// filmkritik: die geschwister savage

Laura Linney und Philip Seymour Hoffman in einer bemerkenswerten Tragikomödie „Warum kommt ihr erst jetzt und habt mich so lange allein gelassen?“ – Der erste Satz, den Lenny Savage (Philip Bosco) seinen Kindern entgegenschmettert, ist der beste Indikator für seinen Zustand. „Weil wir an der Ostküste wohnen, Dad“, kann Wendy (Laura Linney) nur antworten, während […]

Laura Linney und Philip Seymour Hoffman in einer bemerkenswerten Tragikomödie

„Warum kommt ihr erst jetzt und habt mich so lange allein gelassen?“ – Der erste Satz, den Lenny Savage (Philip Bosco) seinen Kindern entgegenschmettert, ist der beste Indikator für seinen Zustand. „Weil wir an der Ostküste wohnen, Dad“, kann Wendy (Laura Linney) nur antworten, während durch das Krankenhausfenster das warme Licht von Sun City, Arizona strömt, einem Rentnerparadies, in dem Lenny bis vor kurzem mit seiner Lebensgefährtin Doris gelebt hat. Doch Doris ist jetzt tot und Lenny in einem Stadium fortschreitender Demenz und plötzlich liegt es an Wendy und ihrem Bruder Jon (Philip Seymour Hoffman), sich um ihren Vater zu kümmern, obwohl der sich nie gekümmert hat – um niemanden.
Aus dem gleißenden Sun City geht es in die trübe, verschneite Welt von New York und Buffalo und darüber hinaus in das Absurdistan der Altenpflegeeinrichtungen. Das Pflegeheim Valley View, in dem Jon seinem Vater einen Platz sichern konnte, scheint solide, aber auch deprimierend – längst nicht so idyllisch wie die Werbevideos anderer Einrichtungen. Sehr schnell stellen die Geschwister fest: In ihren Reaktionen auf die aberwitzige Situation geht es gar nicht um ihren Vater, sondern um sie selbst: ihre eigenen Ängste, emotionalen Schwierigkeiten und die Verarbeitung ihrer Kindheit. Jon ist Theaterwissenschaftler, arbeitet an einem Buch über Brecht und traut sich nicht, seine polnische Freundin Kasia zu heiraten, zu tief sitzt die Erinnerung an die kaputte Ehe der Eltern. Wendy sitzt auf der anderen Seite der Bühne, schreibt Stücke und bewirbt sich seit Jahren erfolglos um Stipendien. Im Umgang mit der eigenen Vergangenheit prallen die Persönlichkeiten aufeinander: Hier der heimlich weinende, scheinbar cool und schroff bleibende große Bruder, dort der Kontrollfreak voller Komplexe und Selbstwertprobleme.
Drei Faktoren machen Tamara Jenkins’ Film, den sie sowohl geschrieben als auch inszeniert hat, so gut. Da ist einmal dieser ehrliche, unverschleierte Blick auf das Leben, der ohne großes Hollywood-Drama, ohne Selbstreferenzialität, aber auch ohne düsteren Realismus-Schmutz auskommt. Es geht ganz schlicht um Menschen, die mit einer ungewohnten Situation klarkommen müssen und in ihrem Umgang damit ihre eigene Menschlichkeit offenbaren. Um das Leben, wie es ist: kein Happy End mit Haus im Grünen, aber auch keine Spirale aus Verderben, sondern ein absurdes Auf und Ab voller Komik und Tragik, in der eine eigentlich schmerzhafte Gegebenheit auch ihren ureigenen Humor beherbergen kann – wenn Jon seinen Hals wieder einrenken will und dafür eine halbe Stunde lang in einer merkwürdigen Konstruktion an seine Wohnungstür gekettet ist.
Der zweite Faktor sind die Schauspieler, die diese allzumenschlichen Menschen mit beeindruckendem Leben erfüllen. Laura Linney, die gerne auf taffe Kämpferinnen oder sorgende Mütter-Ehefrauen abonniert ist, ist als Wendy Savage so schön und so zerbrechlich wie schon lange nicht mehr. Mit großen Augen, hinter denen ständig ängstliche oder wütende Tränen zu lauern scheinen, merkt man ihr deutlich an, wie schwierig es ist, ihre Persönlichkeit und ihr Leben in Einklang zu bringen. Und Philip Seymour Hoffmans Jon ist ein grandioser Schluffi voller beißender Intelligenz, dem man vom ersten Moment an anmerkt, wie dünn die Schicht aus resigniertem Zynismus ist, die die Außenwelt zu spüren bekommt.
Schließlich ist da noch Mott Hupfels wunderschöne Kameraarbeit, voller Gegenlicht und Erdfarben, wie auf leicht verblassten Fotos aus den Achtzigern, voller Wärme und Kälte, wie die Gefühle der Figuren und die sie umgebende Welt, und irgendwie auch voller Ehrlichkeit, wie überhaupt der ganze Film.
8 von 10 Zuckerli // text: von alex gajic

zuckerkick präsentiert seine Filmkritiken in Kooperation mit [Screenshot – Texte zum Film] , dem Online-Filmmagazin.