// zuckerbeat vol. 62

Wenn 2009 das Jahr der Veränderungen ist, dann haben The Thermals mit „Now We Can See“ den Soundtrack dazu geschrieben. Statt sich mit dem Status Quo in Sachen Poppunk abzufinden, schaffen sie sich lieber ihr eigenes Universum im Schatten des Scheinwerferlichts. Mit diesem Album kratzen sie stürmisch an der Fassade und beglücken die Welt mit […]

Wenn 2009 das Jahr der Veränderungen ist, dann haben The Thermals mit „Now We Can See“ den Soundtrack dazu geschrieben. Statt sich mit dem Status Quo in Sachen Poppunk abzufinden, schaffen sie sich lieber ihr eigenes Universum im Schatten des Scheinwerferlichts. Mit diesem Album kratzen sie stürmisch an der Fassade und beglücken die Welt mit ihrer Vorstellung von zeitgenössischer Popmusik. Wie ein besudelter Haufen Randalierer auf einer Hochzeitsparty zerschmettern sie die Torte und werden zum Sinnbild für den Bruch mit den Konventionen. Alles ist möglich in diesen Tagen, in denen die Welt Kopf steht. Alles, was uns sicher erschien, ist plötzlich ins Wanken geraten. Die Thermals legen mit ihrem neuesten Wurf die Welt in Schutt und Asche. Sie reißen alles ein, um auf den Trümmern zu tanzen. Sie sind sinnbildlich das Ungeziefer, das aus den Bruchstellen des Asphalts krabbelt. Dieses Album ist eine Idee davon, wie Pop in einer besseren Welt klingen könnte. Ein Gegenentwurf zum standardisierten Nichts, das die Charts überschwemmt. Eine Arche der Inspiration, die Kurs in Richtung Regenbogen nimmt.

Was uns wiederum zur nächsten Station unserer musikalischen Reise geleitet. Eigentlich ist es ja äußerst schade, dass eine so vielversprechende Band, wie The Long Blondes schon nach wenigen Jahren die Segel streicht. Schließlich schlängelt sich kaum eine Sängerin im Popgeschäft so wortgewandt und stilbewusst durch die endlosen Weiten des Indie Pop, wie die liebe Miss Jackson. Kurz nach dem Ableben der Band wurde jetzt noch mal auf einem Album zusammengepfercht, was die Long Blondes so unverwechselbar machte. Stellt sich allerdings die Frage, wer „Singles“ denn nun kaufen soll. Die Scheibe bietet neben den vier ausverkauften 7Inches aus der Frühphase nichts wirklich Neues. Da sollte man seine Kohle dann doch lieber in das erste Album der Band investieren. Oder gleich zu den Original-Singles greifen. Die lohnen sich schon allein wegen des zeitgenössischen Looks und dienen damit als fetter Blickfang für harmonieverliebte Indie-Popper. Außerdem gibt’s ja auch im Jahre 2009 noch schicke Alben, die man für sich entdecken kann.

Shirley Lee zum Beispiel präsentiert auf seinem gleichnamigen Debüt eine kleine Truhe voll mit sympathischen Indie-Perlenketten, die sich auch auf diversen 90er Jahre Soundtracks zu Slackerfilmen gut gemacht hätten. Jedenfalls möchte man sich zu einem Song, wie „Dissolving Time“ nur zu gern in die schützenden Arme der Liebsten werfen und die böse fiese Welt da draußen auf ewig an sich abprallen lassen. Ich kann gar nicht genau sagen woran es liegt, dass mich Tracks, wie „The Lights Chance“ so nostalgisch stimmen. Vielleicht ist es dieser leichte Hang zur Schräglage, den die Songs immer wieder vor sich hergetragen, wie ein Schutzschild gegen den Einheitsbrei. In jedem Fall ein herrlich emotionales Werk, das uns der liebe Mister Lee von der Londoner Kult-Combo Spearmint hier um die Ohren haut.

Therapy? scheinen derweil noch mal Feuer gefangen zu haben. Jedenfalls brettert ihr neues Werk „Crooked Timber“ gleich zu Beginn so brachial nach vorne, als wollten sie die schwächelnden Releases der letzten Jahre einfach zur Hölle schicken. Schade nur, dass der Track die euphorische Stimmung nicht bis zum Ende halten kann. Die Jungs haben einfach an der Bürde zu tragen, dass sie mit „Troublegum“ einst das perfekte Rockbrett geschrieben haben. Alles hinterher war zwar ganz okay, erreichte aber nie die Klasse des Frühwerks. Auf „Crooked Timber“ setzen sie dennoch kleine Akzente. Auf harmonische Klänge wurde größtenteils verzichtet und stattdessen einfach mal drauf los gepoltert. Das dürfte zumindest live für reichlich Geschubse im Publikumsbereich sorgen. Die Band scheint sich mit diesem Album völlig neu zu erfinden. Macht teilweise auch vor Hardcore-Anleihen nicht halt. Kurz gesagt: sie prügelt sich die Seele aus dem Leib. Schweißflecken sind also schon mal garantiert. Und vielleicht ist das hier ja auch der Vorbote auf ein famoses Alterswerk. Metallica haben ja auch „St. Anger“ gebraucht, um wieder zu alter Stärke zurück zu finden. Und „Anger“ haben Therapy? auf „Crooked Timber“ zweifelsohne genug.

Danach lasse ich mich dann von den verführerischen Sounds von Casiotone For The Painfully Alone einlullen. Die Musik ist wie geschaffen, um sich nach dem Suhlen im Blitzlicht auf das heimische Sofa zu schmeißen und einfach mal die Seele baumeln zu lassen. Die Platte strahlt trotz ihrer breiten Instrumentierung eine bemerkenswerte Ruhe aus. Nur zu gerne verliert man sich in dem traditionellen Mix aus Klavier, Orgel und akustischem Schlagzeug. „Vs. Children“ zieht dabei immer wieder gekonnt das Tempo an und wirkt aufgrund seiner zahlreichen Gastbeiträge wie ein bunter Schwall Konfetti, der sich über das farblose Songwriter-Genre ergießt. Mit gut 30 Minuten Spielzeit ist die Scheibe zudem so kurzweilig, dass man auf der Stelle Lust bekommt, sich der beschwingten Atmosphäre dieser Musik aufs Neue auszuliefern. Casiotone For The Painfully Alone sind ein echter Geheimtipp für Menschen, die karge Folkklänge gerne mal mit einer gehörigen Portion Popappeal verabreicht bekommen.

Was uns wiederum zu einer weiteren imposanten Veröffentlichung geleitet, die sich von Montreal ihren Weg in die verschlungenen Weiten der Popwelt bahnt. Die Rede ist von der Formation Bell Orchestre, die sich auf ihrem Zweitwerk „As Seen Through Windows“ an einen äußerst ambitionierten Entwurf verschrobener Elektronika versucht. Dabei lugen zwischen den disharmonischen Sounds immer wieder wärmende Melodien hervor, von denen man sich nur zu gerne an die Hand nehmen und durch das bunte Treiben aus Samples, Hörnern, Glocken und Geigen geleiten lässt. Es ist dabei gerade dieser Gegensatz aus traditionellen Klängen und dem Drang etwas Zeitgemäßes abzuliefern, der die Musik dynamisch klingen lässt. Deshalb lässt man sich am Ende auch gerne an diesem musikalischen Fensterplatz nieder, um den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Bell Orchestre machen Musik zum Träumen, wissen das aber immer wieder charmant zu kaschieren. Womit wir uns mal einem abenteuerlichen Mix aus atmosphärischen Indieklängen zuwenden. Dazu eine Portion Düsteratmosphäre und am Ende zaubert einem die Jazz- und Folkexpertin…

Hanne Hukkelberg auf ihrem dritten Album „Blood From A Stone“ ein verstörend schönes Popexperiment vor die Füße, das einen auf der Stelle in schwerelosen Weiten versetzt. Die Scheibe bietet einen Hort der Geborgenheit inmitten des Chaos, das uns täglich die Existenz erschwert. Die Musik von der charmanten Norwegerin verpasst den ganzen Erwartungen von Seiten der Gesellschaft kurzerhand einen Arschtritt und hebt dich einfach aus dem verwirrenden Geflecht der Beziehungen heraus. Es gibt sie ja immer wieder, diese Scheiben, die einem ein Tor zu einer anderen Welt öffnen. Wenn dabei auch noch Echo & The Bunnymen oder Siouxsie & The Banshees zwischen den Zeilen durchschimmern, kann man das zwar altbacken finden. Man kann sich aber auch einfach nur fallen lassen und diese Musik genießen. Vorausgesetzt natürlich man findet die Zeit dazu.

Etwas weniger abgründig, aber verstohlen melancholisch lugt dann ein unscheinbares Zwei-Mann-Projekt aus dem schönen Spanien zu uns ins Schlafzimmer. Betrunken von Funk-, Blues- und Jazzeinflüssen schleppen sich die beiden Musiker Yuri Mendez und Pepe López auf ihrem Album „Done / Undone“ durch bisweilen karge, aber dennoch wärmende Folk-Harmonien, die vor allem Belle & Sebastian Anhängern ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern. Mit ihrem Projekt Pajaro Sunrise erzeugen sie erst ein sanftes Fußwippen beim Zuhörer, das dann langsam in ein beschwingtes Fingerschnippen übergeht. Die Musik gerät zwischenzeitlich so dermaßen lieblich, dass man ein wenig vorsichtig bei der Dosierung sein sollte. Sonst bekommt man hinterher noch Bauschmerzen von so viel Süßkram.

Ähnliches könnte einem auch beim neuen Superduo des Elektro passieren. Modeselektor und Apparat geben sich Moderat und äußerst konsumentenfreundlich. Schon beim Opener geleiten sie einen direkt in Richtung Tanzfläche und zwar genau in dem Moment, in dem dort die Stimmung überkocht. Ein beeindruckender Auftakt für ein nicht minder bemerkenswertes Album, das mit Eased von Seeed auch noch einen prominenten Gaststar aus poppigen Gefilden als Joker aus der Tasche zieht. Am Ende fügt sich dieser, ebenso wie Paul St. Hilaire, schlüssig in den stimmige Gesamtsound ein. Die oftmals eingestreuten Vocal-Passagen sorgen dafür, dass hier auch Fans des letzten Soloalbums von Modelselektor auf ihre Kosten kommen. Soll heißen: Sebastian Szary und Sascha Ring wandeln mit „Moderat“ auf dem schmalen Grad zwischen clubtauglicher Elektronika und großen Popmomenten. Balancieren das Ganze aber so gekonnt aus, dass sich demnächst auch Popfans ins Blitzlichtgewitter des Clubs verirren dürften.

Etwas weniger subtil schwingen sich In Flagranti auf den elektrischen Bullen und sorgen für allerhand Euphorie auf der Tanzfläche Mit reichlich Unterstützung von Tatiana Ilinas, Amypop und Simone Van Dijken wirkt „Brash & Vulgar“ allerdings, als hätten sie sich lediglich die Gesten des letzten Jahrzehnts einverleibt und das Ganze zeitgemäß aufpoliert. Im 70er Jahre Retro-Look wird dann ein Disco-Stampfer nach dem anderen raus gehauen und mit reichlich Basswellen untermauert, dass man sich entweder sofort ins Getümmel stürzt oder entnervt von so viel offensichtlichem Gewummse kurzerhand ins Hinterzimmer verabschiedet. Rein oder raus. Ein dazwischen gibt es nicht bei diesem Sound, dessen ständiges Effektgewitter mir dann aber nach kurzer Zeit doch zunehmend auf die Nerven fällt.

Hinterher darf dann gleich weiter getanzt werden. Daft Punk haben ja bereits vorgemacht, wie man treibenden Beats in die große Fabrikhalle überführt. Minitel Rose schlagen da in eine ähnliche Kerbe. Die Beats pumpen, bis das T-Shirt am Körper pappt. Das Live-Erlebnis dieses Elektroballermanns dürfte jedenfalls ein echter Knaller werden. Auf ihrer Debütalbum „The French Machine“ verorten sich die drei Jungs aus Frankreich inmitten des Neonlichts. Wie ein euphorischer Mix aus Justice und den Teenagers wirkt ihr 80er Jahre Elektro-Pop, der kein Limit kennt. Wohlfühldisco für den großen Moment also, die manchem vielleicht zu plump ist. Bei der viele schreien werden: kenn ich doch alles schon. Doch alle anderen werden sich zu diesen Songs bei den Händen fassen und von der famosen Lightshow in einen elektronischen Taumel reißen lassen.

Zum Abschluss hauen wir heute dann noch mal so richtig auf die Kacke. Thunderheist heißt die Elektroversuchung des Frühlings. Ganz im Sinne von Crystal Castles und Konsorten wird hier elektronisches Gestampfe mit HipHop vermengt und ordentlich an den Bassboxen geschraubt. Die Fanbase jedenfalls schwillt immer weiter an. Der Schweißpegel auf der Stirn nähert sich dem Stadium Nieselregen. Und auch sonst kann man sich diesem atemlosen Stilmix kaum entziehen. Ein Hit jagt den nächsten. Und „Nothing 2 Step 2“ entpuppt sich als die schönste Sugababes-Single, die die Sugababes nie geschrieben haben. Als Hörer fragt man sich immer wieder, wann das ganze Gebilde denn nun in sich zusammen fällt, wie Stadtarchive. Doch die Scheibe bleibt spannend bis zum Schluss. Den wir hiermit auch mal einläuten. Lasst es euch gut gehen. Bis zum nächsten Zuckerbeat.

// alexander nickel-hopfengart