Am kommenden Wochenende dürfte Würzburg mal wieder aus allen Nähten platzen, denn neben dem Afrika-Festival wird am Freitag endlich wieder das Weindorf eröffnet. Für nicht gerade wenige Würzburger brechen nun die schlimmsten zehn Tage des Jahres an. Das Weindorf findet dieses Jahr zum 23. Mal statt und dürfte, soweit das Wetter mitspielt, vor allem an den Wochenenden für akute Überfüllungszustände am oberen und unteren Markt sorgen.
Zwölf Wirte sind es, die sich in diesem Jahr darum prügeln, wer die meisten Sitzgarnituren aufstellen darf. Da wird um jeden Meter gefeilscht. Klar- mehr Sitzplätze= mehr Kunden. Und die sollen bitte ordentlich konsumieren.
Natürlich lockt das Weindorf auf den ersten Blick mit einem kulinarischen und weintechnischen Angebot, das seinesgleichen bei uns sucht- nicht umsonst werden hier die neuen Weine vorgestellt, und mittlerweile finden auf dem Weindorf auch kleine Weinproben statt. Man sollte also meinen, es handle sich bei dieser Veranstaltung um einen zivilisierten bis stilvollen Event.
Zivilisiert, gar stilvoll? Erklärt das bitte mal einem nichts ahnenden Nichtwürzburger, der sich am kommenden Samstag, so gegen 22 Uhr, auf den Marktplatz verirrt. Die Festwirte mögen das, was sich hier, abspielt das „heiterste und stimmungsvollste Fest im Würzburger Jahreskreis“ nennen, bei uns heißt so was Komasaufen. Seit einigen Jahren drängen sich hier an den Wochenenden so dermaßen viele Leute auf immer enger werdendem Raum, das Probleme aller Art quasi an der Tagesordnung sind.
Wildpinkeln in den Seitengassen um den Marktplatz gehört schon fast zum Standart, und man darf gespannt sein, ob die massiven Proteste der Anwohner im letzten Jahr zu einer Verbesserung der sanitären Lage in diesem Jahr führen. Zwei Klohäuschen für eine solche Menschenmenge, das geht auf der Talavera gut, da gibt es massig Büsche und die Freiluftpinkelei gehört schon fast zum guten Ton. Mitten in unserer tollen Touristenstadt sieht das aber ein bisschen anders aus. Mal ganz abgesehen davon, dass der gemeine Weindorfbesucher gern auch noch ganz andere Körpersäfte am Ort des Geschehens zurücklässt. Aber das ist ein anderes Thema. Also bitte liebe Stadt oder wer auch immer sich verantwortlich fühlt: Stellt doch einfach mal ein paar mehr von den Klohäuschen auf. Kostenlos, versteht sich.
Da hätten wir geklärt, kommen wir nun also zum Kern des Problems. Klar, Würzburg ist eine Weinstadt, und als Bürger einer solchen trinkt der Würzburger halt gern mal einen Schoppen, und insgesamt wahrscheinlich mehr als ein typischer Vertreter einer anderen deutschen Stadt. Der Berliner zum Beispiel isst dafür mehr Currywurst und ist lieber dick als betrunken. Jedem das seine. Bei der Trinkfestigkeit gibt es natürlich Abstufungen, und so lässt sich ein Eingebohrener von einem Zugezogenen recht gut unterscheiden.
Wer hier in Würzburg aufgewachsen ist, reagiert in der Regel auf Alkohol nicht anders als auf gemeines Leitungswasser, höchstens aber wie auf Red Bull (natürlich das ohne Kokain). Er freut sich zwar über „ideales Trinkerwetter“, d.h. Sonnenschein bei maximal 25 Grad, leichter Wind, nicht zu schwül, haut den Schoppen aber auch bei 35 Grad im Schatten, in dem er selbst dummerweise aber nicht sitzt, rein. Zwei, drei Schoppen in der Mittagshitze, natürlich immer den billigsten. Weindorf ist nämlich Abzocke, das weiß er. Danach geht der Eingebohrene wieder heim und lebt ganz normal vor sich hin, so als ob nichts gewesen wäre.
Der Zugezogene würde nach diesem Konsum schon völlig enthemmt und unbekleidet um den Obelisken tanzen- oder schlafen.
Weil er weiß, dass es mit seiner Alkoholverträglichkeit nicht weit her ist, ist er schlau und lässt sich zur Weindorfzeit vor 19 Uhr am Marktplatz nicht blicken. Erst wenn es am Abend langsam abkühlt, wirft sich der Wahlwürzburger in Schale und marschiert, meist in Begleitung anderer Zugezogener, am Marktplatz auf. Jetzt wird losgesüffelt, und nicht wenige verfahren auch in wirtschaftlich harten Zeiten, aus Ermangelung jedweder Weinkenntnis in Verbindung mit völlig unbegründeter Scham, nach dem bewährten „ichbestelldenteuerstenweinundalledenkenichkennmichaus„- Prinzip. Auf solche Gäste warten die Bedienungen hier nur, und der Zugezogene wird nun hemmungslos gemolken. Das sind die Gäste, die man hier haben will. Ahnungslose Touristen, bei denen der Geldbeutel eh schon locker sitzt, vergnügungssüchtige Studenten, Besucher aus den umliegenden Dörfern, bei denen nie etwas geboten ist. Seit neustem auch völlig enthemmte Jungesellinenabschlusstruppen. Tja, und wer darf da natürlich auf keinen Fall fehlen? Richtig. Der (manchmal nur noch im Herzen) junge Komatrinker.
Die Schwierigkeit besteht darin, die richtige Balance zwischen dem ausgelassen Feiern und dem sich noch einigermaßen zivilisiert benehmen zu finden. Unter der Woche ist das kein Problem, weil selten so voll ist, dass die Gäste auch an den Stehtischen keinen Platz mehr finden. Außerdem müssen die Leute da am nächsten Tag wieder früh raus. Dann ist das Weindorf das stimmungsvolle Volksfest und nicht der, nicht nur für die Bedienungen, mindestens siebte Kreis der Hölle. Mittlerweile hat sich das herumgesprochen, und viele Stammgäste kommen an den Samstagen gar nicht mehr.
Das große Problem des Weindorfes ist seine Lage. Wunderschön zwischen Festung und Weinbergen, aber eben auch eingequetscht auf einem Marktplatz, der nicht beliebig erweiterbar ist. Hier kann man nichts entzerren, und in diesem Jahr nimmt die Baustelle am oberen Markt auch noch einiges an Platz weg.
Natürlich wollen wir den Würzburgern und allen, die sich als solche fühlen das Weindorf nicht verderben, es ist ja echt ein Höhepunkt des Jahres. Aber sollte man nicht doch mal überlegen, vielleicht zumindest an den starken Tagen eine Art Einlasskontrolle einzuführen und ab einer gewissen Gästezahl eifach dicht zu machen? Nicht, weil es so schön ist irgendwo eingezäunt zu sein. Sondern weil das doch inzwischen überall so gemacht wird. Und zwar wegen der Sicherheit. Könnte man ja mal drüber nachdenken. Nicht um irgendjemandem den Spaß zu nehmen, sondern weil die Beschwerden, sollte es die nächsten paar Jahre so weiterlaufen, sicher nicht weniger werden. Und irgendwann gibt es dann kein Weindorf mehr.
// anne
UND WAS NUN?