// zuckerbeat vol. (1)02 – hollow trees house hounds

Meine sehr verehrten Damen und Herren… heute schon getanzt? Discokugel aufgedreht und zu treibenden Rhythmen im Kreis gehopst? Bugs Bunny im Drogenrauschen nachgespielt? Noch nicht? Vielleicht fehlt ja nur die passende Untermalung. In dem Fall vielleicht mal Sally Shapiro auschecken. Deren neues Album führt fort, was der Vorgänger bereits in Perfektion zu kreieren versuchte: ein […]

sally-shapiroMeine sehr verehrten Damen und Herren… heute schon getanzt? Discokugel aufgedreht und zu treibenden Rhythmen im Kreis gehopst? Bugs Bunny im Drogenrauschen nachgespielt? Noch nicht? Vielleicht fehlt ja nur die passende Untermalung. In dem Fall vielleicht mal Sally Shapiro auschecken. Deren neues Album führt fort, was der Vorgänger bereits in Perfektion zu kreieren versuchte: ein zeitgemäßes Update der 80er Italo Disco zu schaffen, das gleichsam über einen gewissen Anspruch verfügt. Natürlich ist das schrecklich kitschig, was hier aus den Rillen des Tonträgers plätschert. Aber wenn man mal genauer hinhört, wenn man bereit ist sich auf „My Guilty Pleasure“ einzulassen, dann belohnt einem Miss Shapiro mit einem bunten Strauß betörender Songblüten, die durch die Atmosphäre wirbeln, als wolle sie einem zeigen, wie schön es doch ist, die Welt nur durch einen Schleier zu sehen. Die elf Songs des Albums, allen voran der wunderbare Auftakt mit „Looking At The Stars“ und „Love In July“ sind in gewisser Weise ein kleines Wunder: keine Ahnung, wie Sally Shapiro das macht: Menschen, die eigentlich von Grund auf jegliche Musik dieser Gangart ablehnen, verfallen ihrem Sound, wie verfaultes Essen. Also der Stimme, nicht dem Essen. Wobei bei verfaultem Essen… da fallen die Menschen ja hinterher meistens auch. Aber das ist eine andere Geschichte. Habt ihr jetzt nicht verstanden? Kein Problem. Geht ja auch gar nicht ums Essen hier… geht um Musik, und die kann man ja bekanntlich gar nicht verstehen: die muss man fühlen… so, wie dieses Album hier.

mumford-sonsMumford & Sons könnten sich derweil zur neuen Lieblingsband all derer mausern, die die Fleet Foxes eigentlich total super finden, aber lieber darauf verzichten, die tollen Melodien hinter einer großen Produktion auszugraben. Es ist immer das Hymnische, das sich hier in den Vordergrund drängt. „Sigh No More“ ist ein Lagerfeuer-Album, vorausgesetzt man hat genug Leute am Start, die dann Trommeln und Pfeifen, wenn die Gitarre einsetzt. Mumford & Sons machen Folk Pop mit der Prämisse, sich soundtechnisch eng am Zeitgeist zu bewegen, was wiederum auch Fans von Arcade Fire und Konsorten erfreuen dürfte. „Sigh No More“ ist ein Album, das einen regelrecht in einen Rausch versetzt – kein Wunder, dass die Band grad in allen Musikgazetten gefeiert wird, wie Volksfestmucke. Ist ja auch Volksfestmucke nur eben in geil.

leonard-cohenEin echter Meister seines Fachs ist derweil mal wieder um eine Veröffentlichung reicher. Der mittlerweile etwas in die Jahre gekommene, genau genommen, 75jährige Leonard Cohen, zu dessen „Suzanne“ heute immer noch die Massen schmachten, präsentiert sich nach einer kurzen Einführung auf „Live At The Isle Of Wigh“ aus dem Jahre 1970 in der Form seines Lebens. Schön ist es, dass das Album und die zugehörige Dokumentation (aus dem Hause Murray Lerner) nun auch den Nicht Anwesenden vor den Latz geknallt wird, wie Babybrei. Man muss sich das mal vorstellen: da entledigt sich jemand seiner seelischen Qualen vor nahezu 600.000 Menschen und man bekommt bei fast jedem Song Gänsehaut. Zwischenrein werden sogar Gedichte gesprochen, was die randalierenden Fans, die sich vorher zum Sound von Jimi Hendrix ins Stadium blanker Wut versetzten, kurzerhand wieder in zärtliche Peace, Love & Harmony-Atmosphäre überführt. Ein bemerkenswertes Dokument, das einen, einmal um den Finger gewickelt, einfach nicht mehr loslässt. Einfach perfekt zum Nostalgieren.

david-bowieWenn man dann gerade so schön in Erinnerungen schwelgt, kann man hinterher gleich noch einen Stopp bei David Bowie einlegen. Man merkt schon: es geht langsam auf Weihnachten zu, also kommen wieder allerhand „Deluxe“-Editions auf den Markt. Im Falle von „Space Oddity“ allerdings ist man auf der sicheren Seite, denn das Album wurde um sage und schreibe 15 Raritäten erweitert und erscheint nun auf zwei himmelhoch jauchzenden Silberlingen, die einen dazu bringen, die neue Flaming Lips doch mal für ein paar Minuten aus der ollen Boombox zu entfernen. Das Album selbst wurde natürlich schon mehrmals in unterschiedlichsten Varianten unters Volk gestreut und bevor ihr fragt, warum auf „David Bowie“ und „Man Of Words, Man Of Music“ die gleichen Songs drauf sind: es ist schlicht und ergreifend dasselbe Werk. Trotz allem können natürlich alle Fans des Künstlers noch mal zugreifen. Das dicke Beilag-Schreiben in Form eines Booklets und das musikalische Bonusprogramm entschädigen für die Auslagen – auch wenn Bowie natürlich im Laufe seiner Karriere noch größere musikalische Momente auf Platte gebannt hat. In meiner persönlichen Rangliste rangiert „Space Oddity“ gleich hinter dem Aufstieg und Fall des Ziggy Stardust. Man möge sich nur die ausgedehnte Jam-Session am Ende von „Unwashed And Somewhat Slightly Dazed“ zu Gemüte führen, da wachsen einem Glatt Blumenbeete aus den Haaren. Waren halt die 60er, genau genommen 1969, womit dann auch der Grund der Wiederveröffentlichung geklärt wäre: 40 Jahre, das muss gefeiert werden. Also kommt schon: fröhlich mit einstimmen und abheben. Es lohnt sich.

u2U2 waren derweil noch nie mein Ding. Dieser Hall, und die Songs, die einfach kein Ende nehmen wollten. Da bekam ich immer das Gefühl, alles durch einen Schleier vor den Latz geknallt zu bekommen. Auf dem Re-Release von „The Unforgettable Fire“ ist das auch so, nur funktioniert die Scheibe bemerkenswert gut, weil hier trotzdem alles spontan anmutet. Die Scheibe, die 1984 zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt, wurde produziert von Brian Eno (seine erste Zusammenkunft mit der Band). Der Titel der Platte nimmt Bezug auf zahlreiche Gemälde, die in Bezug mit dem Atombombenangriff von Hiroshima und Nagasaki stehen. Hier wird mehr als deutlich, dass das Politische im Leben von Bono eine immer größere Rolle einnehmen wird. Alles in allem ist die Wiederveröffentlichung vor allem für die Fans ein echtes Schmankerl, weil die Special Edition in vier Formaten veröffentlicht wird, die unter anderem zwei bisher nicht gekannte Songs der „Slane Castle Sessions“ enthält, welche die Band erst vor Kurzem zu Ende brauchte. Außerdem gibt es eine DVD mit Musikvideos, einer Dokumentation und unveröffentlichten Live-Material von der „Amnesty International Conspiracy of Hope Tour“, die 1986 über die Bühne ging. Wer also noch Nachholbedarf in Sachen U2 hat, hier könnte er mit dem Sammeln anfangen.

jack-johnson-en-concertDer herzallerliebste Jack Johnson ist derweil noch nicht ganz so lange im Geschäft, wie die werten Herren zuvor und ob er jemals den Status eines Leonard Cohen oder David Bowie einnehmen wird, wage ich hier mal zu bezweifeln. Trotzdem hat er vor allem auf seinen ersten paar Alben einige mehr als entspannte Hymnen geschrieben, die einem auch heute noch ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Auf seinem aktuellen Live-Album „Jack Johnson En Concert“ versammelt der Musiker Live-Aufnahmen seiner 2008er Welttournee „Sleep Through The Static“. Die Menschen jubeln im zu. Der Künstler präsentiert sich in Bestform. Alle wirken happy und glücklich und froh und schauen sich tief in die Augen, wenn seine romantischen, von akustischer Gitarre begleiteten Hymnen die großen Plätze fluten. Schön auch zu sehen, dass er in vielen Songs von den üblichen Song-Schemata abweicht und einfach mal improvisiert. Man kann über Jack Johnson denken was man will. Livespielen, das kann er. Da ist er in seinem Element, da dirigiert er die Menge. Da braucht er nur kurz die Stimme zu heben und alles versinkt in Euphorie. Ist irgendwie bemerkenswert mit welchen simplen Mitteln er die Massen um den Finger wickelt. Lagerfeuer für Millionen eben. Und da sitzt nun mal jeder gern: auch wir.

grisGris gibt sich derweil allerhand Mühe tiefe Bässe mit Wortspielen zu untermauern. Der Rapper stapelt zwar textlich nicht unbedingt tief, aber er kann es sich leisten, weil seine Wortspiele verzücken, wie Cowboys, die als Zweite ziehen. Hin und wieder wird Gris auf „Schwarzweiss in Farbe“ auch mal nachdenklich, wobei ich mich allerdings lieber auf die Tracks beschränke, in denen er zeigt, was er style-technisch so im Gepäck hat. Hier kriegt Ghettorap, was er über weite Strecken verdient, der „Opferboogie“ spricht für sich selbst und wem Abrechnungen mit Straßenlyrik inzwischen ebenso auf die Nerven fallen, wie die Gosse selbst, für den sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt: „Gegen Raps Jumbo Jets ist das hier ein Papierflieger“. Schön, dass wir eine Runde mit dir drehen durften. Bitte Gris, mach weiter so.

catelebon_coverCate Le Bon möchte auf ihrem neuen Album vor allem betörend wirken. „Oh My God“ steht in der Tradition von PJ Harvey, Bat For Lashes und Konsorten und mutet nur auf den ersten Metern so an, als wolle einem die Künstlerin hier über die volle Albumlänge den immer gleichen Song vorsetzen. Schon im Opener schiebt sich plötzlich ein lauter Synthesizer zwischen die gehauchten Zeilen, nur explodiert der Track dadurch nicht, er wirkt nur noch bestürzender und schräger, als zuvor. Hinterher macht die liebe Miss Le Bon dann auch mal der werten Miss Spektor Konkurrenz und frönt den Lieblichkeiten des Popuniversums Marke Nash und Konsorten. Immer wieder schleichen sich dabei bewusst platzierte Misstöne zwischen den Melodienreigen. Soll ja schließlich auch ein bisschen weh tun. Sonst landet man irgendwann noch im Bubble Gum-Segment, dessen Herzlichkeit Miss Le Bon aber so was von abgeht. Der Blutdurst von „Oh My God“ ist außerordentlich erfrischend, Cate schaltet mit dieser Platte auf „Nightmare Before Christmas“-Modus. Eigentlich der perfekte Soundtrack für das alljährliche Halloween-Diner mit Menschen, die sich lieber „Dracula“, als „Hostel“ reinziehen. Na dann: fürchtet euch schön, wir lesen uns beim nächsten Zuckerbeat.