// aufgelesen vol. 38 – „sehen sie sich einmal im spiegel an“

mit neuen Büchern von David Eagleman, Michael Muhammad Knight, Sam Hawken, Martin Lindstrom & Lydia Daher. // Absolut lesenswert und über die volle Distanz fesselnd ist das aktuelle Werk von David Eagleman geworden. Der Autor von renommierten Magazinen wie „Science“ und „Nature“ sorgte erstmals mit seiner Kurzgeschichtensammlung „Fast im Jenseits“ für Furore und legt nun […]

mit neuen Büchern von David Eagleman, Michael Muhammad Knight, Sam Hawken, Martin Lindstrom & Lydia Daher.

inkognito// Absolut lesenswert und über die volle Distanz fesselnd ist das aktuelle Werk von David Eagleman geworden. Der Autor von renommierten Magazinen wie „Science“ und „Nature“ sorgte erstmals mit seiner Kurzgeschichtensammlung „Fast im Jenseits“ für Furore und legt nun seinen ersten „Bildungsbericht“ vor. Im Rahmen des Buches „Inkognito“ wagt er sich vollends auf wissenschaftliches Terrain und versucht zu entschlüsseln, was eigentlich in unseren Köpfen vorgeht. Er nimmt sich in diesem Zusammenhang das menschliche Gehirn vor und versucht zu umreißen, wie wir eigentlich existieren. Haben wir wirklich die Kontrolle über unser Leben oder machen wir uns nur stetig etwas vor?

In diesem Zusammenhang beschäftigt sich der Autor unter anderem mit Sinnestäuschungen. Er setzt sich aber nicht nur mit unserer Wahrnehmung, sondern auch mit unseren Gefühlen auseinander und fragt: woher kommt das eigentlich alles? Durch seine gewandte Sprache, gelingt es Eagleman seine Leser schon nach wenigen Seiten zu fesseln und sie zum Nachdenken anzuregen. Wie er auf derart smarte Weise ein hochkomplexes Thema aufs Wesentliche herunterbricht, ist bemerkenswert und auch für Nichteingeweihte in Sachen Neurowissenschaft durchweg nachvollziehbar. Ob wir am Ende wirklich für alles selbst verantwortlich sind, was wir tun? Am besten du findest es selbst heraus. Es lohnt sich den Aufzeichnungen des Autors zu folgen, denn „Inkognito“ ist im wahrsten Sinne des Wortes ein erhellendes Werk. Oder wussten sie schon, dass unsere Wahrnehmung äußerst fehlerhaft ist, so dass wir sogar blinde Stellen auf unserer Netzhaut vorfinden, die wir nur deshalb nicht bemerken, weil das Gehirn uns die Lücken zu übredecken versucht. Nach diesem Werk werden sie die Welt unter Garantie mit anderen Augen sehen. Und sich zunehmend die Frage stellen: wer bin ich eigentlich und vor allem, wie viele?

taq// Ein Buch über eine muslimische Punk-WG in Buffalo: mit so etwas wird man nicht alle Tage konfrontiert. Umso besser, dass der aktuelle Roman von Michael Muhammad Knight, ein äußerst lesenswertes Unterfangen ist. Der Verlag selbst spricht in diesem Zusammenhang von einem „radikalen Statement eines modernen Moslems“. Der Autor des Buches wurde 1977 in New Jersey geboren und wuchs als Katholik auf. Später konvertierte er zum Islam, nachdem er eine Biografie von Malcolm X gelesen hatte. In seinem Buch „Taqwacore“ dreht sich alles um einen bunten Haufen von Feministinnen (die Burkas tragen) und Sufis mit Irokesen-Frisur. Der Autor beschäftigt sich im Rahmen des Buches sehr intensiv mit seinen einzelnen Charakteren und stattet sie mit einer gehörigen Portion Tiefgang aus. Ob sich Fasiq beim Lesen des Korans einen Joint anzündet oder Jehangir sich nach dem Fastengebet betrinkt. Die einzelnen Protagonisten gehen ihren eigenen Weg und versuchen die Religion mit ihren persönlichen Vorlieben in Einklang zu bringen. Nach der Veröffentlichung des Romans gründete sich inzwischen sogar schon ein Band namens The Kominas, die den Anhängern des Buches mit ihren Songs aus dem Herzen spricht. Für den Autor selbst war das Buch der Rettungsanker, welcher ihm seinen Glauben bewahrte. Durch seinen leichten Schreibstil gelingt es ihm, die Leser in einen Sog der Emotionen zu reißen. Wer sich mit den Gedanken und Wünschen junger Muslime intensiv auseinander setzen möchte, kommt an diesem Werk nicht vorbei.

hawken// Ein bedrückenden Roman über zahllose Frauenmorde wurde in diesen Tagen auch hierzulande veröffentlicht. „Die toten Frauen von Juarez“ dreht sich um einen Boxer aus den Vereinigten Staaten namens Kelly Courter. Der setzt sich nach Mexiko ab, nachdem er einen Karriereknicks erleidet, Drogen schmeißt und im Rausch ein unschuldiges Kind überfährt. Er sucht in dem Ort Ciudad Juárez nach einer zweiten Chance, landet aber wieder im Drogensumpf. Der Protagonist schlägt sich schließlich als Tagelöhner und Dealer durch und bekommt aufgrund seiner geistigen Verfassung erst einmal überhaupt nichts mit von dem Umstand, dass seine mexikanische Freundin Paloma verschwunden ist. Nachdem die Polizei ihre missbrauchte Leiche findet, wird Courter halb tot geprügelt und legt schließlich ein falsches Geständnis ab. Dann allerdings erscheint ein gewisser Rafael Sevilla auf der Bühne. Er nimmt sich aus Freundschaft zu dem Boxer des Falles an und versucht die wahren Mörder von Paloma zu finden. Dabei stößt er auf eine ganze Reihe an weiteren Mordfällen von denen die Meisten niemals aufgeklärt werden konnten. Aber was geschah eigentlich mit den 5000 verschwundenen Frauen, von denen bisher lediglich 400 gefunden werden konnten? Der Autor begibt sich mit seinem Roman auf Spurensuche und fischt in ähnlichen Gewässern wie Roberto Bolano in seinem Über-Werk „2666“. Die Qualität des Originals wird in diesem Zusammenhang zwar nicht erreicht, aber die Dringlichkeit, welche zwischen den Zeilen dieses Debüts mitschwingt, ist bemerkenswert. Ob sich Sam Hawken langfristig auf der Schriftsteller-Bühne behaupten kann, muss sich erst noch herausstellen. Mit „Die toten Frauen von Jurez“ hat er uns aber zumindest schon mal einen hoffnungsvolle Einstand hingelegt. Ein spannendes Debüt.

brandwashed// Und dass die Werbung uns zu manipulieren versucht, dürfte inzwischen auch dem Letzten klar sein. Was aber treibt uns wirklich dazu, bestimmte Produkte besitzen zu wollen. Der Marketing-Experte und Berater für zahlreiche Führungskräfte in renommierten Unternehmen wie „Nestlé““ und „Microsoft“ – namentlich Martin Lindstrom – macht sich in seinem Buch „Brandwashed“ daran, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Sein Buch bringt einen in diesem Zusammenhang nicht nur ins Grübeln, sondern lässt den Leser auch so manche getätigte Kaufentscheidung nochmals überdenken. Er rollt die Geschichte des Marketings in diesem Zusammenhang ganz von vorne auf und startet bereits „im Mutterleib“ und erläutert, wie bereits das Essverhalten der eigenen Mutter unterbewusst unser späteres Kaufverhalten steuert. Anschließend folgen zahlreiche erhellende Abschnitte darüber, wie Angst das Einkaufen beeinflusst und was die zunehmende Auflösung unserer Privatsphäre für einen Einfluss auf unser aller Verhalten als Konsument hat. Dadurch, dass der Autor die ganzen Informationen immer wieder mit persönlichen Anekdoten verknüpft, kommt nie so etwas wie Langeweile auf, weil alle Ausführungen für jedermann nachvollziehbar sind. Dementsprechend ist „Brandwashed“ vor allem für den konsumbewussten Laien interessant, der sich noch intensiver mit seinen Beweggründen für persönliche Kaufentscheidungen auseinander setzen möchte. Womit wir dann eigentlich nur noch viel Spaß beim „konsumieren“ wünschen können.

daher// Lydia Daher ist nicht nur studierte Soziologin und Psychologin, sondern hat sich auch als Teilnehmerin an diversen Poetry Slams einen Namen gemacht. Da sie sich bisher in künstlerischer Hinsicht nicht so richtig festlegen mochte, erschienen in der Vergangenheit bereits eine CD namens „Flüchtige Bürger“ und ein „Gedichtband“ namens „Kein Tamtam für diesen Tag“ von ihr. In ihrem aktuellen Werk mit dem zauberhaften Titel „Insgesamt so, diese Welt“ finden sich nun knapp 80 Gedichte der gebürtigen Berlinerin, die aufhorchen lassen. Das Schönste aber ist, dass sie auch gleich noch eine passende CD beigelegt hat, auf welcher sich siebzehn davon in vertonter Form wieder finden. Man fühlt sich wie in einem Rausch der Emotionen, weil einen diese Stimme einfach nicht mehr loslässt. Die Verletzlichkeit zahlreicher Passagen wird in diesem Zusammenhang erst so richtig deutlich und von zurückgelehnten Klängen umspült, die dem Zuhörer einen wohligen Schauer über den Rücken jagen. Wer auf Selbstreflexion in poetischer Form steht, sollte unbedingt mal reinhören. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal.