// aufgelesen vol. 32 – „es ist 2:46 uhr, und ich bin wach.“

mit neuen Büchern von Ben Brooks, Ed Burns & David Simon, Roberto Saviano, Matt Haig und Keri Smith. // Generationsromane gibt’s derzeit ja zuhauf. Ben Brooks allerdings sticht mit seinem Werk „Nachts werden wir erwachsen“ aus der Masse heraus. Sein 260-Seiten-dickes Buch erzählt in rasender Geschwindigkeit die Geschichte eines jungen Mannes auf dem Weg zum […]

mit neuen Büchern von Ben Brooks, Ed Burns & David Simon, Roberto Saviano, Matt Haig und Keri Smith.

ben-brooks// Generationsromane gibt’s derzeit ja zuhauf. Ben Brooks allerdings sticht mit seinem Werk „Nachts werden wir erwachsen“ aus der Masse heraus. Sein 260-Seiten-dickes Buch erzählt in rasender Geschwindigkeit die Geschichte eines jungen Mannes auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Jasper, der Protagonist des Romans, ist 17 Jahre jung und hat keinen richtigen Plan, wie sein zukünftiges Leben aussehen soll. Er hat ja auch schon genug damit zu tun, den Alltag durchzustehen.

Ständig kommt seine Mutter mit irgendwelchen Verpflichtungen um die Ecke gebogen und dann hatte er neulich auch noch diesen One-Night-Stand mit diesem Mädchen, der ihn irgendwie aus der Bahn geworfen hat. Als dann auch noch eine Mitschülerin Selbstmord begeht, setzen sich die Hebel in seinem Kopf in Bewegung. Die Suche nach dem Sinn des Lebens beginnt und sorgt dafür, dass sich sein (Innen)leben in rasanter Geschwindigkeit verändert. Die Hektik, die in seinem Leben herrscht, überträgt sich sofort auf den Leser. Man wühlt sich regelrecht durch diese Ansammlung an Lernplänen, Dialogen und Chat-Messages. Und ehe man sich versieht, ist man mittendrin im Kopf des Protagonisten. Dem Autor gelingt es auch deshalb so hervorragend, die Figur authentisch wirken zu lassen, weil er selbst Jahrgang `92 ist. Sein Jugendroman ist ein gefundenes Fressen für jeden „Coming Of Age“-Fan und in diesem Zusammenhang durchaus auch für Erwachsene interessant. Ein irrsinnig witziges, herrlich atemloses Werk. Wir freuen uns auf Weiteres.

david-simon1// Alle Fans der renommierten TV-Reihe „The Wire“, welche leider nach fünf Staffel eingestellt wurde, sollten wissen was kommt, wenn der Name „The Corner“ fällt. Der Schmöker von Ed Burns und David Simon hatte nämlich einen immensen Einfluss auf den Inhalt der Serie. Handlungstechnisch befinden wir uns in Baltimore. Und weil die wirtschaftlichen Aussichten für viele Menschen dort -gelinde gesagt- nicht sonderlich gut sind, wird an zahlreichen Straßenecken rund um die Uhr gedealt. Die beiden Autoren haben sich ein Jahr ins Getümmel geworfen, um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Baltimore im Drogensumpf erstickt ist. Sie haben sich an die Fersen einer Familie geheftet und zeigen auf diese Weise auf, wie die Menschen hier vom Drogengeschäft abhängig werden. Es geht schlicht und ergreifend ums Überleben. Alternativen gibt es so gut wie keine und die äußeren Umstände zwingen sie zu drastischen Entscheidungen. Simon und Burns rücken die Menschen in den Vordergrund ihrer Geschichte. Sie zeigen auf, wie sie durch das Raster der Gesellschaft bis ganz nach unten rutschen. Sie machen deutlich, wie die Hoffnungen und Träume der Menschen auf der Straße irgendwann zerplatzen. Sie zeichnen ein Bild der Trostlosigkeit und geben dem Grauen ein menschliches Gesicht. Ihr Buch wurde dementsprechend auch vom renommierten TV-Sender „HBO“ in eine Mini-Serie überführt, die als offizieller Vorgänger von „The Wire“ gilt, hierzulande aber leider sehr schwer zu bekommen ist. Aber vielleicht klappt es ja im Zuge dieser Buchveröffentlichung. Mit „The Corner“ wollten die beiden Autoren einen „Bericht aus dem dunklen Herzen der amerikanischen Stadt“ kreieren. Es ist ihnen gelungen. Wobei wir alle Leser auch gleich noch auf den Roman „Homicide“ (ebenfalls von David Simon) aufmerksam machen möchten, der ebenfalls im „Kunstmann“-Verlag erschienen ist. Der dreht sich nämlich um das Leben der Polizisten in der Stadt und trägt am Ende ein gehöriges Stück dazu bei, einen differenzierten Gesamteindruck der gesellschaftlichen Verhältnisse vor Ort zu erhalten.

