// strichcode vol. 18 – „ich spürte, wie ich mich von dir entferne, von italien, von allem“

mit den Bänden „Im Land der verlorenen Erinnerung“, „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“, „Das Zeichen des Widders“, „Der große Bär“, „Trau dich, du Elch!“, „Mach mal Pause, Biber!“, „Das Fräulein von Scuderi“, „Asphalt Tribe“ und „Modotti“. // Wer auf großformatige Comic-Bände im mysteriösen Outfit steht, ist „Im Land der verlorenen Erinnerung“ an der richtigen Adresse. […]

mit den Bänden „Im Land der verlorenen Erinnerung“, „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“, „Das Zeichen des Widders“, „Der große Bär“, „Trau dich, du Elch!“, „Mach mal Pause, Biber!“, „Das Fräulein von Scuderi“, „Asphalt Tribe“ und „Modotti“.

landderverlorenenerinnerung1// Wer auf großformatige Comic-Bände im mysteriösen Outfit steht, ist „Im Land der verlorenen Erinnerung“ an der richtigen Adresse. Die gleichnamige Graphic Novel dreht sich um ein dunkles Land, in welchem ein einsamer Held durch sein trostloses Dasein streift. Ohne Erinnerung und Ziel schlendert er mit vermummtem Gesicht durch die Welt und sucht nach Hoffnungsschimmern, die das Grau um ihn herum ein wenig aufzuhellen vermögen. Autor Carl Norac und Zeicher Stéphane Puolin gelingt es die Trostlosigkeit einer Existenz ohne Hoffnung sehr treffend in Szene zu setzen. Unser Protagonist fragt sich: „Zielen diese Leute absichtlich daneben? Oder sind sie dazu erzogen, stumm zu sterben?“. Durch Sätze wie diese wird auch das Maß an Entfremdung deutlich, welche er dem Leben gegenüber verspürt. Ob es ihm gelingt seinen Traum einer friedvollen, vielleicht sogar zärtlichen Welt in die Tat umzusetzen. Ob es ihm gelingt, dem dunklen Gefängnis zu entfliehen, in welchem er im Rahmen dieser Geschichte gelandet ist. Es lohnt sich das herauszufinden, weil dieses Werk im übertragenen Sinne auch die philosophische Frage aufwirft: Lohnt es sich eigentlich noch für unsere eigenen Träume / unsere Freiheit zu kämpfen oder ist jegliche Art des Aufbegehrens von vorne herein zum Scheitern verurteilt?

5000kilometer// Nach dem wunderbaren Selbstfindungstrip „Hair Shirt“ knallt uns der „avant-verlag“ eine weitere, äußerst lesenswerte Neuerscheinung vor den Latz. Die Graphic Novel „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“ hat nicht nur den „Großen Preis der Stadt Genf” abgeräumt, die Geschichte ist auch eine weich gezeichnete Hommage an das Leben und die überraschende Wendungen, welche es immer wieder für uns Menschen bereit hält. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein gewisser Piero. Er verkriecht sich als Jungspund am Liebsten in sein Zimmer und hat es sich in der Rolle des stillen Beobachters gemütlich gemacht. Sein Augenmerk hat er auf eine gewisse Lucia gerichtet, die soeben ins Nachbarhaus eingezogen ist. Als sich die beiden zufällig im Treppenhaus treffen, funkt es. Dann allerdings scheint ihnen das Leben einen Streich zu spielen. Lucia beginnt in Norwegen zu studieren und bekommt ein Kind von einem gewissen Sven, ein neuer Lebensabschnitt für sie beginnt. Piero zieht es nach seinem Studium nach Ägypten. Er findet ebenfalls wieder jemanden: Cinzia, die nun auch ein Kind von ihm erwartet. Als sich Lucia und Piero schließlich wieder treffen, holt sie die Vergangenheit wieder ein. Blöderweise aber ist Lucia inzwischen mit Nicola zusammen, dem besten Freund Pieros. Diese verzwickte Geschichte erzählt Autor Manuele Fior in einzelnen Episoden, die recht lose miteinander verbunden sind. Dementsprechend wird auch sehr viel ausgelassen zwischen den einzelnen Lebensabschnitten. Das aber macht es für den Leser überaus spannend, die einzelnen Bruchstellen selbständig wieder zusammenzufügen. Der italienische Autor, der nach der Jahrtausendwende fünf Jahre als Architekt in Berlin lebte, wurde für seine Graphic-Novel völlig zu Recht mit dem diesjährigen Preis für das „Beste Album“ auf dem Comicfestival in Angoulême ausgezeichnet.

zeichen_des_widders// Die Schriftstellerin Fred Vargas zählt sicher zu den renommiertesten Autorinnen Frankreichs. Ihre Kriminal-Romane sind inzwischen in über 40 verschiedene Sprachen übersetzt worden. Da scheint es nur nahe liegend, als nächsten Schritt ein illustriertes Werk zu veröffentlichen. Mit freundlicher Unterstützung des in Japan lebenden Zeichners Edmond Baudoin gelingt es der Autorin, eine spannende Geschichte mit kargen Motiven zu dekorieren. „Das Zeichen des Widders“ dreht sich um zwei Kleinkriminelle, die den falschen Mann beklaut haben. In seiner Tasche finden sich grausige Dinge und so leben die beiden Kleinganoven fortan mit der Angst, eines Nachts von dem ursprünglichen Besitzer besucht zu werden und ihres Lebens beraubt zu werden. Als einer der Beiden dann tatsächlich das Zeitliche segnet, spitzt sich die Situation dramatisch zu. Der Autorin gelingt es in diesem Zusammenhang, okkulte Motive in die Geschichte einzustreuen, ohne dass das Ganze ins Absurde abgleitet. „Das Zeichen des Widders“ ist eine glaubwürdige Erzählung, die einem dennoch eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagt. Somit können wir diese Geschichte im Grenzgebiet von Ritualmorden und Kleinganoven jedem Fan des „Da Vinci Codes“ nur dringend ans Herz legen. Es ist zudem bemerkenswert, wie die Autorin es schafft, ihre Schilderungen immer wieder ziel gerichtet mit den schwarzweißen Zeichnungen zu verschmelzen. Hinterher greift man fast zwangsläufig zu ihren zahlreichen Büchern, die bereits im Vorfeld aus ihrer Feder entflohen sind.

JS Mach mal Pause, Biber!.indd// Anschließend schwelgen wir mal ein wenig in schönen Erinnerungen an unsere Jugend. Wir fühlen uns nämlich dazu berufen im Rahmen des „Strichcodes“ erstmals eine prächtige Kinderbuch-Reihe vorzustellen. Die drei Bücher „Der große Bär“, „Trau dich, Elch!“ und „Mach mal Pause, Biber!“ sind so frech und witzig in Szene gesetzt, dass sie sich ganz hervorragend als überraschendes Weihnachtsgeschenk für kleine (und große) Kinder eignen. Im dritten, unserer Meinung nach witzigsten Band der Reihe namens „Mach mal, Pause, Biber!“ drehbart sich alles um einen durch geknallten (wer hätte das gedacht…) Biber, der sein Umgebung um sich herum kurz und klein knabbert. Man kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus, während der grinsende Anarchist durchs Leben trottet und dabei nicht nur Vogelfamilien ihres Zuhauses beraubt, sondern auch noch dem großen Bären eine Gehirnerschütterung zufügt. Sogar das Bein des Elches wird im Laufe des Buches angeknabbert, weil er es versehentlich mit einem Baumstamm verwechselt. Nachdem er im Zusammenhang mit einem selbst verschuldeten Unfall allerdings kurzerhand im Krankenhaus landet, weil ihm ein Baumstumpf auf den Bauch platscht, fängt er an seine Rolle im Wald zu überdenken. Es folgen einige Tagen im Kraftraum und dann wird kurzerhand alles wieder gut gemacht. Ob es ihm gelingt den Bären und den Elch von seiner Wandlung zum Gutmenschen, pardon Gutbiber, zu JS Trau dich Elch.inddüberzeugen? Es lohnt sich das herauszufinden. Und sich darüber hinaus auch die beiden, vorab veröffentlichten Bände „Der große Bär“ und „Trau dich, Elch!“ zu schnappen. Die greifen nämlich das Leben des großen Bären und des Elches auf, die beim Biber auch eine Nebenrolle innehaben. Schöpfer Nicholas Oldland gelingt es auf diese Weise ein zauberhaftes, kleines Universum zu kreieren, das nicht nur für junge Menschen, sondern auch für Junggebliebene interessant sein dürfte. Der Autor vermag es durch seine verrückten Zeichnungen eine sympathische Welt zu entwerfen, welche man sich am liebsten auf Postergröße ausdrucken möchte, um damit das heimische Wohnzimmer zu tapezieren. Soll heißen: Am besten einfach mal reinschnuppern und sich auf dieses kindische Spektakel einlassen. Es wird auch dich verzaubern.

scuderi// Eine außergewöhnliche Graphic Novel erscheint in diesen Tagen unter dem Namen „Das Fräulein von Scuderi“ beim Verlag „Edition Büchergilde“. Die Novelle, auf welcher dieses Buch basiert, stammt aus dem Jahr 1819 und wurde von E.T.A. Hoffmann verfasst. Sie gilt als Klassiker der Weltliteratur und ist wie geschaffen, um sie in illustrierter Form noch mal aufs Neue zu veröffentlichen. In der Geschichte dreht sich alles um eine 73jährige Hofdichterin von König Ludwig den XIV. Sie wird versehentlich zur Ermittlerin im Rahmen einer Mordserie. Alle Opfer trugen Schmuck, welcher ihnen nach ihrem Tod abhanden gekommen ist. Wer dafür verantwortlich ist, möchten wir bei dieser Gelegenheit natürlich noch nicht verraten, es lohnt sich aber durchaus es herauszufinden. Auch deshalb, weil der Band nicht nur aus einem gelungenen Comic besteht, welches die Grafiker Alexandra Kardinar und Volker Schlecht, mit verspielter Geste aus dem Ärmel geschüttelt haben, sondern weil im Anschluss auch noch der Originaltext aus der Feder E.T.A. Hoffmanns untergebracht wurde. Die bunten, detail-verliebten Collagen und Zeichnungen ergänzen die Geschichte hervorragend und sind ein gefundenes Fressen für all jene, die bereits am „Take Me Out“-Video von Franz Ferdinand ihre helle Freude hatten. Wer auf klassische Kriminalunterhaltung im besonderen Outfit steht, sollte unbedingt mal rein lesen.

asphalt-tribe// In der Zwischenzeit widmen wir uns einer weiteren Romanadaption, welche in diesen Tagen als Graphic-Novel in die Läden kommt. „Asphalt Tribe“ von Stefani Kampmann basiert auf dem erfolgreichen Jugend-Roman von Morton Rhue. Der Schöpferin gelingt es die Aufmüpfigkeit des Originals treffend in schwarz-weiße Zeichnungen zu überführen. Die Geschichte dreht sich um ein achtköpfiges Kollektiv namens „Asphalt Tribe“. Die Bande junger Leute versucht sich auf den Straßen New Yorks durchzuschlagen und muss eine ganze Reihe persönlicher Schicksalsschläge hinnehmen. Rainbow ist süchtig, 2Moro und Jewel gehen auf dem Strich, jeder in der Gruppe hat sein Päckchen zu tragen und so tut Stefani Kampmann gut daran, sich im Laufe der Geschichte sehr viel Zeit für die unterschiedlichen Charaktere zu nehmen. Sie macht deutlich, wie hart ein Leben auf der Straße / unter Obdachlosen ist und trotzdem knallt das Schicksal den zahlreichen Protagonisten immer wieder einzelne Hoffnungsschimmer vor den Latz. Sie sind es, die sie am Leben halten, (ACHTUNG SPOILER!), gerade aber, wenn der letzte Funken Hoffnung weg bricht, geraten die einzelnen Charaktere nur umso mehr ins Schlittern, wodurch zahlreiche Personen der Gruppe im Laufe des Romans auf der Strecke bleiben und die eingefleischte Clique zunehmend zerbröselt. „Asphalt Tribe“ erzählt auf schonungslose Weise vom Leben am Rande der Gesellschaft. Es macht deutlich, dass gesellschaftlicher Fortschritt immer auch zahlreiche Opfer fordert. In diesem Zusammenhang ist es schön zu sehen, dass hier von Seiten der Autoren nicht sonderlich dramatisiert wird. Die Dinge sind einfach wie sie sind. Und bringen einen dadurch zum Nachdenken.

modotti// Gleiches gilt für die Graphic Novel „Modotti“ des spanischen Illustratoren Ángel de la Calle, welcher bereits seit zwei Jahrzehnten des Krimifestival „Semana Negra“ organisiert. In seinem Werk, das allen Fans von Art Spiegelmanns „Maus“ gefallen sollte, umreißt er das Leben einer linken Schauspielerin, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Star in der Stummfilmszene mausert. Tina Modotti mutiert auf ihrem Streifzug durchs Leben nicht nur zur Stalinisten, dem vorliegenden Buch gelingt es auch die Vielschichtigkeit der Person Modotti im Rahmen einer spannenden Geschichte zu erzählen. Das Buch handelt von linken Ideen, der Kunst und dem Leben auf dem Land. Ángel de la Calle gelingt es, die einzelnen Stationen von Modottis Leben so rasant darzustellen, dass man dieses (Lebens-)Werk am Liebsten in einem Rutsch reinziehen möchte. Durch die zahlreichen, reflektierten Passagen und Gespräche, die den Autoren sehr viel Recherche-Arbeit beschert haben dürften, entsteht im Kopf des Lesers ein vielschichtiges Bild der Protagonistin. Das allerdings führt auch hin und wieder dazu, dass man im Laufe des Buches ein wenig den Faden verliert. Es ist wahrscheinlich dem Wunsch des Autors geschuldet, die Leser im Laufe der Erzählung mit den Namen unzähliger Weggefährten zu konfrontieren und auf diese Weise eine möglichst umfassende Biografie der Protagonistin zu generieren. Es sorgt aber beim Laien dafür, dass man zwischenzeitlich immer wieder den Faden verliert. Trotz allem gelingt es dem Werk, die Lebensumstände und Anliegen einer faszinierenden Frau glaubwürdig in Szene zu setzen. Wer also auf anspruchsvolle Unterhaltung in „Graphic Novel“-Form steht, sollte unbedingt mal rein lesen. Es lohnt sich. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Strichcode.