mit neuen Büchern von Antonia Baum, Jan Böttcher, Valentin Thurn / Stefan Kreutzberger, Irvine Welsh & Tony McCarroll
// Wer wissen möchte, warum mehr als die Hälfte aller Lebensmittel dieser Welt wieder auf dem Müll landet. All jene, die sich nicht damit abfinden möchten, dass die eine Hälfte des Globus auf Kosten der Anderen in Saus und Braus lebt. All diejenigen können jetzt in dem Werk „Die Essensvernichter“ nachlesen, wie es so weit kommen könnte und wie wir diesem Wahnsinn endlich einen Riegel vorschieben. Valentin Thurn hat bereits vor einem Jahr einen Film namens „Frisch auf dem Müll“ gedreht, welcher der ARD Rekordeinschaltquoten bescherte. Dafür hat er in zwölf Ländern über unseren Umgang mit Nahrungsmitteln recherchiert. Nun erscheint zusammen mit Stefan Kreutzberger anlässlich seines aktuellen Kinofilms „Taste The Waste“ (der sich mit dem gleichen Thema auseinandersetzt) auch ein dazugehöriges Buch namens „Die Essensvernichter“. Darin versuchen die Beiden darzulegen, wie es zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel-Müll pro Jahr kommen kann. Schnell wird klar, dass bereits auf dem Weg in den Handel viel Ausschuss produziert wird. Alles, was nicht in ein bestimmtes Schema gepresst werden kann (kleine Äpfel, krumme Gurken), wird sofort wieder aussortiert und überhaupt nicht zum Verkauf angeboten. Weil wir selbst außerdem immer nach dem Frischesten, Hübschesten, Haltbarsten greifen, bleibt viel Konsumierbares auf der Strecke. Man sollte sich die Frage stellen, wie es sein kann, dass kurz vor Ladenschluss noch das nahezu komplette Sortiment an Backwaren in der Auslage liegt. Unsere Lebensmittel haben durch ihre ständige Verfügbarkeit zunehmend an Wert verloren. Das führt dazu, dass wir haufenweise wegschmeißen, was eigentlich noch konsumierbar wäre. Dazu kommt, dass manche Lebensmittelketten inzwischen damit beginnen, Produkte bereits sechs Tage vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums wieder aus den Regalen nehmen. Kein Wunder, dass der Trend zum „Containern“ immer mehr um sich greift. Wühlt man sich durch die örtlichen Mülltonnen der Geschäfte, fühlt sich manch einer fast wie im Schlaraffenland. Wer mehr wissen möchte. Wer nach Lösungsmöglichkeiten sucht, um dieses Problem in den Griff zu kriegen. Sie alle sollten „Die Essensvernichter“ lesen. Danach werden sie Vieles mit anderen Augen sehen.
// Antonia Baum erzählt in ihrem Roman, wie sich das anfühlt, „vollkommen leblos, bestenfalls tot“ durch den Alltag zu streifen. Sie erzählt davon wie es ist, wenn einem alle Möglichkeiten offen stehen und man am Ende schlichtweg vor der erdrückenden Zahl an Gelegenheiten kapituliert. Sie erzählt von der Wut auf sich selbst und auf die Welt – auf die Menschen um sie herum, welche allesamt keinen denkbaren Ausweg aus diesem Dilemma namens Leben zu bieten haben. Die Protagonistin dieses Werkes will raus aus dem Kaff, in dem sie lebt, sie zieht in die Großstadt, sucht ihr Glück und muss feststellen, dass sich dadurch rein gar nichts verändert. „Vollkommen leblos, bestenfalls tot“ ist ein wütendes Werk, das die Gefühle vieler junger Menschen auf den Punkt bringen dürfte. Es ist ein aggressives Buch, das mit aller Nachdrücklichkeit fordert: es muss einen anderen Weg geben. Deshalb verhält sich die Protagonistin destruktiv, sagt dem spröden Alltag den Kampf an, verstrickt sich in Schlangensätze, hasserfüllte Monologe prasseln aus ihr heraus. Man hat fast das Gefühl, Antonia Baum hätte die knapp 250 Seiten in einem Rutsch herunter geschrieben. Woher kommt nur diese innere Leere, diese Teilnahmslosigkeit, die eine ganze Generation in lähmender Schockstarre verharren lässt? „Ich sitze am Kopfende und will mich loswerden. Ich will sterben und davor gerettet werden, denke ich, nur das macht einen Selbstmord interessant…“ Fühlt es sich so an, wenn die materiellen Dinge des Lebens keinen Reiz mehr auf einen selbst ausüben. Wenn alle Revolutionen bereits von jemand anderem angestoßen wurden und man: um es mal im Sprech einer angesagten, jungen Pop-Band namens Kraftklub auszudrücken: „zu jung für Rock´n´Roll“ ist. Was bitteschön ist schief gelaufen, wenn Selbstmordgedanken plötzlich als letzter Rettungsanker fungieren? Ist das noch Unmut oder bereits Verbitterung? Inszenierung oder Realität? Wichtig oder egal? Facebook oder Google? Kinderwagen oder Zweitwagen? Traum oder Realität? Und was bitteschön ist der Sinn, Sinn, Sinn des Ganzen? Ein solch packendes Werk zum Thema Mittelstandsverwahrlosung habe ich schon lange nicht mehr vor den Latz geknallt bekommen.