roberto-savaino// Lange hat es gedauert, aber jetzt ist es soweit. Roberto Saviano hat ein weiteres Buch zum mafiösen Treiben in seinem Heimatland verfasst. Der Titel gibt in diesem Zusammenhang die Richtung vor. „Der Kampf geht weiter“ nennt sich das Werk, das Saviano in gewohnt poetischer Sprache verfasst. Saviano ist nicht eingeknickt: Ganz im Gegenteil: inzwischen tritt er sogar in Fernsehshows auf und kreidet auf der öffentlichen Bühne Missstände in seinem Heimatland an. In den Vereinigten Staaten konnte er sich vor kurzem zum ersten Mal wieder frei bewegen. Das muss sich gut angefühlt haben… einfach mal wieder durchatmen zu können. Im Rahmen seiner aktuellen Erzählung gibt Saviano bereits im Klappentext zu Protokoll: „Um nicht Opfer der Umstände zu werden, muss man sie erzählen, wie sie sind.“ Ein starker Satz, dem weitere folgen werden. Im Rahmen des Buches setzt sich Saviano diesmal mit der Geschichte der „´Ndrangheta“ auseinander. Er zeigt im Rahmen eines exklusiven Vorworts auf, in welchem Ausmaß die Organisation inzwischen auch hierzulande agiert und wie sie mit der „Lega Nord“ vernetzt sein soll. Er erzählt vom Müllproblem in der Stadt Neapel und einem Pfarrer, der gegen den Willen der Mächtigen ein Behindertenheim errichtet hat. Auf 170 Seiten erzählt er die Geschichte von Menschen, die sich noch nicht mit den bestehenden Verhältnissen abgefunden haben. Er weiß, dass er den Menschen nur den Glauben an eine gerechtere Welt zurückgeben kann, wenn er lautstark darüber redet, welche Dinge schief laufen. Mit seiner Kurzgeschichtensammlung „Der Kampf geht weiter“ begehrt er auch weiterhin gegen die Schweigsamkeit auf, die vielerorts herrscht. Er geht diesen Weg: ganz gleich wie bitter und beschwerlich er auch sein mag.

matt-haig// Alle Fans von bissigen TV-Serien der Marke „True Blood“ dürfen sich in diesen Tagen mal in einer naheliegenden Buchhandlung umsehen und sich den kleinen, aber feinen Schmöker „Die Radleys“ unter den Nagel reißen. Das Buch erzählt die Geschichte einer angesehenen Familie, die lediglich ein paar Eigenarten an den Tag legt. Aber bloß weil die Tochter Clara Veganerin ist oder die Vögel plötzlich zu zwitschern aufhören, wenn sie sich dem Anwesen nähern – muss man deshalb gleich vom Schlimmsten ausgehen? Der Autor Matt Haig aus Sheffield spielt gekonnt mit den zahlreichen Vorurteilen unserer Gesellschaft. Dass er seine Protagonisten zu Vampiren stilisiert ist ein imposanter Clou, weshalb „Die Radleys“ gleich auf mehreren Ebenen funktioniert. Wem die „Twilight“-Reihe zu klischeebeladen und „Buffy“ zu verquer ist, der sollte sich mal an diesen Roman heranwagen. Gleich zu Beginn wird man als Leser mit folgendem Zitat aus dem Handbuch der Blutsauger konfrontiert: „Unsere Instinkte sind falsch. Tiere verlassen sich auf ihre Instinkte, um zu überleben, aber wir sind keine Tiere. Wir sind keine Löwen oder Haie oder Geier. Wir sind zivilisiert und Zivilisation funktioniert nur, wenn wir unsere Instinkte unterdrücken. Tun Sie also das Ihre für die Gesellschaft und unterdrücken sie die finsteren Begierden in sich“. Ein imposantes Statement, dass das Dilemma gekonnt auf den Punkt bringt, welchem sich die Protagonisten hier ausgesetzt fühlen. Glücklicherweise kontert Matt Haig diesen Umstand mit einer gehörigen Portion britischen Humor, was sein Buch zu einer ebenso kurzweiligen wie amüsanten Angelegenheit macht. „Die Radleys“ ist schlicht und ergreifend einer der besten Vampirromane der vergangenen Jahre.

keri-smith// Und dass man das noch erleben darf. Ein Buch zum selber fertigschreiben. Das ist doch mal ein imposanter Ansatz für ein illustres Leservergnügen. Die Künstlerin Keri Smith hat sich dazu entschieden, dem Leser selbst die Fäden in die Hand zu geben und hat in diesem Zusammenhang eine Art Kinderbuch für Erwachsene kreiert. Gleich zu Beginn wird erst einmal fröhlich darauf hingewiesen, dass es hier gar nicht so sehr darauf ankommt, sich von so bescheuerten Dingen wie einer Einleitung berieseln zu lassen. Man soll doch bitteschschön einfach loslegen. „Mach Mist!“ steht demnach auch auf dem hübsch verramschten Buchdeckel geschrieben und dazu bietet sich dem begeisterten Leser mehr als nur einmal die Gelegenheit. Genau so muss ein „Kleines Handbuch für grosses Chaos“ Aussehen. Die Kreativität des Beobachters wird herausgefordert und sogar das Engagement seiner Mitmenschen gefordert, wenn sie zum Beispiel das Buch wild in der Gegend herumwandern lassen sollen, während er versucht eine gerade Linie zu zeichnen. Hinterher darf man dann irgendwelche Flüssigkeiten aus 1,5 Meter Höhe auf das Werk tröpfeln lassen oder ein Foto schießen, während man die Augen geschlossen hält. Am Ende hält man dann ein einzigartiges Exemplar seines kreativen Potenzials in den Händen, das man mit Sicherheit nie wieder aus der Hand geben möchte. Wenn du also schon lange mal wieder Kind sein wolltest, schnapp dir dieses Werk. Es macht einfach nur verdammt viel Spaß. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal.