mit den Bänden „Sweet Tooth“, „Die Krankenschwester“, „Ein philosophisch pornografischer Sommer“, Annas Paradies“, „Chronik einer verschwundenen Stadt“, „Tango De La Mort“, „Lenore“ und „Las Rosas“.
// Bei „Vertigo“ ist in diesen Tagen mal wieder ein echter Hingucker namens „Sweet Tooth“ erschienen. Die düstere Geschichte um eine postapokalyptische Gesellschaft setzt sich mit einer Horde von Mischwesen auseinander, die sowohl Gene von Menschen als auch von Hirschen abbekommen haben. Die jungen Geschöpfe sind allerdings nicht die einzigen, welche die verheerende Seuche überlebt haben, die die Menschheit dahin raffte. Es gibt auch noch Andere und Selbige machen gnadenlos Jagd auf die schutzlosen Kids mit den Hirschgeweihen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein gewisser Gus, ein kleiner Junge mit einem großen Faible für Süß-Kram.
Auf den Kopf des Jungen ist ein Kopfgeld ausgesetzt und so landet Gus schließlich in den Fängen von Jepperd – einem herzlosen Jäger, der sich allerdings als Retter in der Not erweist. Er kommt nämlich genau zur rechten Zeit, als ein paar nimmermüde Jäger in Gus´ Zuhause eindringen. Ob Jepperd ihn allerdings wirklich in das rettende „Reservat“ bringt, welches als sicheres Versteck für die so genannten Hybridkinder gilt, oder ihn im Laufe der Reise doch noch zum Abschuss freigibt, steht auf einem anderen Blatt. Wie die Geschichte weiter geht, findest du deshalb am besten selbst heraus und holst dir jetzt den ersten Band namens „Aus dem tiefen Wald“ nach Hause. Autor Jeff Lemire gelingt es mit seiner Geschichte ein glaubwürdiges, post-apokalyptisches Szenario zu kreieren, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.
// Und wo wir gerade bei Jeff Lemire sind, möchten wir in diesem Zusammenhang auch gerne darauf hinweisen, dass inzwischen der finale Teil seiner gefeierten „Essex County“-Trilogie in deutscher Sprache bei „Edition 52“ erschienen ist. Nach den „Geschichten vom Land“ und den „Geistergeschichten“ beschäftigt sich der Band „Die Krankenschwester“ mit einem Tag im Leben einer -wer hätte es gedacht -Krankenschwester, wobei es dem Autor gelingt alle bisherigen Handlungsstränge aus den ersten beiden Episoden miteinander zu verknüpfen. Dieses zugegeben äußerst ambitionierte Unterfangen funktioniert auch deshalb so gut, weil einen die schwarz-weißen Motive von Jeff Lemire sofort in den „Essex County“-Kosmos transferieren. Während die Krankenschwester ihre Runden dreht, treffen wir auf alte Bekannte aus der Umgebung und bekommen in diesem Zusammenhang neue Facetten ihrer Persönlichkeit präsentiert, die so manche Verhaltensweise in den vorangegangenen Bänden nachvollziehbarer erscheinen lassen. Darüber hinaus räumt der Autor aber auch seiner jetzigen Protagonistin viel Raum zur Entfaltung ein und kreiert eine mitreißende Story, von der man nach dem Schließend des Buchrückens gar nicht glauben mag, dass sie schon wieder zu Ende sein soll. Mit der „Essex County“-Trilogie hat Jeff Lemire sein absolutes Meisterwerk abgeliefert und wir können jedem Comic-Fan nur raten, sich die drei Bände im Rahmen einer einzigen großen Lese-Session zu Gemüte zu führen.
// Abseits der Schmuddel-Ecke bewegt sich die gelungene Graphic Novel „Ein philosophisch pornografischer Sommer“ von Jimmy Beaulieu. Der Wahl-Montrealer hat ein imposantes Portrait über unvergessliche Momente geschrieben – ein Buch, das äußerst beschwingt daher kommt. Die betörenden Zeichnungen vermitteln auf leichtfüßige Art den jeweiligen Gemütszustand der einzelnen Figuren, die hier in Liebesdingen so einiges durchzustehen haben. Jedenfalls treffen sich im Rahmen der einzelnen Kapitel nicht nur einsame Herzen, die auf der Suche nach Lust und Liebe sind, sondern im fünften Akt namens „Das lustige Massicotte-Theater“ auch ein paar waschechten Superheld(inn)en, die sich einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod liefern. Überhaupt sind im Rahmen der einzelnen Episoden immer wieder kleine Seitenhiebe auf diverse Filme und Geschichten versteckt („Godzilla“ lässt grüßen!), welche auf charmante Weise mit den sexuellen Vorlieben der einzelnen Protagonisten einhergehen. So beobachten wir eine Backstuben-Angestellte und eine einen jungen Filmemacher dabei, wie sie ihre Wünsche und Träume ausleben und lassen uns fesseln von den Dialogen, die mit viel Tiefgang und einem guten Gespür für die einzelnen Charaktere ausgestattet sind. Sie dienen hier nicht einzig und allein dem Zweck, das anschließende Liebesspiel vorzubereiten, sondern vermitteln ein glaubwürdiges Bild der einzelnen Figuren. „Ein philosophisch pornografischer Sommer“ ist somit die perfekte Lektüre für einsame Sommernächte.
// Im „Splitter“-Verlag kommen derweil alle Fans von mysteriösen Szenarien auf ihre Kosten. In „Annas Paradies“ geschieht nämlich reichlich Merkwürdiges. Dis Story spielt im Winter 1946. Wir befinden uns im so genannten „kleinen Paradies“ – einem zwielichtigen Ort, an dem vor allem Diebe, Spieler und Bettler ihr Unwesen treiben. Eines Tages plumpst dem Schwarzmarkthändler Viktor eine junge Frau direkt vor die Füße. Doch wo kommt dieses Mädchen namens Anna eigentlich her? Und was sind Annas wahren Beweggründe? Daniel Schreiber macht es sichtlich Spaß, den Leser auf den ersten Seiten ein wenig an der Nase herumzuführen, wobei zum Ende des ersten Bandes namens „Von Dieben und Schmugglern“ bereits deutlich wird, wohin der Hase läuft. Dennoch gelingt es dem Schöpfer seine Leser mit gelungenen Zeichnungen zu verzaubern. Darüber hinaus spiegelt der schroffe Umgangston sehr glaubwürdig den damaligen Zeitgeist wieder. Ob es Anna gelingt sich in diesem zwielichtigen Umfeld zu behaupten? Oder ob die größte Gefahr am Ende vielleicht sogar von ihr persönlich ausgeht? Am besten du findest es selbst heraus.
// Über den Zeitraum von 15 Jahren haben die beiden französischen Autorinnen Golo & Dibou in einem Dorf in Oberägypten gelebt. Was sie dort erlebt haben, findet sich nun in geballter Form in ihrer Graphic Novel „Chronik einer verschwundenen Stadt“ wieder, die soeben beim „avant-verlag“ erschienen ist. Die beiden Schöpferinnen des Werkes führen uns in die Stadt Qurna, die direkt neben dem touristisch belebten Luxor lag. Durch die Menschenmassen, die nach Luxor reisen, werden die Bewohner zunehmend ihres ursprünglichen Lebensraums beraubt. Die Zeichen stehen auf Umsiedlung, denn der Staat möchte einen größtmöglichen Reibach machen und eine ungestörte Beförderung der Besucher sicherstellen. Das Werk erzählt in diesem Zusammenhang von dem schrittweisen Ende der Stadt. Es erzählt die Geschichte der Menschen, die auf Kosten der Bürokratie ihr ganzes Leben umkrempeln müssen und sich zunehmend ohnmächtig fühlen, wenn sie einem gewaltigen Staatsapparat gegenüber stehen. Das Buch erzählt kurz gesagt: vom Abschiednehmen. Der ganze Band ist durchstreckt mit realen Fotoserien, die einem vor Augen führen, dass all das wirklich passiert ist. Und man muss es fast schon bewundernswert finden, dass die beiden Autorinnen trotz allem ihren Humor nicht verlieren. „Chronik einer verschwundenen Stadt“ ist das, was von Qurna am Ende übrig blieb. Ein bildgewaltiger Aufschrei gegen das Vergessen und die Ohnmacht, welcher so lebensnah in Szene gesetzt wurde, dass man das Ganze immer und immer wieder lesen möchte. Dieses Werk ist eine Mahnung. Und zugleich wunderschön. Wie Qurna selbst.
// Eigentlich haben die Geschichten von „Tango De La Mort“ aus der Feder des Oberhauseners Ulf K. schon einige Jahre auf dem Buckel, doch weil die Fans gar nicht genug davon kriegen können, erscheint nun eine Neuauflage der sympathischen Episoden über Skelette, Harlekine und den Versuch, die Welt vor dem Untergang zu retten. Es passiert eigentlich nicht sonderlich viel im Rahmen der einzelnen Kurgeschichten, aber sie ziehen einen trotzdem magisch in ihren Bann. Dem Autor gelingt es auf wenigen Seiten ein morbides Szenario zu erschaffen und er kommt dabei hin und wieder ganz ohne Worte aus. Kein Wunder, dass Ulf K. bereits 2004 mit dem renommierten Max-und-Moritz-Preis des Comic Salons in Erlangen ausgezeichnet wurde. Seine schwarzweißen Zeichnungen haben nicht nur Charme, sie entführen den Leser auch in eine andere Welt. Mit Sätzen wie „ich suchte Trost in der Musik, im Alkohol und im Fluss“ gelingt es ihm das Gefühl des Auseinanderfallens treffend zu umschreiben, wobei er in diesem Zusammenhang auch vor dem erbitterten Ende der Geschichte nicht Halt macht. „Tango de la Mort“ ist ein trauriges Werk über die Momente im Leben, die in Liebesfilmen gerne ausgeklammert werden. Sehr tröstlich eigentlich, dass es so was heute noch gibt.
// Schlicht bezaubernd ist die Graphic Novel „Lenore“, welche in diesen Tagen bei „Panini“ erscheint. Die Reihe dreht sich um ein totes kleines Mädchen, das in einer Welt mit ausgestopften Tieren und durchgeknallten Handpuppen herumstreunt. In einzelnen, kleinen Episoden wird man als Leser schrittweise an „Leonore“ herangeführt und es ist sicher kein Zufall, dass einmal beim Schmökern immer wieder das Lachen im Halse stecken bleibt. Denn Lenore ist alles andere als ein kleines süßes Gothic-Girl. Die schräge Protagonistin entspringt der Feder des amerikanischen Comic-Zeichner Roman Dirge. Der hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder seine Vorliebe für schwarzen Humor deutlich gemacht und legt mit „Lenore“ sein persönliches Meisterwerk vor. Dass seine Geschichten immer wieder an die Filme von Tim Burton erinnern, ist in diesem Zusammenhang sicher kein Zufall. Denn der Meisterregisseur selbst zeigte sich Anfang der 90er äußerst begeistert von Dirges Kreationen. Umso besser, dass „Lenore“ nun auch hierzulande erhältlich ist. Im ersten Band „Kopfnüsse“ können die Leser dann mit Lachfalten auf der Stirn dabei zu sehen, wie Voodoo-Puppen bearbeitet und unschuldige Mädchen eine „Nasenlänge“ kürzer gemacht werden. „Lenore“ ist in diesem Zusammenhang nicht nur ein äußerst blutiger Comic, sondern auch äußerst humorvoll in Szene gesetzt. Kleine Kinder allerdings sollten unbedingt die Finger davon lassen.
// Der langjährige Bühnenbildner und Autor Anthony Pastor hat sich nach zehn Jahren dazu entschieden, noch einmal umzusatteln und ist seither auch im „Graphic Novel“-Geschäft aktiv. „Las Rosas“ ist bereits sein dritter Band und auf charmante Weise mit dem Untertitel „Ein Tortilla-Western“ versehen. In seinem Werk richtet er den Blick auf einen gleichnamigen Trailer-Park in den Südstaaten der USA, der zumindest in einer Hinsicht äußerst bemerkenswert ist: In „Las Rosas“ leben ausschließlich Frauen (ausgenommen wenige Kinder). Jedenfalls bringt der Sheriff ein schwangeres Mädchen in die Wohnwagensiedlung. Dort soll sie Schutz finden, doch die Besitzerin der örtlichen Tankstelle hat ganz andere Probleme. Ihr Verflossener ist nämlich in der näheren Umgebung unterwegs und Selbiger muss sich wiederum in Acht nehmen vor ihrem gemeinsamen Sohn, den er einst in eine geschlossene Anstalt hat einweisen lassen. So entspinnt sich ein spannendes „Familien“-Drama, das mit zunehmender Lauflänge immer kurioser wird. Denn auch andere Dorfbewohner sind in die Geschichte verwickelt. Was zum Ende hin für einige überraschende Wendungen sorgt. Mit seinem Buch gelingt es Pastor ein glaubwürdiges Szenario einer Gemeinde am Rande des gesellschaftlichen Mainstreams zu kreieren. Eine Geschichte über Außenseiter, die sich irgendwie versuchen durchs Leben zu schlagen und dabei immer wieder mit den Geistern ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Wie das alles endet? Am besten du liest selbst mal rein. „Las Rosas“ ist ein spannendes Werk über unverzeihliche Ereignisse und deren unkalkulierbare Folgen. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Strichcode.
UND WAS NUN?