// aufgelesen vol. 21 – „sie sitzt weit, weit oben im baum…“

mit aktuellen Büchern von Klaus Modick, Sonja Heiss, Jussi Adler-Olsen, Sandro Veronesi und Robert Schnakenberg. // Während Lion Feuchtwanger im kalifornischen Exil haust, wird er von Bertolt Brechts Tod überrascht. Plötzlich beginnt er sich zu erinnern. Er fängt an Gespräche mit seinem toten Freund zu führen, den er einst selbst gefördert hatte. In Freundschaft sind […]

mit aktuellen Büchern von Klaus Modick, Sonja Heiss, Jussi Adler-Olsen, Sandro Veronesi und Robert Schnakenberg.

klaus_modick_sunset// Während Lion Feuchtwanger im kalifornischen Exil haust, wird er von Bertolt Brechts Tod überrascht. Plötzlich beginnt er sich zu erinnern. Er fängt an Gespräche mit seinem toten Freund zu führen, den er einst selbst gefördert hatte. In Freundschaft sind sie seither verbunden gewesen und so liegt es an dem Hinterbliebenen, bestimmte Stationen seines Lebens mit sich selbst im stillen Dialog zu reflektieren. Er schnappt sich in Gedanken den toten Brecht und beleuchtet diverse Stationen ihrer langjährigen Freundschaft. Am Ende muss der Protagonist feststellen, wie stark die Freundschaft zu Brecht auch sein eigenes Schaffen geprägt hat. Und so gerät „Sunset“ fast zu einer Art autobiographischer Geschichte. Autor Klaus Modick schafft es, die Verbundenheit zweier Genies zu skizzieren und die daraus resultierende, schöpferische Kraft deren Verhältnisses in diesem Roman zu umreißen. Kein Wunder, dass alle Literaturkritiker nur in höchsten Tönen von diesem Werk sprechen, welches einerseits mit gelungenen Geschichten, aber auch mit zahlreichen, sarkastischen Passagen überrascht. „Sunset“ ist ein Roman über eine bemerkenswerte Dichter-Freundschaft. Vor allem aber ist es ein Gedicht von einem Buch.

sonja-heiss// Wer den Film „Hotel Very Welcome“ gesehen hat, der kann sich in etwa vorstellen, was er vom Debütroman der Münchner Autorin Sonja Heiss zu erwarten hat. Die heutige Wahl-Berlinerin skizziert in ihrem Buch „Das Glück geht aus“ die Befindlichkeiten von Menschen, die nicht so recht wissen, wo sie eigentlich stehen. Allesamt stürzen sie sich mittenrein ins Leben, werden aber ständig von der Angst geplagt, etwas zu verpassen oder noch schlimmer: ein belangloses Leben zu führen. Die Protagonistinnen ihres Buches sind hungrig nach Erfahrung. Das Werk skizziert das Dasein von zehn unterschiedlichen Frauen, die sich allesamt an die eigene Jungend klammern. Das Buch macht in zehn Episoden deutlich, wie wir versuchen, Momente des Wohlbefindens langfristig festzuhalten. Da uns die Suche nach dem Glück allerdings zunehmend aussichtslos erscheint und wir im Rahmen der Reflexion des eigenen Seins feststellen müssen, dass zahlreiche Schranken ein glückliches (und vollkommenes) Selbstbild verhindern, hadern wir zunehmend mit dem Schicksal. Wir verschließen uns der Gewissheit, dass unser Glück beschränkt ist. Es ist letztlich die eigene Vergänglichkeit, die uns Angst macht. Umso bemerkenswerter, dass Sonja Heiss diesen Umstand indirekt aufgreift und ihn anhand der Vaterfigur ihrer ersten Geschichte skizziert. Da tanzt der alte Herr nämlich auf der Schwelle zum Jenseits, darf aber noch einmal ins Leben zurückkehren. Selbiger ruht hinterher allerdings nur umso mehr in sich selbst. Anfangs glauben noch alle, dass er die restlichen Jahre seines Lebens nun intensiver nutzen wird, weil er dem Tod bereits in die Augen gesehen hat. Stattdessen sitzt er zu Hause, liest Bücher und fängt an zu sparen. Fast scheint es, als habe er seine Bestimmung und letztlich auch sein Glück gefunden – und zwar allein dadurch, dass er sich allem Überschüssigen versagt hat. Fazit: ein großartiges Werk.

