// disco pigs

Denke ich an das Wort „Theater“, so verbinde ich mit dem Begriff oftmals „traditionelle Stücke und Vorstellungen“, welche die Absicht haben, zu meiner Allgemeinbildung beizutragen und gleichzeitig meinen künstlerischen Horizont erweitern sollen… … denke ich an die Vorstellung, die ich vorige Woche besuchte, habe ich ein komplett anderes Bild vor Augen. Oder habt ihr es […]

Denke ich an das Wort „Theater“, so verbinde ich mit dem Begriff oftmals „traditionelle Stücke und Vorstellungen“, welche die Absicht haben, zu meiner Allgemeinbildung beizutragen und gleichzeitig meinen künstlerischen Horizont erweitern sollen…

… denke ich an die Vorstellung, die ich vorige Woche besuchte, habe ich ein komplett anderes Bild vor Augen. Oder habt ihr es je erlebt, dass in euren Ohren der Bass einer aufgedrehten Anlage, wie bei einer langen, durchzechten Partynacht, noch bis zum nächsten Morgengrauen verweilt? Und die Blitze vom Stroboskoplicht noch beim Einschlafen über eure Netzhaut blitzen? Den süßlichen Geruch von Pommes, Schnaps, Schweiß und Curry-Ketchup, den ihr in eure Nase aufgesogen habt, noch immer zu riechen scheint?
Wenn das zutrifft, wart ihr bestimmt auch in der Vorstellung, die seit 12. April 2008 im Mainfrankentheater gespielt wird: Disco Pigs von Enda Walsh.
Disco Pigs ist die Geschichte von Keiler und Wildsau, ein etwas anderes schweinisches Pärchen, die auf der Suche nach dem wirklichen Sinn und Zweck in ihrem Leben so mancherlei Enttäuschung und das Gefühl einer gescheiterten Hoffnung erleben müssen. Da liegt es nahe, dass sie sich wild rebellierend, mit Füßen stampfend mit aggressivem Tonfall und versautem Vokabular den Weg in eine andere Zukunft ebnen wollen. Eine Zukunft, in der das Pärchen glücklich und frei von Normen leben kann.
Keine ständige Rechtfertigung ihrer selbst, sondern einfach nur Keiler und Wildsau – so wie sie sind und sich fühlen. Eben eine Welt im „Big Blue“, wie sie das Meer der Sehnsucht liebevoll nennen.
Zuckerkick hat sich Keiler und Wildsau mal vorgeknöpft und die beiden Hauptdarsteller Philipp Reinheimer und Katharina Ries über die Schwierigkeiten und Erfolgsmomente in diesem speziellen Theaterstück interviewt sowie genauer hinterfragt, wie es denn ist eine Rolle zu spielen, deren Text aus versauten Wörtern und Fäkalsprache besteht.

So, wie war denn die Premiere für euch?
Beide (laut): Sehr schön!

Ich habe bis jetzt drei Proben gesehen. Die ers-te war sehr emotional geladen, bei den anderen beiden, direkt vor der Premiere, hatte ich das Gefühl, dass es immer “lower” geworden ist. War es eure Absicht, dass ihr bei den letzten beiden Proben nicht mehr so viel Gas gegeben habt?
Katharina:
Der Grund dafür war, dass wir uns in den Proben vor der Premiere schon komplett heiser geprobt hatten und sichergehen wollten, dass wir bis zur Premiere wieder topfit sind. Die erste Probe, die du gesehen hast, war das allererste Mal, dass wir das Theaterstück überhaupt ganz durchgespielt haben. Und da waren wir noch unsicher, wie das Ergebnis wird, weil wir bisher immer nur szenenweise geprobt haben.

Also eine sehr anstrengende Sache?
Philipp:
Ja auf jeden Fall! Aber es macht natürlich auch Spaß!
Katharina: Es ist so anstrengend, dass man jedes Mal danach duschen muss!

Habt ihr euch im Vorfeld irgendwie auf diese körperlichen Anstrengungen vorbereitet?
Philipp:
Ja, wir haben vor Beginn der Proben zehn Tage lang ein recht intensives, allumfassendes Körpertraining gemacht, welches Arbeit am Text direkt mit Arbeit an Körper und Bewegung kombiniert.

Was genau kann man sich denn darunter vorstellen?
Philipp:
Also, man befindet sich dazu in einem Raum und fängt an, sich frei zu bewegen. Dieses „Tanzen“ kann schon mal bis zu einer Stunde dauern. Zu fünft, sechst in einem Raum, entsteht da ganz schön Energie. Währenddessen wird man dann aufgefordert, Textpassagen zu sprechen. Durch die Freiheit in der Bewegung erlebt man den Text und dessen Emotion viel direkter, freier und ungezwungener.

discopigs3Katharina: Sozusagen ein Ethno-Bootcamp.
Philipp (lacht): Man muss dazu aber auch sagen, dass du dich in einem sehr angreifbaren und gereizten Zustand befindest. Beispielsweise gibt es eine Übung bei der man sich auf Impulse gegenseitig lange Stöcke zuwirft. Da kann es natürlich schon mal vorkommen, dass man den Stock ins Gesicht bekommt. Eine Kollegin, die bei der Übung mitgemacht hatte, ist aufgrund dessen, dass du dich in einem so sensibilisierten Zustand befindest, in dem Moment fast explodiert. Sie schrie vor Schmerz, dass sie keinen Bock mehr hätte und die Übung sie ankotze und ist daraufhin aus dem Raum gestürmt.
Katharina: Sie hatte aber auch eine Riesenbeule am Kopf!
Philipp: Ja. Aber das passiert. Man ist in dem Augenblick eben sehr offen und empfindlich.

Das Theaterstück an sich ist ja auch sehr energiegeladen und beinhaltet viel Wortwitz.Konntet ihr euch bezüglich der Sprache selbst einbringen und habt ihr daran mitgearbeitet?
Katharina:
Nein. Unser Text ist eine offizielle Übersetzung von Enda Walshs „Disco Pigs“ aus dem Jahre 1996. Was man aber dazu sagen muss ist, dass wir zwei Texte bekommen haben. Der erste war eine wortwörtliche Übersetzung. Darunter kann man sich einen sehr hochdeutschen, gekünstelten Text vorstellen. Der zweite Text, welchen wir jetzt auch spielen, ist quasi die „Slang-Übersetzung“. Bei diesem Text wurde versucht, den „Slang“, der ja auch im Original vorherrscht, so gut es geht ins Deutsche zu übertragen.
Philipp: Zu erwähnen ist dabei auch, dass bei dem ersten Text eine Anmerkung des Übersetzers zu finden war, die besagte, dass diese Übersetzung nicht für die Bühne gedacht sei. Der Text ist vielmehr für das Verständnis verfasst worden. Also falls man mal ein Wort oder einen Satz vom Sinn her nicht versteht, noch mal so eine Art Referenz hat, was genau damit gemeint ist.

Habt ihr euren eigenen Slang auf die Rolle übertragen können?
Katharina:
Nein, eigentlich sind wir ziemlich genau am Text. Man muss dazu aber auch sagen, dass das Stück jetzt mittlerweile schon über 10 Jahre alt ist, und wir deshalb natürlich ein paar kleine Wortveränderungen vorgenommen haben.
Philipp: Es gibt so ein paar Textstellen, bei denen wir etwas eigenes erfunden haben, weil man das so heutzutage nicht mehr sagen würde oder es nach unserem Empfinden nicht treffend war. Das Beste an diesen wenigen Passagen ist aber, dass wir nicht lange überlegen mussten, was für diese Stelle jetzt passender wäre, sondern dass es wie von selbst aus unserem Mund gekommen ist und wir es beide sofort so übernommen haben. Denn für das Stück sehr wichtig, wichtiger als korrekte Wortwiedergabe, ist die Gestaltung eines individuellen Stils in einer eigenen Sprache. Gerade deshalb, weil es in einer so „roughen“ Ausdrucksformverfasst wurde.

