// zuckerbeat volume 45

Das Internet – die Überwachungsfabrik, die niemals vergibt und vergisst – macht es möglich. Die Fotos aus den 80ern hält heute so mancher in einem wohl behüteten Safe versteckt, damit sie nicht ein findiger Erpresser ins wachsame Auge der Öffentlichkeit hievt. Dabei könnte man glatt vergessen, dass die 80er zumindest in musikalischer Hinsicht auch so […]

Das Internet – die Überwachungsfabrik, die niemals vergibt und vergisst – macht es möglich. Die Fotos aus den 80ern hält heute so mancher in einem wohl behüteten Safe versteckt, damit sie nicht ein findiger Erpresser ins wachsame Auge der Öffentlichkeit hievt. Dabei könnte man glatt vergessen, dass die 80er zumindest in musikalischer Hinsicht auch so manche subtile Songperle abwarfen. Das feinfühlige Duo Telepathe wirkt jedenfalls wie eine gezähmte Version der wunderbaren Shoegazing-Combo My Bloody Valentine. Die jamme®nde Gemeinde aus Brooklyn versteht es, ihre Melodien so versiert einzunebeln, dass alle Indie-Feinschmecker heftig zu husten beginnen. Perfekter Post-80s-Indie-Noise ist das, was die beiden auf ihrem Debüt „Dance Mother“ aufs Tablett hieven. Ob sie damit die Schwelle zum Popstardasein überschreiten, sei einmal dahin gestellt. Aber ein Plätzchen als liebliche Sternschnuppe am Popfirmament scheint diesen Songs schon gesichert. Ähnlich unbeirrt schreiten The Whitest Boy Alive auf „Rules“ weiter empor in Richtung Popcornkino. Wer einmal einem Liveset der elektronischen Zauberlehrlinge um Hexenmeister Erlend beiwohnen durfte, weiß was einen erwartet. Die Band jongliert mit schwelgerischen Gitarren und allerhand elektronischen Krims Krams so versiert vor sich hin, dass man sich von der 45minütigen Jam Session nur zu gerne die wärmende Winterdecke übers Gesicht streifen lässt. Dass man sich dabei hinterher an keinen einzigen Song erinnern kann? Wen interessiert´s. Schmiegt sich doch alles so kuschelweich an die kalten Händchen, dass man sich fühlt wie eine Katze bei ihrer täglichen Streichelration. Wer hinterher immer noch nicht genug von sonnigen Melodien hat, sollte unbedingt mal Scouting For Girls anchecken. Die Londoner Indie-Romantiker schleichen sich mit ihrem samtweichen Pop so unvermittelt an einen heran, dass man sie kurzerhand zu den neuen Killers ernennen möchte. „Human“ heißt jetzt einfach „Heartbeat“. Und man muss lange zurückdenken, wann man zum letzten Mal von solch einem Wasserfall an Melodien in schwerelose Weiten gerissen wurde. Scouting For Girls dürften schon bald als Big-Seller wie eine glitzernde Fontäne aus dem kühlen Nass schießen und auf die Köpfe der Partycrowd prasseln. Wem das eine Spur zu herzerwärmend ist. Oder sagen wir… radiopoppig. Der kann sich endlich mal wieder an einem gelungenen Output der klassischen Emo-Schule abarbeiten, ohne dabei von Kajalstiften ein verzerrtes Lächeln ins Gesicht geschmiert zu bekommen. Bayside aus New York etablieren sich mit „Shudder“ endgültig als Gegenstück zu dem effektbeladenem Gedudel von Hawthorne Heights und Aiden. Die Musik steht in der Tradition der alten Emo-Schule Marke Get Up Kids und Saves The Day. Die Nostalgie wird allerdings einem zeitgemäßen Update unterzogen und dürfte damit auch der jüngeren Generation die Tränen in die Augen treiben. Insgesamt ein durchweg homogenes Rockalbum, das man nach einigen Durchläufen nur zu gerne mit rauer Kehle in die kalte Nacht hinaus schreit. Der Atem stockt einem wiederum, wenn sich das Label Get Physical neuen Ansätzen öffnet und auf „Final Song #1“ allerhand Stücke kompiliert, die renommierte Künstler am liebsten auf ihrer Beerdigung hören möchten. Diese -zugegeben etwas morbide- Frage hat sich wahrscheinlich jeder Musikfan im Laufe seines Lebens schon mal gestellt. Also warum nicht einfach sammeln gehen. So präsentieren hier Ikonen der tanzbaren Klänge, wie Laurent Garnier (Radiohead – „Sit Down Stand Up“), Coldcut (Brian Eno – „An Ending (Ascent)“), und DJ Hell (The Strangler – „Golden Brown“) ein Totengräber-Mix der Sonderklasse. Spätestens wenn zu „Until I Die“ von den Beach Boys die Engel zwischen den Wolkenfetzen hervorlugen, um ihre Melodien im Kanon zu trällern, ist man vollends gefangen in dieser fantastischen „Last Minute“-Phantasie. Also Augen schließen und genießen. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von: alexander nickel- hopfengart