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Was war das nur wieder für ein Wochenende. Vor lauter guten Filmen, wusste man beim „37. Internationalen Filmwochenende“ als Zuschauer gar nicht so recht, in welchen Streifen man wohl als Nächstes reinstolpern sollte. Den Auftakt machte am Donnerstag die sympathische „Soul-Pop“-Rakete „Soul Boy“ (5/6 – England), welche eine klassische Liebesgeschichte dazu hernimmt, das Disco-Leben Mitte […]

p1010571Was war das nur wieder für ein Wochenende. Vor lauter guten Filmen, wusste man beim „37. Internationalen Filmwochenende“ als Zuschauer gar nicht so recht, in welchen Streifen man wohl als Nächstes reinstolpern sollte. Den Auftakt machte am Donnerstag die sympathische „Soul-Pop“-Rakete „Soul Boy“ (5/6 – England), welche eine klassische Liebesgeschichte dazu hernimmt, das Disco-Leben Mitte der 70er zu umreißen. Der Film schafft es die Aufbruchsstimmung von damals gekonnt einzufangen und punktet auch mit seinen beseelten Songs, die einen sofort in einen Zehenspitzen-Schiffschaukel-Modus schubsen. Schade eigentlich, dass vor der Leinwand keine Tanzfläche frei geräumt wurde, da wären einige sicher ordentlich isn Schwitzen geraten. Der schwedische Streifen „Sebbe“ (3,5/6 – Schweden) holt einen hinterher gleich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und liefert uns eine sozialkritische Geschichte zum Thema Armut. Wie sich der Junge ohne Kohle im Alltag zu behaupten versucht, Geschenke von seiner Lehrerin wieder zurückgeben muss, weil die eigene Mutter nicht die Kohle hat, dem Sohn der Paukerin etwas zu schenken, weiß zu berühren, ohne ins Melodramatische abzudriften. Ich hatte eigentlich einen explosiven Film erwartet, nachdem der Trailer auf eine Geschichte der Marke „Elephant“ hindeutete, „Sebbe“ wirkt aber auch ohne solche Momente äußerst nachhaltig, wenn es darum geht, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Womit wir auch schon beim heimlichen Publikumsliebling des Freitags angelangt wären. Das Kino ist gerappelt vor, als „Burke & Hare“ (4/6 – England) die Leinwand stürmen und sich durch eine bittersüße & makabre Story boxen. Der Film dreht sich um jede Menge Leichen, die im Namen der Wissenschaft benötigt werden, für deren Ableben aber erst noch gesorgt werden muss. Burke & Hare entschließen sich deshalb dem Tod etwas nachhelfen, was dazu führt, (Vorsicht Spoiler) dass sie am Ende selbst im Kellerverlies auf ihr unvermeidliches Ende warten müssen. Zumindest einer von beiden wird am Ende dran glauben müssen. Soll heißen: Ein gefundenes Fressen für all jene, die sich schon an so makabren Späßen wie „I Sell The Dead“ zu ergötzen wussten. Mein Favorit des Donnerstags ist allerdings der kolumbianische Streifen „Retratos en un mar de mentiras“ (Portrait in a Sea Of Lies) (5/6 – Kolumbien). Der Film dreht sich um eine junge Frau und ihren Cousin (einem Fotografen), die nach dem Tod ihres Vaters mit einem Kleinwagen durchs Land fahren und dabei unter anderem in einige „Guerilla“-Attacken verwickelt werden. Die Bilder in diesem Film pendeln zwischen zauber- und grauenhaft. Gegensätze werden sichtbar und wenn am Ende plötzlich alles im Meer versinkt, sollte man noch mal an den Beginn des Films zurückdenken. Ein solch schlüssiges Gesamtwerk bekommt man sonst nur selten präsentiert.