jussiadlerolsen_erbarmen// „Erbarmen“ ist der erste Band einer Trilogie von Jussi Adler-Olsen. Der Autor (Jahrgang 1950) studierte Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film und arbeitete in vielen verschiedenen Berufen bis er 1997 seinen ersten Roman veröffentlichte. In Deutschland erscheint nun sein viertes Werk unter dem Titel „Erbarmen“ – wohl weil man meint, dass man mit drei Büchern, die als Titel ein Schlagwort tragen („Erbarmen“, „Schändung“ und „Erlösung“), die Absatzzahlen zu steigern vermag. Der erste Band um den Vizekriminalkommissar Mørcks heißt im dänischen Original „Kvinden i buret“ – was so viel bedeutet wie „Die Frau im Käfig“. Die Übersetzung des Titels ist demnach also schon einmal Geschmackssache. Inhaltlich dreht sich alles um einen geistig behinderten Jungen, einen alternden (und äußerst anstrengenden) Polizisten und eine junge (ziemlich hübsche und aufstrebende) Politikerin. In einem Sonderdezernat namens „Q“ versucht der Sonderermittler Carl Mørcks (nicht zu verwechseln mit dem verstorbenen Musikanten Karl Moik) auf sich allein gestellt einen alten Fall zu lösen. Er dreht sich um den Mord an der stellvertretenden Vorsitzenden der Demokratischen Partei, deren Leiche niemals gefunden wurde. Dabei kommen Carl und sein Assistent Assad des Rätsels Lösung immer näher. Jussi Adler-Olsen umreißt darüber hinaus im gemächlichen Tempo die Verstrickungen der einzelnen Protagonisten in den Fall und lässt den Leser auf diese Weise lange im Unklaren, was eigentlich vor sich geht. „Erbarmen“ ist gerade aus diesem Grund spannend bis zur letzten Seite. Darüber hinaus sollte sich für alle Fans auch ein Abstecher auf die Frankfurter Buchmesse lohnen. Da ist Jussi Adler-Olsen nämlich in diesem Jahr zu Gast.

sandro-veronesi-xy// Eine äußerst mysteriöse Geschichte um elf tote Touristen in einem verschneiten Wald am Rande eines Bergdorfs präsentiert uns in diesen Tagen der renommierte Autor Sandro Veronesi aus Florenz. Der Schriftsteller hat es bereits mit seinem Roman „Stilles Chaos“ auf die Bestsellerlisten geschafft. Sein aktuelles Werk „XY“ steht dem kommerziellen Erfolg des Vorgängers diesbezüglich in keiner Weise nach. Dem langjährigen Übersetzer und Germanistik-Studenten gelingt es auf gekonnte Weise die Neugier der Leser zu wecken. Immer dann, wenn man sich des Rätsels Lösung zu nähern scheint, führt er alles wieder mit einer überraschenden Wendung ad absurdum. Schon allein, dass die Tode von elf gleichzeitig sterbenden Menschen auf unterschiedlichen Todesursachen basieren sollen, sorgt für einen erhöhten Spannungspegel. Wenn die Toten dann auch noch durch den Biss eines Haifisches, einem Herzinfarkt oder Selbstmord ums Leben gekommen sein sollen, beginnen die Rädchen im Kopf des Beobachters zu rattern. Wie bitteschön soll für so etwas Absurdes am Ende eine glaubwürdige Erklärung gefunden werden? Und geht es Veronesi überhaupt darum die Geschehnisse zu erklären? Will er nicht vielmehr hinter die Fassade einer Gesellschaft blicken, die sich fortwährend darin übt, die Realität zu verdrängen. Auf den ersten zweihundert Seiten dieses Buches jedenfalls dreht sich die Geschichte mehr um die Befindlichkeiten seiner beiden Protagonisten, als um die Aufklärung der mysteriösen Ereignisse. Dementsprechend dürfte „XY“ auch für Fans von TV-Serien wie „Twin Peaks“ interessant sein, der Teufel schlummert nämlich auch hier im Detail. Man muss nur den Mut haben, genau hinzuschauen. Dann wird des Rätsels Lösung einen am Ende gar nicht mehr so wichtig erscheinen.

schnakenberg// Nach dem Werk „Die grossen Künstler und ihre Geheimnisse“ hat sich der „Walde + Graf“-Verlag dazu entschlossen auch die Riege der Filmregisseure etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. In dem Buch „Die grossen Filmregisseure und ihre Geheimnisse“ dreht sich alles um das Privatleben der Kameragötter und so wird hier unter anderem überprüft, ob Alfred Hitchcock wirklich keinen Bauchnabel besaß und warum es Charlie Chaplin mit seiner Körperhygiene nicht allzu genau genommen hat. Mit zahlreichen Illustrationen durchsetzt ist das Werk ein amüsanter Spaß für jede noch so öde Studentenparty und dürfte sich auch als Geburtstagsgeschenk für Filmfreaks ganz hervorragend eignen. Ich meine, mal im ernst… Liegt Walt Disney wirklich in einem Tiefkühlsarg unterhalb Disney-Lands begraben? Hat Orson Welles tatsächlich eine Chemikalie in seinen Swimmingpool gekippt, die dafür sorgte, dass alle, die da heimlich rein urinierten, auf frischer Tat ertappt wurden, indem sich das Wasser rot färbte? Und hat Woody Allen wirklich allen ernstes eine Imkerhaube getragen, um sich vor Insekten am Set zu schützen? Dieses Werk hier verrät es dir und setzt sich auf humoristische Weise mit den größten Mythen um renommierte Filmregisseure auseinander. Da haben Autor Robert Schnakenberg und Zeichner Mario Zucca ganze Arbeit geleistet. Wer im nächsten Filmseminar unbedingt ein bisschen schlaumeiern möchte, sollte unbedingt mal reinschnuppern. Es lohnt sich. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal.