// aufgelesen vol. 19 – „ihre fotografie schmeckt bitter…“

Wer durch den Roman „Tiere essen“ (wie auch Charlotte Roche, die sich gleich den Buchtitel auf den Unterarm tätowierte) auf den Geschmack gekommen ist und sich mal den Back-Katalog von Jonathan Safran Foer zu Gemüte führen möchte, der wird nun gleich in doppelter Hinsicht vom Verlag „Kiepenhauer & Witsch“ beglückt. Dort erscheinen nämlich just in […]

foer1Wer durch den Roman „Tiere essen“ (wie auch Charlotte Roche, die sich gleich den Buchtitel auf den Unterarm tätowierte) auf den Geschmack gekommen ist und sich mal den Back-Katalog von Jonathan Safran Foer zu Gemüte führen möchte, der wird nun gleich in doppelter Hinsicht vom Verlag „Kiepenhauer & Witsch“ beglückt. Dort erscheinen nämlich just in diesen Tagen die ersten beiden Werke des Autors und führen einem gekonnt vor Augen, mit welch begnadeten literarischen Fähigkeiten dieser Safran Foer doch gesegnet ist. Sein erster Roman „Alles ist erleuchtet“ (das Werk wurde übrigens gekonnt verfilmt mit Elijah Wood in der Hauptrolle) setzt sich mit einem angehenden Literaten auseinander, der sich auf die Suche nach einer Frau begibt, welche einst seinen Großvater vor den Nazis versteckt haben soll. Mit freundlicher Unterstützung eines gewissen Alex, der eigentlich Fremdenführer sein möchte, aber diesbezüglich noch nicht über sonderlich viel Erfahrung zu verfügen scheint, macht er sich auf den Weg, wobei Safran Foer einen interessanten literarischen Kniff einsetzt, um das Spannungslevel hoch zu halten. Er wechselt nämlich ständig die Erzählperspektive und lässt noch dazu mehrere Handlungsstränge parallel ablaufen, was immer wieder für kleine Überraschungsmomente sorgt, den Leser aber keineswegs überfordert. Vielmehr fügt sich am Ende alles schlüssig zusammen, weshalb nur noch die Frage offen ist, ob es sich bei der Hauptfigur, die ebenfalls auf den Namen Jonathan Safran Foer hört, um den Autoren selbst handelt. Der Künstler selbst bestreitet das zwar, es ist aber überliefert, dass sich Safran Foer selbst mal auf einer ähnlichen Reise befunden haben soll, selbige aber nicht erfolgreich zu Ende gebracht hat. Womit wir dann auch direkt überleiten zum Zweitwerk des begnadeten Schreiberlings aus New York, welches sich indirekt mit den Folgen des 11. Septembers auseinandersetzt. An eben jenem, schicksalhaften Tag verliert ein foer2neunjähriger Junge namens Oskar Schell seinen Vater und muss sich von nun an allein durchs Leben schlagen. Der Junge selbst, welcher Pazifist, Erfinder und Designer in Personalunion ist (zumindest gibt er das vor), macht sich deshalb erst einmal auf den Weg durch die Straßen New Yorks, sein Vater hat ihm nämlich nach seinem Tod einen Schlüssel vermacht und der junge Oskar möchte gerne wissen, welches Schloss Selbiger zu öffnen vermag. Auf seinem Weg zum Ziel macht der junge Mann sehr viele prägende Bekanntschaften, wodurch man als Leser ein sehr differenziertes Bild der Stadt New York mitgeliefert bekommt. Parallel dazu wird außerdem die Geschichte von Oskars Großvater erzählt, der während der Bombardierung Dresdens seine Familie verliert – womit Safran Foer zum zweiten Mal das Kunststück gelingt, unterschiedliche Erzählstränge im Rahmen einer Geschichte zu platzieren, ohne dass es irgendwie absurd anmuten würde. Noch dazu punktet „Extrem laut und unglaublich nah“ durch seine schicke grafische Gestaltung, der Leser bekommt zahlreiche Fotos vor den Latz geknallt und darf sich auch layouttechnisch an so manchem, gewitzten Kniff erfreuen. Ähnlich wie im Roman „JPod“ von Douglas Coupland“ wird auf diese Weise eine Dynamik (und Rasanz) erzeugt, aufgrund derer man sich schon nach wenigen Seiten nicht mehr von der Geschichte loseisen möchte.

bretBret Easton Ellis, welcher seit „American Psycho“ zu den gefeiertsten Autoren der Gegenwart zählt, macht sich mit seinem aktuellen Roman „Imperial Bedrooms“ daran, die Zeiger der Zeit ein wenig zurückzudrehen. Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, wenn man nach einer gefühlten Ewigkeit plötzlich wieder in die Stadt zurückkehrt, in welcher man aufgewachsen ist. So geht es nun auch Clay, den Protagonisten dieses Romans, der nach fünfundzwanzig Jahren in seinem Heimatkaff einen Film promoten soll. Bereits nach kurzer Zeit trifft er seine alten Kumpels und seine damalige Freundin wieder, wobei die anfängliche Euphorie schnell verflogen ist. „Irgendwas stimmt da nicht“, schießt es einen schon nach wenigen Zeilen in den Sinn. Und zugegeben: die Situation spitzt sich zu, weil keiner dem anderen mehr so recht über den Weg traut. Am Ende sind alle irgendwie auf sich allein gestellt – vom eigenen Dasein zerfressen, scheinen die Protagonisten als hoffnungslose Gestalten durchs Leben zu wandeln, was dem Leser immer wieder eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Ellis versteht es ganz vorzüglich, den alltäglichen Verfolgungswahn und die Missgunst in unserer Gesellschaft in adäquate Geschichten zu verpacken. In diesem Zusammenhang sollte man sich allerdings vor Genuss dieses Romans noch das Easton Ellis-Debüt „Unter Null“ zu Gemüte führen. Selbiges erzählt nämlich nicht nur die Vorgeschichte dieses Romans, es steht dem Nachfolger auch hinsichtlich des „Paranoia“-Pegels in nichts nach.

foster-wallceJeder, der gar nicht genug kriegen konnte vom „Unendlichen Spaß“ des David Foster Wallace, der wird nun posthuman mit weiteren Geschichten des begnadeten Autors versorgt. „Alles ist grün“ beinhaltet fünf Storys, die ursprünglich dem Werk „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ entstammen, die allerdings hierzulande noch unveröffentlicht sind. Wobei Foster Wallace mit seinen Geschichten nicht nur die Grenzen des literarisch möglichen auslotet, sondern auch immer wieder seine außerordentliche Beobachtungsgabe unter Beweis stellt. Wie schon in seinem „Debüt“ „Der Besen im System“, das hierzulande leider im direkten Vergleich mit „Unendlicher Spaß“ ein Nischendasein fristet, präsentiert sich der Autor als versierter Geschichtenerzähler. Er schafft es seine Leser vor allem dadurch neugierig zu machen, dass er bestimmte Details ausspart und sie dann am Ende auf dem Silbertablett serviert. So sind seine Geschichten immer wieder mit Überraschungsmomenten gesegnet. Irgendwie schon seltsam, dass man sich als Leser dabei trotzdem nie veräppelt vorkommt. Vielmehr macht das vielfältige Schaffen dieses Autors neugierig, was er sonst noch so aus dem Ärmel zu schütteln vermag. In „Alles ist grün“ sind es Geschichten über Herz-Lungen-Massagen, heimliche Liebschaften und kreatives Schreiben. Letzteres möchte man am Ende am Liebsten von David Foster Wallace persönlich beigebracht bekommen. Der wiederum ist leider bereits im Jahre 2008 von uns gegangen. Dank seiner Kreativität, Vielschichtigkeit und Beobachtungsgabe wird er durch seine Geschichten aber ewig weiterleben. Zudem soll in Kürze sein bisher noch unveröffentlichter und unvollständiger Roman „The Pale King“ erscheinen. Wir sind gespannt und versüßen uns die Wartezeit mit diesen fünf, äußerst spannenden Momentaufnahmen eines literarischen Genies.

nick-hronbyNoch mehr Kurzgeschichten knallt uns in der Zwischenzeit der hoch verehrte Nick Hornby vor den Latz, der uns in seinem aktuellen Buch von Situationen erzählt, die man ganz getrost unter dem Banner „dumm gelaufen“ abheften kann. Wenn eine erschütterte Mutter plötzlich feststellen muss, dass ihr Sohn zur Porno-Ikone avanciert oder Stefan aus dem Land „Campina“ plötzlich zur Nationalelf berufen wird, weil in seinem Land keine weiteren Männer verfügbar sind, bekommt man als Leser sehr schnell ein gutes Gefühl dafür vermittelt, wie unwohl den einzelnen Protagonisten in ihrer jeweiligen Rolle ist. Die klärenden Gespräche im Anschluss versprechen in diesem Zusammenhang zwar keinerlei Linderung hinsichtlich dieses Gefühls, sie machen aber deutlich, dass hier jeder für sich genommen versucht das Beste aus seiner Situation zu machen. In diesem Zusammenhang lebt das kleine, aber feine Werk vor allem von seiner Situationskomik. Mit einem Lächeln auf den Lippen scheint einem der Autor zuzuflüstern, dass man die ganze Geschichte bloß nicht zu ernst nehmen sollte. Die kindliche Naivität, mit welcher zahlreiche Protagonisten hier ihren Alltag bewältigen, macht einen als Leser nahezu neidisch. Und so ist man am Ende von „Small Country“ nicht nur um einige Erfahrungen reicher, Nick Hornby zieht einem auch mit seiner lockeren Schreibe die Mundwinkel hoch. Und damit Schluss für heute. Bis zur nächsten Leserunde.