// Um einen alternden Musiklehrer, eine trauernde Jugendliche und einen verliebten Schulgutachter dreht sich das aktuelle Werk von Jan Böttcher. Der Musiker aus dem Hause „Herr Nilson“ hat beim „Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb“ bereits den „Ernst Wilmer-Preis“ abgestaubt und legt nun ein durchaus bemerkenswertes Buch namens „Das Lied vom Tun und Lassen“ vor. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen drei Personen: Ein gewisser Herr Mauss – der Musiklehrer der Schule: er versucht seinen Schülern den Lernstoff mit unkonventionellen Methoden beizubringen. Clarissa – die Schülerin, hat damit zu kämpfen, dass sich eine ihrer Mitschülerinnen das Leben nahm, indem sie vom Schuldach sprang. Warum sie das getan hat, versucht der Schulgutachter – Johannes Engler herauszufinden und verliebt sich bei seinen Nachforschungen Hals über Kopf in Clarissa. Jan Böttcher macht mit seinem Roman deutlich, welch immense Auswirkungen ein einzelnes Ereignis auf das Leben der unterschiedlichsten Menschen haben kann. In drei Etappen leuchtet er das Innenleben seiner Protagonisten aus und schafft es auf diese Weise ein differenziertes Bild unseres gesellschaftlichen Alltags zu kreieren. Mauss nimmt in diesem Zusammenhang die Rolle des Lehrers ein, der sich für seine Schüler aufopfert. Er nimmt sich Zeit für ihre Probleme, eröffnet ihnen ungewohnte Freiheiten und lässt sich von Vorgaben des Schulamts in keiner Weise beeindrucken. Darüber hinaus schafft es Böttcher in den folgenden Kapiteln auch die vielschichtigen Motive der „Digitalen Mediengesellschaft“ in seiner balladesken Erzählung aufzugreifen, ohne dass es irgendwie bemüht wirken würde. Wenn hier im virtuellen Raum getrauert wird, dient das einerseits dazu, die einzelnen Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen, es wirft andererseits aber auch die Frage auf, ob wir durch unser digitales „Ich“ nicht irgendwann im Stande sind, ewig zu leben. „Das Lied vom Tun und Lassen“ verändert durch seine unterschiedlichen Perspektiven den persönlichen Blickwinkel auf das Geschehene. Es ist ein generationsübergreifendes Werk. Ein verständnisvolles Buch ohne dumme Ratschläge, dafür mit umso mehr poetischen Passagen: „Mein Blick aber: schattenlos. Das Wasser fast unbewegt. Ferienwasser. Der Sommer kam, er fing jetzt richtig an…“ Wer bitteschön würde bei solchen Sätzen aufhören wollen zu lesen?
// Die Verfilmung seines ersten Romans hat ihn zum Kult-Autor avancieren lassen. „Trainspotting“ gilt bis heute als Blaupause des zeitgenössischen Drogen-Spektakels und Autor Irvine Welsh wurde Dank der literarischen Vorlage zur Ikone einer ganzen Generation. Seine Nähe zur Punkszene, sein Nebenjob als „House“-DJ und seine freche Schreibe schaffen Authentizität und steigern die Vorfreude auf seinen nächsten, großen Wurf. „Crime“ nennt sich das Werk, das sich getreu des Titels mit einem Kriminalfall (im Pädophilen-Milieu) auseinander setzt. Mit seinem Roman ruft Welsh zum Widerstand gegen verbrecherische Organisationen auf, welche vom Leid junger Menschen profitieren. Sein Protagonist, Inspektor Ray Lennox, will sich eigentlich in den Holidays mit seiner Angebeteten von den Strapazen des Alltags erholen. Blöderweise schwirrt ihm immer noch sein letzter Fall im Kopf herum. Während seine Zukünftige bereits die Hochzeitsvorkehrungen trifft, denkt Ray über ein kleines Mädchen nach, welches einem grausamem Verbrechen zum Opfer fiel. Um auf andere Gedanken zu kommen, zieht er ein bisschen um die Häuser. Ertränkt seinen Suff im Glas und trifft auf Tianna. Sie ist die Tochter einer flüchtigen Bekanntschaft, welche er bei seiner Partytour trifft. Weil sie ebenfalls missbraucht wurde, versucht der Inspektor sie in Sicherheit zu bringen. Auf diese Weise legt er sich mit einer zwielichtigen Organisation an, welche ihn durch ganz Florida verfolgt. „Crime“ schafft es in diesem Zusammenhang leider nicht immer, für Überraschungsmomente beim Leser zu sorgen. Zahlreiche Klischees werden aus der Kiste gekramt, so dass man sich zunehmend fragt, ob die Geschichte wirklich 475 Seiten nötig gehabt hätte. Durch die rasante Erzählweise des Autors bleibt man dennoch bei der Stange und verzeiht dem Autor auch die zweidimensionale Darstellung zahlreicher Akteure. Interessant ist am Ende vor allem die Figur des Ray Lennox, der sich von unsympathischen Egoisten zum selbstlosen Helden mausert. Wer auf schnörkellose Krimiunterhaltung steht, sollte mal rein schnuppern. Neueinsteiger empfehlen wir stattdessen einen Blick auf den breiten Back-Katalog des Autors. Der wurde in diesen Tagen nämlich ebenfalls wieder veröffentlicht.
// Wer sich gerne etwas intensiver mit der Frühphase der wohl wichtigsten britischen Band der 90er auseinander setzen möchte, der sollte sich mal an das aktuelle Buch des ehemaligen Oasis-Schlagzeugers Tony McCarroll heranwagen. In „Die Wahrheit über Oasis – Mein Leben als Drummer von Oasis“ umreißt er seine Erfahrungen als Rockstar und skizziert, welche schwerwiegenden Veränderungen im Bandgefüge ein solcher Kassenschlager, wie ihn Oasis mit ihrem Debütalbum „Definitely Maybe“ hinlegten, mit sich bringt. Die Geschichte startet mit der Band The Rain, McCarolls erster Crew, die er zusammen mit Paul „Bonehead“ Arthurs, Paul McGuigan und Sänger Chris Hutton ins Leben ruft. Nachdem Liam Gallagher den Sänger der Band ersetzt und noch dazu sein Bruder Noel als zweiter Gitarrist einsteigt, macht sich das Kollektiv auf zum größten Stern der jüngeren britischen Rockgeschichte zu avancieren. Die humoristischen Momente des Buches machen McCarrols autobiografische Geschichte zu einer lesenswerten Angelegenheit, die niemals in Verdacht gerät, man hätte es hier mit dem Memoiren eines Gescheiterten zu tun, der auf seine alten Tage hin noch mal Profit aus dem Welterfolg seiner Ex-Band schlagen möchte. Ganz im Gegenteil. Tony McCaroll gelingt es die Frühphase der BritPopper glaubwürdig und objektiv zu durchleuchten und mit zahlreichen Details aufzuwarten, die man als Fan nicht unbedingt auf dem Schirm hatte. Abgerundet wird das ganze Unterfangen durch ein paar schicken Fotos der Jungs, die einen zunehmend nostalgisch stimmen und die alten Platten mal wieder auf Rotation laufen lassen. Soll heißen: „Don´t Look Back in Anger“. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?