// aufgelesen vol. 17 – „namen waren durchgestrichen und durch andere namen ersetzt worden…“

Jan Brandt hat bereits jahrelang für die Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine in die Tasten gehauen und so manchen tollen Artikel entworfen. Seinen ersten Roman allerdings, den hat er bereits vor vielen Jahren angekündigt und erst jetzt, wo eigentlich kaum einer mehr so richtig daran glaubte, hat er sein Debüt vorgelegt. Mehr als 900 Seiten […]

jan-brandt-gegen-die-weltJan Brandt hat bereits jahrelang für die Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine in die Tasten gehauen und so manchen tollen Artikel entworfen. Seinen ersten Roman allerdings, den hat er bereits vor vielen Jahren angekündigt und erst jetzt, wo eigentlich kaum einer mehr so richtig daran glaubte, hat er sein Debüt vorgelegt. Mehr als 900 Seiten lang ist „Gegen die Welt“ am Ende geworden und es ist auch eigentlich gar nicht das Buch, das er irgendwann mal angekündigt hatte. Die Idee für den Roman sei ihn erst vor circa fünf Jahren durch den Kopf geschossen, gibt er gegenüber der „FAZ“ zu Protokoll. Dafür ist das Mammutwerk allerdings ein echter Langstreckenläufer von einem Buch. In mehreren Etappen widmet sich Brandt einem Land, dem ein Umbruch bevorsteht. Die Geschichte spielt in Ostfriesland und der Protagonist ist ein Tagträumer. Jedenfalls hat er mit den Anforderungen, die das alltägliche Leben an ihn richtet, nur herzlich wenig am Hut. Stattdessen rennt er mitten im Winter (der hier bereits im September vor der Tür steht) nackt durch die Stadt, wird von Außerirdischen entführt (oder bildet sich das zumindest ein) und wird bald für alles verantwortlich gemacht, was an wirren Dingen in dem ostfriesischen Kaff vor sich geht. Daniel Kuper wiederum, so der Name des Protagonisten, entschließt sich daraufhin erst so richtig in die Vollen zu gehen. Er beginnt gegen das Leben im Dorf, eben „gegen die Welt“, zu rebellieren und wird so zum nimmermüden Helden dieses epischen, literarischen Unterfangens, dass man trotz seiner Länge nahezu in einem Rutsch durchschmökert. Das zerstreute Wesen des Protagonisten ist im Grunde genommen nichts weiter als der Gegenentwurf zu dem durchstrukturierten Alltag, den viele Bewohner Tag für Tag durchstehen, wobei sie darüber hinaus ihre eigenen Träume zu vergessen scheinen. Daniel selbst wiederum führt allen vor Augen, dass es eine Alternative zum öden Allerweltsdasein gibt. Und genau das macht den Dorfbewohnern Angst. Sie kämpfen gegen ihn. Machen ihn persönlich verantwortlich für alles Übel dieser Welt. Wobei sich das zerstreute Wesen des Protagonisten auch auf die Geschichte selbst zu übertragen scheint. Zur Mitte des Buches hin wird es nämlich etwas kompliziert, wenn plötzlich Trennstriche in der Mitte des Romans auftauchen und man zwei Perspektiven auf einmal folgen darf. Nach knapp 150 Seiten wiederum wird alles wieder in geregelte Bahnen gelenkt und das ausharren lohnt sich. Denn mit zunehmender Lauflänge wird das Buch am Ende wirklich zu dem „Ereignis“, das es laut „Dumont“-Verlag sein soll. „Gegen die Welt“ ist ein großartiger Roman für all jene, die auf keinen Fall ihren Träumen beim Verblassen zusehen möchten. Auch deshalb steht das Buch völlig zu Recht auf der „Longlist“ des „Deutschen Buchpreises 2011“, der dieses Jahr wieder auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wird.

paul-ingendaayDer Roman „Warum du mich verlassen hast“ hat bereits so manchen Kritiker dazu verleitet, dessen Autoren in eine Reihe mit den ganz großen ihres Fachs zu stellen. Das 500seitige Werk dreht sich um einen fünfzehnjährigen Internatschüler, der sich mit Gott und der Welt auseinandersetzen muss. Die Welt wiederum besteht für ihn vor allem aus Mädels und Büchern. Und während Erstgenannte in einem katholischen Internat eher selten anzutreffen sind, vertreibt er sich seinen Tag lieber mit Zweitgenannten. Seine Mitschüler können seinen Fimmel für Bücher leider nur bedingt nachvollziehen, was immer wieder dazu führt, dass sie ihn ein bisschen damit aufziehen. Darüber hinaus beginnt seine schöne, heile Welt allmählich ernsthafte Risse zu bekommen: die Ehe seiner Eltern steht nämlich kurz davor zusammenzubrechen. Und dann kommt auch noch der kleiner Bruder zu ihm auf die Schule. Da bleibt ihm am Ende eigentlich gar nichts anderes übrig, als sich stattdessen lieber in die Welt des „großen Gatsby“ zu vertiefen. Wobei sich der Spannungspegel in der zweiten Hälfte allmählich zuspitzt und der anfängliche, unbeschwerte Charme einer bitteren Erkenntnis weicht, die eine gewisse, auch sprachliche Nüchternheit nach sich zieht. paul-2Eben deshalb ist „Warum du mich verlassen hast“ nicht nur ein gelungenes Jugendbuch, sondern auch ein literarisches Ereignis. Womit wir dann auch schon bei Paul Ingendaays zweiten Roman angelangt wären, der in diesen Tagen erscheint. In „Die romantischen Jahre“ macht sich der Kölner Autor daran die Geschichte seines Debüts um den Internatsschüler (namentlich: Marko Theunissen) weiterzuerzählen. Selbiger ist inzwischen 37 Jahre alt, sitzt in einem öden Kaff / noch öderen Beruf fest und verschafft sich etwas Ablenkung vom Alltag, indem er die Frau eines Anderen vögelt. Sein Vater wiederum verliert langsam sein Augenlicht und noch dazu seinen Verstand. Das ganze Leben ist ein bisschen ernüchternd geraten und genau so soll es auch sein. Denn dieses Buch, welches auf gekonnte Weise das Älterwerden umreißt, handelt davon, was passiert, wenn einem die großen Träume langsam abhanden kommen und alles stillzustehen scheint. Die enthusiastischen Aspekte des Erstlings werden über weite Strecken außen vor gelassen. Das wiederum ist wohl ganz bewusst so konzipiert, weil hier auf treffsichere Art und Weise davon erzählt wird, wie es sich anfühlt, wenn man eigentlich nicht mehr wirklich gebraucht wird und noch dazu: nichts Weltbewegendes mit seinem Leben angestellt hat. Ein Versicherungsjob bleibt eben ein Versicherungsjob und dieses Buch fängt diese Tristesse ganz hervorragend ein. Ob man sich als Leser dennoch über die volle Distanz von 400 Seiten mit dieser Geschichte auseinandersetzen möchte, muss am Ende jeder für sich selbst entscheiden. Es fehlt leider so ein bisschen der Funke, der die Flamme am Lodern hält. Und das ist schade, selbst wenn’s so gemeint gewesen sein sollte: denn hinsichtlich seiner literarischen Fähigkeiten ist Paul Ingendaay nach wie vor über jeden Zweifel erhaben. Man muss sich diesbezüglich nur das erste Kapitel von „Die Romantischen Jahre“ zu Gemüte führen. Es ist ein Gedicht in Romanform, das auf ein Meisterwerk hoffen lässt, sich zum Ende aber leider selbst entzaubert.

tobias-hurterÜber das Mysterium des Schlafes wurden bereits viele Abhandlungen veröffentlicht. Ein ganzes Buch zu dem Thema ist mir bisher aber noch nicht untergekommen. Der „Zeit WISSEN“-Autor und studierte Philosoph Tobias Hürter hat sich nun nach der Veröffentlichung seines Erstlings „Die verrückte Welt der Paralleluniversen“ daran gemacht, das Rätselhafte unserer Träume greifbar zu machen. In seinem zweiten Buch „Du bist, was du schläfst“ nimmt er alles und jeden, vom Schlafwandler bis zur Schnarchnase, unter die Lupe und versucht zu ergründen, warum wir eigentlich jede Nacht unsere Augen schließen und in verborgen Welten abdriften. Darüber hinaus beinhaltet das Buch eine Anleitung, wie der Leser selbst einen so genannten Klartraum erleben kann. Klarträume sind einfach ausgedrückt: Träume, die man ganz bewusst erlebt und in denen alles, was im realen Leben unmöglich erscheint, plötzlich im Bereich des Möglichen liegt. Inzwischen gibt es sogar Sportler, die Klarträume zum Training bestimmter Fähigkeit nutzen. Während die Wissenschaft lange dazu neigte, Theorien übers Schlafen nicht allzu ernst zu nehmen, hat sich in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang einiges geändert. Die Schlafforschung liegt im Trend und kaum einer geht mehr davon aus, dass der Schlaf einzig und allein dazu dient, unser Gehirn auf „stand by“ zu halten. Das Gehirn ist im Schlaf sogar aktiver, als im Wachzustand, was eventuell auch die zahllosen Möglichkeiten erklären könnte, die uns im Rahmen unserer Träume offeriert werden. Wäre es dementsprechend nicht auch in unserem Sinne, diese Möglichkeiten auszuschöpfen? Es sind spannende Fragen, die dieses äußerst lesenswerte Sachbuch aufwirft. Und es erhöht den Reiz, das Ganze selbst einmal auszuprobieren.

nerdattackEbenso sachlich fahren wir dann auch gleich auf einem anderen Gebiet fort. Der Roman „Nerd Attack!“ setzt sich mit der Geschichte unserer digitalen Welt auseinander und rollt das Ganze noch einmal von vorne auf. Wie war das eigentlich damals, als in den Kinderzimmern ein grauer Kasten namens C64 Einzug hielt und den faszinierten Kids eine völlig neue Welt offerierte. In verpixelten Welten der Marke „Giana Sisters“ und „Bubble Bobble“ kämpfte man plötzlich gegen böse Ungeheuer, während die Eltern bereits zum fünften Mal lautstark an den Esstisch bitten. In vierzehn äußerst aufschlussreichen Kapiteln wird in diesem Zusammenhang noch mal nachvollzogen, wie sich das Digitale immer mehr in unsere analoge Welt eingeschlichen hat. Man muss sich nur allabendlich die Nachrichten reinziehen: Das Netz ist inzwischen zum festen Bestandteil unseres Lebens geworden und nicht nur das, es hat inzwischen sogar die Macht, Revolutionen loszutreten. Christian Stöcker lässt in sein Buch darüber hinaus viel Persönliches einfließen, was „Nerd Attack“ zu einer schmissig-getetxteten Angelegenheit macht. Darüber hinaus schafft es der Autor auf dem schmalen Grad zwischen kritischem Beobachter und Enthusiast zu wandeln, was eine gewisse Objektivität gewährleistet. In diesem Zusammenhang ist das Buch dann auch vorwiegend für Menschen interessant, die gerade noch ihren Platz im Kosmos des Digitalen zu finden versuchen. Es liefert zudem zahlreiche Informationen darüber, wo man anschließende noch weitere, umfassendere Informationen zu diversen, digitalen Netzwelten herbekommt. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal.