// tocotronic – das komplette interview

Tocotronic sind eine feste Instanz in der deutschen Rockmusik. Obwohl sie das wahrscheinlich so gar nicht unterschreiben würden. Ein Gespräch mit Sänger Dirk von Lowtzow über Veränderungen, Zugehörigkeiten und die aktuelle Bandsituation. // interview von sebastian struch Hi dirk. Wo bist du gerade? Ich bin gerade bei mir zu hause in Berlin. Alles total entspannt. […]

Tocotronic sind eine feste Instanz in der deutschen Rockmusik. Obwohl sie das wahrscheinlich so gar nicht unterschreiben würden. Ein Gespräch mit Sänger Dirk von Lowtzow über Veränderungen, Zugehörigkeiten und die aktuelle Bandsituation.

// interview von sebastian struch

Hi dirk. Wo bist du gerade? Ich bin gerade bei mir zu hause in Berlin. Alles total entspannt.

Euer neues Album ist ja nun seit 2 Monaten auf dem Markt. Wie ist denn euer bisheriges Resumee? Ihr hattet ja auf einigen Festivals die Gelegenheit, die Stimmung einzufangen.Wir haben ja in diesem Jahr sehr sehr viele Festivals gespielt, so viele wie noch nie. Wir wurden eigentlich sehr beglückt. Die Konzerte haben sich alle sehr gut angefühlt, also zumindest für uns (lacht). Für das Publikum kann ich natürlich nicht sprechen, aber ich glaube, das kam ziemlich gut an und hat Spaß gemacht. Das ganze Album ist bis jetzt eigentlich eine sehr freudvolle Erfahrung. Es lief alles gut, ich fand die Resonanz super. Es ist ja auch schwierig als Band. Wenn es einen schon so lange gibt und man das 8. Album herausgebracht hat, ist man ja jetzt nicht mehr so der „allerheißeste Scheiß“ und von daher lief es sehr gut. Wir sind sehr zufrieden.

A Propos 8. Album. Ich höre euch ja auch schon einige Zeit lang zu. Kannst du dich heute noch mit den Texten der Anfangsphase identifizieren? Es hat im Laufe der Zeit ja ein starker Wandel stattgefunden.Ich glaube es ist so ein bisschen teils teils. Einserseits denkt man, und zwar in jeder Hinsicht, dass man damals ein anderer Mensch war. Zumal ich für meinen Teil, ich kann ja nicht für die ganze Band sprechen, eh ein Problem mit dieser Form der Nostalgie und des Rückblickens habe. Ich sehe mir zum Beispiel auch nicht gerne alte Fotoalben an. Andererseits gibt es da Sachen und Stimmungen, mit denen man sich noch immer total identifizieren kann. Da denkt man sich, man hat sich ja gar nicht verändert. Es schwankt also immer so ein bisschen zwischen diesen beiden Extremen.

Ich habe kürzlich gelesen, dass es euch als Band und somit auch dir nicht darum geht, Gefühlen authentisch Ausdruck zu verleihen. Heißt das, dass du in deinen Texten als fiktive Person neutral betrachtest, oder gibt es doch auch autobiografische Züge? Ich glaube, wenn man irgendetwas künstlerisches macht, etwas schreibt oder malt, dann geht es glaube ich immer auch um die eigene Persönlichkeit. Selbst wenn ich es nicht wollte, würde sie irgendwann doch durchkommen. Man kann das gar nicht verhindern. Aber wir legen als Band schon Wert auf die Feststellung, dass wir eben eine Rockband sind und als Rockband machen wir eine künstlerische Äußerung, nämlich Rocksongs und keine private Äußerung. Wir legen schon Wert auf diese Distanz.War es dann ein absichtlicher Wandel, weg von den direkten Texten der Vergangenheit? Viele Texte von damals haben euch ja ein wenig zu sehr begleitet. (unterbricht) Ach, also ich glaube als wir diese sehr direkten Texte geschrieben haben, waren diese nicht minder abstrakt als die Texte heute. Man muss schließlich sehen, dass sie in einer Zeit geschrieben wurden, als deutsche Texte grundsätzlich noch viel verklausulierter und abstrakter waren als sie es heute sind. In sofern haben unsere Texte vielleicht damals schon ähnlich verstörend gewirkt wie die Texte heute. Ich weiß nicht, ob ich das verständlich machen kann. Es war eben manchmal so direkt, dass viele Leute damals dachten: „Das kann doch nicht deren Ernst sein“. Und das war, ganz verkürzt ausgedrückt, auch so ein bisschen der Gag an der Sache.Als wir merkten, dass manche Leute anfingen, sich mit diesen Sachen zu identifizieren und für bare Münze zu nehmen; als persönliche Äußerungen zu sehen, da wurde uns ein wenig gruselig. Zu dieser Zeit haben wir uns entschieden, die Sache zu modifizieren und zu korrigieren und uns auch einer anderen Art von Sprache zuzuwenden.

Obwohl die alte Sprache, derer ihr euch bedient habt, ja auch ihre charmante Seite hatte. Ich denke da z.B. an „die Idee ist gut doch die Welt noch nicht bereit“. Das Stück ist eigentlich ein gutes Resumee. Es spiegelt ein wenig eine desillusionierte Weltsicht wieder, denn die ganzen Szenen, die darin besprochen werden, wie z.B. jemand fremden, der aus dem Zug kommt ansprechen, oder in einem anderen Stadtgebiet ein Mädchen zu einem Eis einladen oder durchs Telefon ein Liebeslied singen, das sind ja alles romantische Konstrukte. Im Refrain tritt dann die Desillusion in Kraft. Das ist eigentlich ganz witzig.

Das Desillusionierende, das Verweigernde zieht sich bei dir ja wie ein roter Faden durch die Texte. Ja, ich glaube einfach, dass man einfach so gestrickt ist. Da kann man gar nichts gegen tun. Vielleicht ist es eine psychische Krankheit (lacht). Grundsätzlich fühle ich mich halt immer von Sachen angesprochen, die ihre Kraft aus der Negation beziehen. Ich empfinde das grundsätzlich als interessant, das hängt glaube ich einfach mit der Sozialisation zusammen. Wir sind alle mit Punk und Postpunk aufgewachsen und auch mit einer bestimmten Form von Literatur, wie damals Thomas Bernhard, die einfach sehr viel Kraft aus so einer Negation zieht. Das hat sich glaube ich bis heute erhalten, da kann man wenig dagegen tun. Wann immer Sachen zu menschelnd, harmoniesüchtig- optimistisch sind, da graust es uns eigentlich.

Hat sich euer Publikum im Laufe der Jahre mitverändert? Siehst du bei Konzerten, dass da andere Leute im Publikum stehen als früher? Nein, glaube ich eigentlich nicht. Es ist oft ein bisschen schwer, weil man als Band ja immer nur einen Ausschnitt mitbekommt. Was uns als Band wahnsinnig freut ist, dass da immer noch sehr viele junge Leute sind, obwohl wir ja nun nicht mehr die Allerjüngsten sind und Rockmusik ja auch ein sehr schnelllebiges Geschäft ist. Ich habe so das Gefühl, dass viele Leute uns über die Zeit gefolgt sind und uns begleitet haben. Die haben unser Alter, oder sind in einigen Fällen sogar älter. Es gibt aber auch Leute, die sind einfach nachgewachsen. Insofern stellt sich unser Publikum als relativ heterogen dar, und das finde ich eigentlich auch ganz gut.

Kann man euch bei eurem Wechsel im Laufe der Jahre Absicht unterstellen? Absicht natürlich, aber wir wollen ja niemanden vergraulen. Wir stellen nur manchmal Dinge in Frage und das kommt dann vielen Leuten in den falschen Hals. Wir thematisieren eben oft bestimmte Dinge, die andere Bands eben nicht thematisieren. Wie ich schon sagte, das ist ja nun schon fast 10 Jahre her, so gegen 1997, da hatten wir ein wenig das Gefühl es gibt eine bestimmte Art von Leuten um uns herum, die uns ein wenig missverstehen. Es bestand die Gefahr, und das meine ich jetzt wertungsfrei, die neuen Toten Hosen zu werden. Und das lag und liegt uns eben fern. Aus diesem Grund mussten wir einfach bestimmte Sachen modifizieren.

Wo liegt für dich denn der maßgebliche Unterschied zwischen dem letzten Album „pure Vernunft darf niemals siegen“ und dem aktuellen Album „Kapitulation“? Puh, das ist für mich selbst immer schwer zu definieren, denn das ist alles ein relativ fließender Prozess. Wir haben ja auch ziemlich schnell nach dem letzten Album angefangen mit der Arbeit an „Kapitulation“. Das war schon ein fließender Übergang. Es ist schwer, das selbst zu analysieren. Ich glaube aber, dass es schon große Unterschiede gibt, die ich benennen kann. Das Album davor war beseelt von der Idee, eine ganz klare, analytische, fast schon wie Techno anmutende Art von Musik zu machen. Sehr trocken produziert und sehr transparent. Wir wollten das so reduziert wie möglich halten, ähnlich wie minimal Techno. Beim jetzigen Album stand die Idee im Vordergrund, ein sehr räumliches, großes, auch verschwommenes Rockalbum zu machen, das auch etwas monströs in der Anmutung ist. Textlich war „pure Vernunft darf niemals siegen“ eigentlich ein Märchenalbum. Es drehte sich um eine Art Märchenreise. Es ging sehr um Initiationen und grenzüberschreitende Dinge, über Schwellen. Wie es eben so ist bei einer Märchenfigur, die verscheidenste Menschen trifft und vor verschiedenste Prüfungen gestellt wird. Beim aktuellen Album ging es uns darum, eine sehr viel klarere, direktere Sprache zu sprechen.

Die erste Auskopplung „Sag alles ab“ ist ja nun in seiner Rotzigkeit nicht gerade symptomatisch für den Rest der Platte. Wenn man dann den Rest des Albums hört, ist man schon erst mal überrascht. Naja ich finde, es ist schon alles ziemlich aus einem Guss. Es ist ein relativ schnelles Stück und es ist schwierig, solche Stücke zu machen, ohne dass sie langweilig werden. Das ist uns hier hoffentlich geglückt. Wir haben es ja auch deshalb nur auf Vinyl seven inch rausgebracht, weil wir eben dachten, dass das die Form ist, die so am adäquatesten für das Stück ist, die auch die Punkigkeit und dieses Herausstechen ganz gut illustriert.

Wenn man sich die Kritiken zu „Kapitulation“ zu Gemüte führt, kann man ja durchaus eine sehr positive Tendenz wahrnehmen. Sätze wie „Das beste Album der Bandgeschichte“ fallen unter anderem. Ist das für dich eher eine Floskel? Es freut einen natürlich, wenn man etwas macht, das dann eine positive Resonanz findet. Gerade auch von Medien, die einem in dieser Hinsicht etwas bedeuten. Man muss sich aber natürlich auch darüber im Klaren sein, dass es eben so ein bisschen floskelhaft ist. Im nächsten Monat wird dann wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Es ist ein sehr schnelllebiges Geschäft, man sollte da grundsätzlich nicht gar so viel drauf geben.

Gibt man denn etwas darauf? Ich glaube, man gibt da viel mehr darauf als man eigentlich sollte. Ich denke, die Presse funktioniert nach ganz eigenen Regeln, Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen zu sagen, dass es gar nicht so wahnsinnig viel mit dem, was man selbst macht, zu tun hat. Nichtsdestotrotz freut es uns natürlich, gute Kritiken zu bekommen. Es ist ja auch nicht so, dass man total abgekoppelt von der Presse existiert. Man spricht ja mit vielen Leuten, ist teilweise untereinander befreundet. Ich glaube, wie man gerade aufgenommen wird hat oft viel mehr mit einem allgemeinen Zeitgeist oder einer aktuellen Mode zu tun, als mit der eigenen Musik selbst.

Ihr seid ja aber selbst schon eine Art Institution, die doch von Dingen wie Mode nicht maßgeblich beeinflusst wird, oder? Aber trotzdem kommt es mir so vor, als ob man manchmal mehr und manchmal weniger in ist, obwohl man eigentlich fast das gleiche macht. Man stellt das auch an Bands fest, die es noch viel länger gibt als einen selbst, so wie zum Beispiel Sonic Youth. Da hab ich so das Gefühl gehabt, die sind jetzt über die letzten zwei drei Jahre wieder in geworden. Vor fünf Jahren hat sich da kein Mensch dafür interessiert, obwohl die relativ die gleiche Musik gemacht haben. Ich habe das Gefühl, dass das sehr zyklisch ist. Alles kehrt irgendwie wieder, und deshalb sollten wir ans uns selbst plädieren, da nicht zu viel darauf zu geben. Das läuft alles nach eigenen Gesetzen. Kritiken zu lesen ist für mich immer irgendwie neurotisierend. Ich finde es immer etwas verstörend.

Wie du vorhin schon erwähntest, seid ihr ja seit eurem letzten Album zu viert. Woraus resultierte dieser Entschluss? Konntet ihr eure Vorstellung von Musik zu dritt nicht mehr adäquat umsetzen? Ja, das ist uns eigentlich schon 1999 anlässlich das Albums KOOK aufgefallen, wo wir viel Synthesizer und auch Hörner und Streicher dabei hatten. Da war es in der Trio-Struktur sehr schwierig, die Songs live auf die Bühne zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir Rick (Mc Phail) gefragt, ob er uns live aushelfen möchte, an den Keyboards und der zweiten Gitarre.

Wie seid ihr eigentlich auf ihn gekommen? Das ist ein alter Bekannter von uns. Das ist uns auch wichtig, dass nicht nur nach fachlicher Kompetenz ausgewählt wird, sondern dass man sich auch menschlich versteht. Rick war dann zuerst nur als Gastmusiker live dabei. Vor den Aufnahmen zu „Pure Vernunft darf niemals siegen“ haben wir uns gesagt, komm lass uns doch gleich zu viert sein, das ist doch albern, wenn wir immer die Kernband bilden und er als Gastmusiker dabei ist. Das war uns zu hierarchisch. Das wollten wir nicht.Zu viert zu sein ist sehr beglückend für uns . Funktioniert wunderbar.

Ihr geht ja bald auch wieder auf Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Überwiegt die Vorfreude oder die Angst vor Stress? (Lacht) Ja wir sind ja, wie man vielleicht an den Themen unserer Platte sehen kann, faul. Deshalb haben wir immer Angst vor Stress. Nein, Spaß bei Seite. So eine Tour ist natürlich immer ein anstrengende Sache, aber anderseits habe ich das Gefühl, dass wir gerade sehr gut eingespielt sind. Und es macht auch so viel Spaß wie noch nie zuvor, da überwiegt eindeutig die Vorfreude.

Im Vorprogramm spielt der ehemalige Sänger der Band Chokebore. Stand auch einmal zur Diskussion eine deutschsprachige Band zu verpflichten, oder ist so etwas einfach nicht relevant? Huh. Schwer zu sagen. Es ist eben so. Troy ist ein ganz alter Freund der Band. Wir haben schon 96/97 mit Chokebore getourt, unter anderem auch in Würzburg im AKW (der Mann hat ein gutes Gedächtnis). Wir mögen eben diesen familiären Aspekt, dass man mit Leuten auf Tour geht, die man lange kennt. Und das fanden wir eben immer, um deine Frage zu beantworten, ein bisschen interessanter als dieses Schmoren im eigenen Saft mit diesen deutschsprachigen Bands. Du wirst ja auch unschwer erkennen, kann wir uns von dieser deutschen Musikszene relativ distanzieren.

Das wäre meine nächste Frage gewesen. Gibt es dafür einen Grund? Wir finden einfach das Kriterium, dass Bands deutsch singen, total uninteressant. Ich habe das Gefühl, dass das in letzter Zeit unglaublich wichtig genommen wird. Man hat ja doch die naive Vorstellung, dass Rockmusik so etwas völkerverbindendes, internationales sein soll und nicht so etwas völkisches. Und bei deutschsprachiger Musik geht es eben oft in solch eine Richtung. Da findet teilweise eine ganz starke Identifikation mit dem eigenen Land oder zumindest mit der eigenen Sprache statt. Da kommen wir, dass muss man ganz klar sagen, aus einer ganz anderen Tradition, wie wir sozialisiert wurden und wie wir angefangen haben. Damals war es eben überhaupt nicht üblich, auf Deutsch zu singen. Man musste sich damals ja fragen, ob man das überhaupt machen konnte, das klang ja schrecklich. Wir sind da einfach eine andere Generation. Ich meine das auch gar nicht wertend, aber die ganzen Bands, die jetzt auf deutsch singen und uns verbindet da gar nicht so viel.

Gut, ich habe deine Zeit schon zu lange in Anspruch genommen. Vielen Dank für das Gespräch.Nichts zu danken. Einen schönen Tag noch.

// das interview führte: sebastian struch