p1010587Womit wir auch schon beim Freitag angelangt sind. Der startet recht nett im leicht mittagsüberhitzten „Central“ mit dem italienischen Beziehungsdrama „Sinestasia“ (3/6 – Italien). Meine niedrige Wertung hat weniger mit der Story des Films zu tun, die ist gelungen, gerade weil hier mit verschiedenen Zeitebenen hantiert wird, was noch mal zusätzlich für Spannung sorgt… was ein bisschen nervt ist dieser Plot mit den Mails, die Unfall und Tod vorwegnehmen, auf die man aber auch gerne verzichten hätte können. Das wirkte ein bisschen so, als hätte sich der Regisseur vorher ein wenig zu viel „The Ring“ zu Gemüte geführt. Ansonsten entfaltet sich aber ein gelungenes Verwirrspiel um enttäuschte Liebe, langjährige Freundschaft und die Hoffnung auf einen Neubeginn. „Vegas“ (3,5/6 – Norwegen) enttäuscht hinterher leider ein klein wenig meine (wirklich) hohen Erwartungen, obwohl ich immer noch nicht so recht zu sagen vermag, woran das gelegen hat. Die Story um drei junge Menschen, deren dramatische Einzelschicksale dazu führen, dass sie sich miteinander anfreunden, nimmt sehr schnell an Fahrt auf und schlittert dabei niemals ins Gefühlsduselige. Stattdessen werden die Emotionen der Beteiligten sehr gekonnt in Szene gesetzt und anschließend sehr intensiv ausgeleuchtet. Trotzdem springt der Funke erst gegen Ende so richtig über. Mit dem oscarnominierten „Incendies“ (Die Frau, die singt) (5/6 – Kanada) geht es er mir zu Beginn ähnlich, spätestens allerdings, als sich das Unheil andeutet und der Film das Schicksal seiner Protagonisten so kongenial verflechtet, dass man sich am Ende nur noch die Augen reibt, spätestens dann läuft es einem im Kinosessel kalt den Rücken herunter. Die expliziten Gewaltdarstellungen sind bisweilen nur schwer zu verdauen, wirken aber nicht übertrieben effekthascherisch. Stattdessen machen sie das Leiden noch eine Spur unerträglicher, weshalb auch die versöhnlichen Worte gegen Ende keinen Trost spenden. Bei all dem stellt man sich als Zuschauer ganz zwangsläufig die Frage? Würde man seinen Kindern die unheilvolle Wahrheit wirklich zumuten wollen, wenn man sie kennt? Ein großer Film. Und ganz sicher einer der Favoriten auf den Publikumspreis des Wochenendes (den er letztlich auch abräumt). „Di Renje“ (Detective Dee und das Geheimnis der Phantomflammen) (3/6 – China) sorgt dann anschließend für eine hübsche Mitraterunde im fantastischen Outfit. Fans von „Tiger & Dragon“ kommen hier genauso auf ihre Kosten, wie Anhänger von „Indiana Jones“. Detective Dee muss sich im Rahmen seiner Ermittlungen mit mysteriösen Mordfällen auseinandersetzen, bei denen sich einige Herrschaften spontan selbst entzündet haben. Das Ende ist zwar für Genre-Fans nach zwei Dritteln leicht zu erraten, trotzdem fühlt man sich bis zum Schluss ganz köstlich unterhalten von dem Streifen, der in Kürze auch in deutscher Sprache erscheinen soll.

p1010590Am Samstag geht’s dann erstmal schlaftrunken weiter mit „Paha Perhe“ (Bad Family) (4/6 – Finnland), der mich allerdings schon nach wenigen Minuten wieder aus allen Träumen reißt. In dem Film geht es um eine Familie, die durch den Tod der Mutter wieder zusammen findet. Erste Probleme zeichnen sich ab, als sich Sohn und Tochter nicht nur geschwisterlich verstehen, sondern auch darüber hinaus Gefühle füreinander entwickeln. Der Vater weiß nicht so recht, wie er darauf reagieren soll und startet einen Überwachungsangriff, er lässt zu guter letzt sogar seinen Sohn entführen, um ihn von der Tochter fern zu halten. Starker Tobak, der einen aber sofort in seinen Bann zieht. Gerade die innere Zerissenheit des Geschwisterpaars wird sehr überzeugend in Szene gesetzt. Am frühen Abend wird sich dann erstmal der cineastischen Interpretation des gefeierten Romans „La Solitudine Die Numeri Primi“ (3,5/6 – Italien), zu Deutsch: „Die Einsamkeit der Primzahlen“ gewidmet. Wirklich bemerkenswert an dem (überraschenderweise auf deutsch ausgestrahlten) Streifen ist die Musik aus der Feder Mike Pattons, der mit seinem Score eine solch bedrückende Atmosphäre schafft, dass schon mal eine gediegene Horrorfilm-Stimmung entsteht. Und auch wenn die rätselhaften Ereignisse um die verschwundene Schwester im Film wie im Buch nicht vollends aufgeklärt werden, man sitzt bis zum Ende gebannt im Kinosessel und lässt sich von diesen rauschhaften Bildern nur zu gerne betören. Anschließend lach ich mich dann erst einmal eine gute Stunde lang schlapp im Eröffnungsfilm „Sound Of Noise“ (3,5/6 – Schweden), der allerdings mit zunehmender Lauflänge etwas abbaut. Das Prinzip immer größere, musikalische Überraschungsaktionen im Stadtgebiet zu starten, verliert durch den Einsatz von Schaufelbaggern leider ein bißchen an Charme. Weniger wäre hier vielleicht doch mehr gewesen, wobei das Finale dann wieder bemerkenswert ist, wenn die ganze Stadt von einem Lichtermeer geflutet wird. Alles in allem ein sehenswertes Erlebnis und zwar nicht nur für Musikfans. Den Abschluss des Abend übernimmt schließlich die herzallerliebste Christinia Ricci, die sich in „After.Life“ (3,5/6 – USA) ein Psycho-Duell mit Liam Neeson liefert und sich zu guter Letzt mit der bangen Frage konfrontiert sieht: Leb ich noch oder hab ich bei dem Verkehrsunfall neulich das Zeitliche gesegnet? Der Zuschauer wird lange im Unklaren gelassen, was wirklich vor sich geht und am Ende wechselt die ganze Geschichte so oft die Richtung, dass mir die vielen schlechten Kritiken, die der Film im Vorfeld einheimste, nur damit zu erklären sind, dass so mancher seinen Kopf nicht weiter anstrengen wollte. Meiner Meinung nach ist „After.Life“ ein über weite Strecken äußerst spannungsgeladenes Kammerspiel, welches neben dem Horror-Plot die Existenzfrage thematisiert.