Nach meinem Empfinden habt ihr euch auch sehr gut mit der Sprache identifizieren können.
Katharina:
Das war aber auch erst am Ende so. Zu Beginn der Proben mussten wir die Szenen immer wieder aufs neue lesen. So oft, bis man ein Gefühl für diese besondere Sprache und das Stück bekommt. Es hat lange gedauert, bis es bei uns beiden gesessen hat, da dieser Text wirklich nicht einfach zu lernen war.
Philipp: Zu Beginn bist du auch noch so pingelig, dass du alles haargenau lernen möchtest, was dir aber bei einem Text wie: „mhh hippie happy böfdääy“ (…) schwerfällt.

Disco Pigs ist euer „Diplomstück“, habt ihr euch das Stück selbst ausgesucht?
Philipp:
Nein, das Stück wurde nicht von uns, sondern von Schauspieldirektor Bernhard Stengele, der auch für die Inszenierung verantwortlich ist, ausgesucht.

Wie geht es bei eurer persönlichen Karriere jetzt weiter? Habt ihr eure Schauspielausbildung jetzt abgeschlossen?
Katharina: Dieses Theaterstück war jetzt unser Diplomstück. Aber wir sind trotzdem noch nicht fertig mit der Ausbildung. Im Anschluss daran kommen jetzt noch eine Unterrichtsphase und ein Vorsprechen auf uns zu. Und im Herbst folgt dann die ZBF-Prüfung in München (Zentrale Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung (ZBF)).

Was genau ist die ZBF?
Katharina: Die Schüler der Schauspielschulen, die fertig mit ihrer Ausbildung sind, gehen zur ZBF und werden über diese Agentur vermittelt.
Allerdings gibt es die ZBF so jetzt auch nicht mehr, sondern sie wurde im Frühjahr 2007 mit dem Künstlerdienst (Vermittlung von Unterhaltungsmusikern, Models etc.) zur Künstlervermittlung der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) zusammengefasst.
Philipp:Die ZAV ist die staatliche Künstlervermittlung für Bühnen-, Film- und Fernsehschau-spieler. Sozusagen eine Jobvermittlung, was gerade für Anfänger hilfreich sein kann, die in ihrem Beruf noch am Anfang stehen. Schau-spieler sein und davon leben kannst du nur, wenn du Jobs bekommst und spielst.
Habt ihr vor, noch weiter in Würzburg zu blei-ben oder zieht es euch an einen anderen Ort?
Katharina: Wir bleiben noch eine Zeit lang hier, zumindest was die kommende Spielzeit be-trifft. Alles folgende nach dieser Saison wird sich noch zeigen. Ich fange jetzt so langsam an, mir darüber Gedanken zu machen.

Wollt ihr im Theaterbereich bleiben? Oder inte-ressiert ihr euch auch für Film und Fernsehen?
Katharina:
Das weiß ich jetzt noch nicht. Denn ich würde sagen, dass der Beruf Schauspieler so vielseitig ist, dass man nie wirklich vorhersagen kann, wo genau es einen letztendlich hinverschlägt. Wir befinden uns ja jetzt noch ganz am Anfang unserer beruflichen Laufbahn. Und wir sind beide von dem, was wir bis jetzt kennen gelernt haben, so angetan, dass wir den Beruf auch wirklich ausüben wollen.
Philipp: Die Film- und Fernsehbranche ist eine schwierige Branche. Die schauspielerische Arbeit ist eine ganz andere, als am Theater. Das kann eine Herausforderung sein, aber auch lanweilige Arbeit mit langen Wartezeiten. Ich weiß nicht, ob ich Lust hätte ein Jahr lang zu „Verbotene Liebe“ zu gehen. Allerdings wäre es auf der anderen Seite wirtschaftlich und materiell sehr interessant und natürlich auch eine Erfahrung.

Welche Rolle würdet ihr gerne einmal spielen?
Katharina
(lacht): Eine Tapetenrolle.

Habt ihr zur Zeit jeden Abend einen Auftritt?
Katharina:
Wir haben laufend Auftritte. Philipp spielt beispielsweise noch in „Deutschland – Ein Wintermärchen“, in „Kabale und Liebe“ den Hofmarschall von Kalb und ich an seiner Seite in letzterem noch den Charakter der Luise. Und dann spielen wir beide natürlich noch in „Disco Pigs“. Dieser Monat ist für uns beide also ziemlich heftig.

Wie sieht denn der „normale” Alltag bei euch aus?
Philipp:
Das kommt darauf an, ob er in der Probenphase oder in der Vorstellungsphase liegt.
Katharina: Im Moment ist es für uns beide eine sehr harte Zeit. Direkt vor „Disco Pigs“ war die Premiere von “Kabale und Liebe”, weshalb unser Alltag größtenteils aus Proben bestand. Und jetzt beginnt im Anschluss die Unterrichts-
phase, in der wir uns auch wieder mehr Pausen gönnen können.
Philipp: Also bei mir ist es so, dass ich nicht weit weg vom Theater wohne. Mein Tag sieht folgendermaßen aus: Wenn um 10 Uhr Probe ist, stehe ich um 09:30 Uhr auf, zieh mir schnell was an, gehe ins Theater zur Probe. Anschließend bleibe ich noch gerne nach der Probe so ab 14 Uhr in der Kantine oder koche mir daheim etwas zu Essen. Ruhe mich daheim noch kurz aus bis um 18 Uhr wieder die Probe bis 22 Uhr beginnt. Und wenn ich danach noch in die Kantine gehe, bin ich quasi um 24 Uhr zu Hause.

Habt ihr denn Lehrer oder Schauspieler, die euch unterrichten?
Katharina:
Also so gegen Mittag lernen wir entweder noch etwas Text oder haben untere anderem Gesangsunterricht und Stimmbildungs-unterricht oder Tanz bzw. Bewegungslehre. Des weiteren haben wir auch Schauspieler, die im Ensemble arbeiten, mit denen wir Rollenstudium-Unterricht machen.

Um noch mal auf das Stück zurückzukommen, wie waren denn bisher so die Reaktionen des Publikums?
Katharina:
Das ist noch schwer zu sagen, da wir bis jetzt mit „Disco Pigs“ erst zwei Mal auf der Bühne standen. Bei der Premiere ging es aber gut ab!
Philipp: Die Premiere war schon ziemlich gut. Wir waren wirklich beeindruckt, weil der Applaus richtig energisch war und die Leute gut drauf waren. Die Menschen mit denen ich im Anschluss gesprochen habe, haben mir insge-samt das Gefühl einer guten Resonanz gegeben. Bei der zweiten Vorstellung war es wiederum anders. Meiner Meinung nach war das Publikum ein anderes, da die Besucher älter und zudem auch völlig hausfremd waren.
Katharina: In manchen Szenen, in denen bei der Premiere gelacht wurde, blieb das Publikum in der zweiten Vorstellung still und die Stimmung im Saal war einfach eine andere. In dem Moment denkst du vielleicht ein bisschen, dass du etwas falsch machst, dabei ist es nur einfach das Publikum. das anders tickt. Denn das Stück ist schon sehr zielgruppenabhängig würde ich sagen. Jemand, der über 40 Jahre alt ist, wird weniger mit dem Stück anfangen können als Leute in unserem Alter.
Philipp: Ich war aber trotzdem auch ziemlich überrascht über meine Eltern, die in der zweiten Vorstellung waren und denen die Sie richtig gut gefallen hat.
// Vielen Dank für das Interview!

// von caroline pfeifer und nico manger // fotos: nico manger