// aufgelesen vol. 31 – „für den untoten gelten die regeln des sozialstaates nicht mehr“

mit neuen Büchern von Markus Metz & Georg Seeßlen, Helmut Kuhn, Christian Frascella, Michael Fuchs-Gamböck & Thorsten Schatz und Thomas von Steinaecker. // Huch, was ist das denn? Fachliteratur über Zombies. Darauf hat die Welt gewartet… oder die Unterwelt. Auf jeden Fall ist dem Theaterwissenschaftler Markus Metz und dem Maler Georg Seeßlen ein wirklich aufschlussreiches […]

mit neuen Büchern von Markus Metz & Georg Seeßlen, Helmut Kuhn, Christian Frascella, Michael Fuchs-Gamböck & Thorsten Schatz und Thomas von Steinaecker.

metz// Huch, was ist das denn? Fachliteratur über Zombies. Darauf hat die Welt gewartet… oder die Unterwelt. Auf jeden Fall ist dem Theaterwissenschaftler Markus Metz und dem Maler Georg Seeßlen ein wirklich aufschlussreiches Werk zum Thema „Untote“ gelungen. „Über Posthumane, Zombies, Botox-Monster und andere Über- und Unterlebensformen in Life Science & Pulp Fiction“ wollten die beiden Autoren schreiben und machen mit dem Untertitel ihres Werkes bereits deutlich:

Wir sprechen hier nicht nur von Geschöpfen aus der Hölle, wir reden vom Einfluss der Zombies auf unser reales Leben „Wir Untote“ nennt sich demnach auch ihr Buch, welches in diesen Tagen bei „Matthes & Seitz Berlin“ erscheint. In einer Welt, in welcher die Grenzen zwischen Leben und Tod im Zuge der Digitalisierung immer mehr zu verschwimmen drohen, erforschen Metz & Seeßlen das Wesen alles Untoten. Sie suchen eine Antwort auf die Frage: „Bin ich/ist Ich schon kontaminiert vom Untod?“ In fünf Kapiteln widmen sie sich dem „Zombie in uns“ und setzen sich mit dem „vorläufigen Sieg der Kleinbürgervampire über das Zombie-Prekariat“ auseinander. Das wirkt auf den ersten Blick ziemlich schräg, ist aber äußerst amüsant getextet und voller Seitenhiebe auf die gegenwärtige Popkultur. Man muss sich einfach treiben lassen von ihren Ausführungen, dann entfaltet „Wir Untote“ einen post-morbiden Charme, der zahlreiche Ratschläge fürs echte Leben in der Hinterhand hält. Sogar die Bankenkrise wird im Rahmen des Buches aufgegriffen, außerdem setzen sich die Autoren mit „Zombie-Banken“ auseinander, darüber hinaus ist in dem Buch ein interessanter Abschnitt über die Geschichte des Zombie-Films vorhanden. Alles in allem, ein äußerst empfehlenswertes Fachbuch. Und ein gefundenes Fressen für alle Fans der Zombie-Filme aus dem Hause George A. Romero und der epischen Comic-Buch-Reihe „The Walking Dead“.

kuhn2// Von Berlin-Romanen scheint die Welt gar nicht genug kriegen zu können. Mit „Gehwegschäden“ ist nun ein weiteres, durchaus lesenswertes Exemplar bei der „Frankfurter Verlagsanstalt“ erschienen, das sich mit der gegenwärtigen Situation in der deutschen Hauptstadt auseinander setzt. Helmut Kuhn, der Autor des Buches, welcher bereits für die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und den Stern tätig gewesen ist, lässt einen wütenden Protagonisten namens Thomas Frantz auf den Leser los. Der ist ziemlich genervt von den zahlreichen Heuschrecken, die sich in Berlin diverse Immobilien unter den Nagel reißen, um daraus Tempel des Konsums zu generieren. Das chaotische Leben von Thomas Frantz steht in diesem Zusammenhang sinnbildlich für die Orientierungslosigkeit, der sich viele Menschen im Antlitz der grenzenlosen Freiheit / der unendlichen Möglichkeiten ausgesetzt fühlen. Das führt dann zu Trendsportarten, wie Schachboxen. Gleich zu Beginn wird eine Charakterisierung des Begriffs vorgenommen. Denn Thomas Frantz ist Schachboxer. Es geht darum „das Adrenalin beim Schach zu kontrollieren“, so der Autor. Bei dem Trendsport wird kurz gesagt: geschacht und geboxt. Um zu gewinnen, muss man beide Wettkämpfe für sich entscheiden. Wobei das Schachboxen vor allem ein Sinnbild ist. Ein Sinnbild dafür, wie die Grenzen zwischen den Dingen immer mehr zu verschwimmen drohen. Womit wir auch schon bei der Sache mit den „Gehwegschäden“ sind. „Das Wort bedeutet, es wird hier nichts mehr repariert: Wir haben resigniert, wir haben uns abgefunden“. Wobei da auch die gute, alte Liebe noch ein Wörtchen mitzureden hat. Und da kommt dann Doktorandin Sandra ins Spiel. Und wie die das Leben von Thomas auf den Kopf stellt, ist bemerkenswert. Genau wie dieser Roman, dem wir euch hiermit ganz innig ans Herz legen möchten.

frascalla2// Jugendliche Ich-Erzähler gibt es derweil ja bereits zuhauf. Und es wird immer schwerer, die Lesenswerten von den Belanglosen zu trennen. Eine bemerkenswerte Geschichte wird in diesen Tagen bei der „Frankfurter Verlagsanstalt“ veröffentlicht. „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ dreht sich um einen jungen Herren, der sich als hoffnungsloser Maulheld zu profilieren versucht. Das wiederum kommt nicht von ungefähr, schließlich hat er im Leben sonst nicht viel zum Lachen. Sein Vater, welchen er nur mit dem Namen „Chef“ anspricht, steht der Abschaffung der Prügelstrafe äußerst skeptisch gegenüber und seine Mutter hat mit einem jungen Tankwart aus der Gegend längst das Weite gesucht. Der junge Mann ist also weitestgehend auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, den Rätseln des Lebens auf die Schliche zu kommen. Es folgen: Prügeleinen auf dem Schulhof und als letzte Konsequenz: die Beendigung der schulischen Laufbahn. Davon unterkriegen allerdings lässt sich unser Protagonist nicht. Er scheint jeder noch so kniffligen Situation etwas Positives abgewinnen zu können. Sogar sein Job am Fließband bringt ihn nicht aus der Ruhe. Ob er überhaupt merkt, dass er seinem Umfeld mit seinem Verhalten ganz massiv auf die Nerven fällt? Am besten ihr findet es selbst heraus. Dem Turiner Autor Christian Frascella gelingt es ein liebenswürdiges Buch über eine hemmungslose Nervensäge zu schreiben. Allein schon der Buchtitel ist ein einziger Affront gegen das politisch Korrekte, das sich immer tiefer in unser eigenes Leben zu schleichen scheint. Wer sich also gerne über kleine (und auch große) Respektlosigkeiten amüsiert, sollte unbedingt mal reinlesen. Es lohnt sich.

jan-delay// „Jan Delay“ zählt hierzulande mit Sicherheit zu den renommiertesten Künstlern der vergangenen Jahre. Weil er auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken kann, wurde nun eine entsprechende Biografie aus dem Ärmel geschüttelt, die das bunte Leben des Hamburger Musikers auf knapp 200 Seiten zusammenfasst. Neben diversen Must-Haves wie einer Discographie (in der netterweise auch sein Instrumental-Projekt La Boom, das einst auf Kassette erschienen ist, Erwähnung findet) und zahlreichen Fotos finden sich darin auch zahlreiche Anekdoten zu seinen bewegten Anfangstagen des Künstlers zusammen mit seiner HipHop-Crew: den (Absoluten) Beginnern. Wenn Jan Delay als Gaststar im aktuellen „Wellness“-Clip von Marsimoto vor einem bemalten Zug mit Kollegen wie Torch, Curse und DJ Dynamite posiert, dann kommt das nicht von ungefähr. Jan Delay hat mit den (Absoluten) Beginnern und dem Album „Bambule“ ein gehöriges Stück dazu beigetragen, dass deutscher HipHop um die Jahrtausendwende auf ein neues Level gehievt wurde. Vollends durch die Decke ging seine Karriere allerdings erst, nachdem er als Solokünstler aktiv geworden ist. Die augenzwinkernden Momente des Stückes „Liebes Lied“ (dessen ironische Passagen den eigentlichen Hit ad absurdum führen, was in einem Auftritt bei der Chartsendung „The Dome“ gipfelt, wo die Band einfach drei Doppelgänger auf die Bühne schickt, ohne das es jemand bemerkt) sind mit der Zeit immer mehr in den Hintergrund gerückt. Jan Delay ist inzwischen zum Popstar gereift, der mit seinen Live-Shows die großen Hallen des Landes rockt. Seine augenzwinkernde Haltung zum Popgeschäft aber hat er sich bis heute bewahrt und so verlosen wir nur zu gerne einige Exemplare dieser gelungenen Biografie aus der Feder von Michael Fuchs-Gamböck und Thorsten Schatz. Wer bei dem Gewinnspiel mitmachen möchte, schickt uns einfach eine Mail mit dem Stichwort „Jan Delay“ an die Addi mail@zuckerkick.com. Anschrift nicht vergessen. Wir wünschen allen Teilnehmern viel Glück.

steinaecker// Fans von gehobener Paranoia-Literatur der Marke Pynchon sollten sich mal das aktuelle Werk von Thomas von Steinaecker zu Gemüte führen. Der Journalist und Autor der preisgekrönten Romane „Wallner beginnt zu fliegen“ und „Geister“ entwirft in seinem aktuellen Werk ein tiefsinniges Psychogramm einer Person, deren innere Unsicherheit sie zunehmend um den Verstand bringt. Renate Meißner, Angestellte einer Versicherungsgesellschaft, muss im Auftrag ihrer Firma nach Russland reisen. Dort trifft sie auf die Leiterin eines riesigen Vergnügungs-Imperiums, welche überraschend große Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Großmutter aufweist. Währenddessen nagen die Zweifel an ihr. Will die Firma sie aus dem Spiel nehmen, indem sie sie nach Russland schickt? Ist das Ganze vielleicht nur ein groß angelegter Test, den es gilt bestmöglich zu überstehen? Die Grenzen zwischen Realität und dem, was im Kopf der Protagonistin geschieht, verschwimmen zunehmend. Der Leser wird in die Irre geführt. Die zahlreichen Fotos, die sich in das Buch geschlichen haben, verstärken die Irritationen – Portraits von Angela Merkel und berühmten Selbstmord-Opfern säumen die Seiten des Romans und deuten darauf hin, was die Kosten für den größtmöglichen Erfolg (oder Ruhm) sein könnten. Die Selbstzweifel der Protagonistin passen in diesem Zusammenhang einfach nicht so recht ins Bild und schleichen sich eben deshalb in den Kopf der Leser ein. Auf diese Weise lässt sich „Das Jahr in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu leben“ auch als kritischen Beitrag zum Thema „Karriereplanung“ auffassen. Eine Gesellschaft, auf Wachstum programmiert, verzeiht keine Fehler, keine Ängste, keine Schwächen. Alltäglich fühlt man sich in unserer Leistungsgesellschaft allerdings den mannigfachsten Konkurrenzsituationen ausgesetzt, die auf unterschiedlichsten Ebenen ablaufen. Um erfolgreich zu sein, scheint es keine andere Möglichkeit zu geben, als sich dem Diktat des größtmöglichen Erfolgs zu unterwerfen. Es braucht demnach einen Befreiungsschlag, um sich vom Ballast der Erwartungen zu befreien. Ob Renate Meißner Selbiger gelingt? Am besten du findest es selbst heraus. Es lohnt sich. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal.

verfasst von Alexander Nickel-Hopfengart