p1010585Am Sonntag sorgt dann die locker-flockige Musiker-Komödie „Basilicata Coast To Coast“ (3,5/6 – Italien) für einen gelungenen Auftakt. Eine Gruppe alternder Musiker macht sich zusammen mit einer genervten Journalistin auf, mit Gaul und Kutsche von Küste zu Küste zu streifen. Wie die Gruppe dabei langsam zusammen wächst, sorgt für Wohlfühlstimmung beim Publikum und macht jetzt schon Lust auf den nächsten Sommerurlaub in Italien. Hinterher steht dann der heiß diskutierte Film „Four Lions“ (2,5/6 – England) auf dem Programm. Der enttäuscht mich aber leider über weite Strecken, weil die Geschichte nicht so recht in Fahrt kommt. Es ist ja schon ein gewagtes Unterfangen das Dasein von vier Selbstmordattentätern in einen humoristischen Kontext zu setzen, nur leider hält sich der Humor dann so sehr in Grenzen, dass lediglich in der zweiten Hälfte (zum Beispiel bei der versehentlichen Detonation in einer Schafherde) vereinzelte Lacher herausspringen. Weshalb man sich wünscht, dass sich der Regisseur am Ende entweder für eine Komödie oder eine Tragödie entschieden hätte. Beides zusammen will in „Four Lions“ leider nicht so recht zueinander finden. Mit den beiden gelungenen Streifen „Wintertochter“ (3,5/6 – Deutschland / Polen) und Wolfgang Murnbergers Nazi-Dramödie „Mein bester Feind“ (3/6 – Österreich), welche einen Hauch von Tarantino versprüht, neigt sich schließlich ein gelungenes Filmwochenende dem Ende zu. Fürs nächste Jahr wünschen wir uns deshalb eigentlich nur eins: Ein bisschen weniger Sonnenschein, damit die Säle wieder aus allen Nähten platzen. Zum Schluss gibt’s noch die blanken Fakten. Ebenfalls nachzulesen unter: www.filmwochenende.de

p1010588Bester Film wurden demnach „Incendies“, dicht gefolgt von „Sound Of Noise“ und „Svinalängorna“ (Beyond). Als bester Dokumentarfilm wurde „The Pipe“ ausgezeichnet. Bester Kurzfilm wurde der „Ampelmann“ und als Selbstgedrehter stand „ascendit“ von Mitja Schulz (Friedrich-Koenig-Gymnasium in Würzburg) ganz oben auf dem Treppchen. Zuschauer kamen (wahrscheinlich aufgrund des tollen Wetters) leider nur 8500. Hannes Tietze, erster Vorstand der Filminitiative Würzburg, war vor diesem Hintergrund aber trotzdem zufrieden. Genauso wie wir, die uns schon aufs nächste Jahr freuen, hier aber noch kurz einige Nachspieltermine im Würzburger „Central“ nachreichen wollen. Da laufen Wintertochter (11.4, 16 Uhr), How To Make A Book With Steidl (11.4., 18.30 Uhr), Die Vaterlosen (11.4., 20.45 Uhr), Hüllen (12.4., 16 Uhr), Soulboy (12.4., 18.30 Uhr), Vegas (12.4., 20.45 Uhr) und Lo Spazio Bianco (13.4., 20.45 Uhr). Wer also Nachholbedarf hat, kann gerne mal reinschauen. Wir wünschen viel Spaß dabei.