambitionen wieder Spaß machen dürfen, wer hätte das gedacht?!

airenPassend dazu kann man sich den Debüt-Roman von Airen zu Gemüte führen, der nun vom „Ullstein“-Verlag noch mal aufs Neue veröffentlicht wird. „Strobo“ ist kein Roman, das Buch ist ein Gedicht. Es erzählt von durchfeierten Nächten im Grenzgebiet von Blitzlichtgewittern und Nebelschwaden. „Strobo“ pulsiert. Das Werk zieht dich in einen Sog der Emotionen. Man kann es einfach nicht zur Seite legen, bis der letzte Satz im Kopf verklungen ist. Was Airen so besonders macht, ist seine Fähigkeit, bestimmte Momente einzufangen. „Über Musik schreiben ist wie zu Architektur tanzen“. Airen schafft es mit „Strobo“ das Gegenteil zu bewiesen. Es dauert 30 Seiten bis man sich als Außenstehender voll zurecht findet in diesem Roman, dann aber packt einen der Klang dieses Buches. Man stolpert mit dem Protagonisten durch den Alltag. „Ein Tag Arbeit. Seit drei Tagen nur Kiffen. Um 5 Uhr nachmittags kämpfe ich mich aus dem Bett“ Spürst du schon den Rhythmus? Weiter geht’s… „Sonne, Verpeiltheit, Aufregung, Aufwachen zur Abendsonne. Über Monate hinweg. Schranz. Berlin. Das Leben. Beck´s und Zwiebelmettwurst.“ Verdammt, ich liebe dieses Buch. Unbedingt reinlesen.

simianSimian Mobile Disco verzücken uns zum Abschluss mit einem imposanten Mix namens „Simian Mobile Disco Is Fixed“, welches den Auftakt zu einer ganzen Reihe an Compilations darstellt, die demnächst zu Ehren der New Yorker „Fixed“-Parties auf den Markt kommen werden. Von DJ Hell über Hot Chip bis hin zu Carl Craig kommt jeder zum Zug, der in Sachen zeitgemäßer Elektronik etwas mitzuteilen hat. Dazwischen kann man sich an zahlreichen Perlen aus dem Hause Clement Meyer, Pantha Du Prince und Brain Machine erfreuen. Ein gefundenes Fressen also für all jene, die auf illustre Elektronika stehen. Und wir freuen uns jetzt schon auf die weiteren Teile der Reihe. Denn Vorfreude ist ja bekanntlich… In diesem Sinne. Bis zum nächsten Zuckerbeat.