// zuckerbeat volume 39

Der Musiker Oliver Lichtl behält gerne alles im Blick. Er blickt von seinem Zimmer hinaus in Richtung Horizont und schichtet dort watteweiche Wolkenfetzen übereinander. So lange, bis kleine Luftschlösser entstehen. Luftschlösser mit so verheisungsvollen Namen, wie „Electric Ultradorm“ und „Awkward Park“. Seine Musik ist ein „Telescopeland“ – er der Beobachter, der durch die Linse blickt. […]

Der Musiker Oliver Lichtl behält gerne alles im Blick. Er blicktuphill-racer.jpg von seinem Zimmer hinaus in Richtung Horizont und schichtet dort watteweiche Wolkenfetzen übereinander. So lange, bis kleine Luftschlösser entstehen. Luftschlösser mit so verheisungsvollen Namen, wie „Electric Ultradorm“ und „Awkward Park“. Seine Musik ist ein „Telescopeland“ – er der Beobachter, der durch die Linse blickt. Als Uphill Racer macht er sich auf in unentdeckte Gefilde und lässt dort eine Landschaft aus Klavier, Gitarren und Samples entstehen. Das ist seine Welt. Eine Welt, in der die Elektronik noch nicht den Blick auf das Wesentliche versperrt hat. Sondern sich sanft an dich schmiegt, wie das durchsichtige Gewand ein Schleiers. Damit das Wesen der Menschen nicht in einem schwarzen Loch versinkt. Erdrückt wird von den Ablenkungen, die uns täglich davon abhalten, uns mal wieder mit uns selbst zu beschäftigen. Uphill Racer hat sich damit auf seinem dritten Album endgültig frei geschwommen von all den Einflüssen, die The Notwist und Thom Yorke auf seine Musik gehabt haben. Er schafft sich sein eigenes Stück Poplandschaft. Und erreicht den bisherigen Höhepunkt seines Schaffens mit dem Stück „Electric Ultradorm“. Hier verstecken sich die Dissonanzen hinter den Melodien. Und mit Worten, wie „when the satellite crashed the star, i forgot to lookelectroserge.jpg where you are” scheint er für kurze Zeit die Leere, die einen umgibt, in Wort fassen zu können. Nur um sie dann mit seinen zärtlichen Melodien vollends auszuhöhlen. Ein bemerkenswertes Album. Ebenso wie das folgende von Birgit Lehneis und Paul Heil aka Electroserge. Die präsentieren auf ihrem dritten Longplayer ein breit angelegtes Sammelsurium an elektronischen Indietronics-Entwürfen. „Gimme Data“ strotzt nur so vor industriell anmutenden Soundentwürfen, die wirken, als würde man sich an einen Atari setzen und zu einem verpixelten Ballerspiel ein paar zerbrechliche Melodien mit sprechgesang-affinen Ansagen säuseln. Die Indie-Vergangenheit der Marke Dinosaur Jr. ist nur noch in Bruchstücken präsent, tritt aber dennoch über weite Strecken stark in den Hintergrund. Stattdessen versucht das Duo sich an verspultem Elektro-Rap der subtileren Sorte – zeitweise sogar an einem deutschsprachigen Popentwurf namens „Im Maschinenpark“, der aber im Gegensatz zum Rest der Scheibe deutlich abfällt. Alles in allem also wieder ein gelungener Entwurf der bayrischen Elektro-Kapelle, der vor allem aufgrund der kurzen Spielzeit von 34 Minuten bis zum Ende spannend bleibt. Gleiches gilt auch für die liebenswürdigen Nervtöter von parts-labor.jpgParts & Labor. Die haben ja vor Kurzem erst das Cairo in Grund und Boden gelärmt. Und reiten den Gaul namens Popmusik auch auf ihrem neusten Output „Receivers“ mit jeder Menge psychedelischer Soundästhetik und verkratzter Elektronik gegen die Wand. Die lärmenden Passagen des Vorgängers wurden ergänzt um folkloristische und countryeske Klänge: Soll heißen… hier wird in genau acht Songs das Spektrum der musikalischen (Un)Möglichkeiten ausgelotet. Den Hörer erwartet ein schickes Päckchen, das einen aufgrund seines sprunghaften Inhalts nicht nur dauerhaft bei der Stange hält, sondern auch für die ein oder andere gelungene Überraschung gut ist. Nehmen wir zum Beispiel den Track „Nowhere Nigh“ – das ist ein schlicht atemberaubender Indie-Pop-Song bei dem man sich immer wieder verwundert die Augen reibt, wie charmant dieser flotte Vierer doch vor sich hin melodieren (Wortneuschöpfung rules!) kann, wenn er die experimentellen Flügel einmal abstreift. Ansonsten wirken die Songs zeitweise, als würden sie vollends in sich zusammenbrechen, nur um sich dann in bester Transformers-Manier wieder zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenzusetzen. Am Ende ist man schlichtweg beeindruckt, wie sich hier scheinbar Widersprüchliches ganz selbstverständlich zusammenfügt. Und freut sich über eine der langlebigsten Platten des Jahres. Was uns direkt zu den allseits beliebten Monsterbacken von The Killersthe-killers.jpg bringt. Die führen ja seit Beginn ihrer Karriere eindrucksvoll vor Augen, dass Stadionrock und Langlebigkeit sich nicht unbedingt ausschließen. Jedenfalls hat kaum einer ihrer zahlreichen Hits mit den Jahren auch nur einen winzigen Funken an Charme eingebüßt. Nein. Wenn ihre Songs sich erstmal in deinen Gehirnwindungen festgesetzt haben, binden sie dich unwiderruflich an diese Band. Auch auf ihrem dritten Album „Day & Age“ ist das so. Versuchte sich die Gruppe auf dem Vorläufer noch an eher experimentellen Songstrukturen, rotzen sie dir jetzt wieder ihren melodieseligen Überschwang frontal ins Grinsegesicht. „Human“, „Spaceman“, „Joy Ride“. Allesamt Lieblingslieder für die Ewigkeit. Fürs Knutschen unterm Sternenhimmel. Fürs Gondeln im gedimmten Licht der Straßenlaternen. Fürs Händchen halten unter einem Schwarm von Glühwürmchen. Für die ersten Schneeflocken, die auf deiner Nase zerschellen. Fürs erste Rutschen ins Ungewisse auf einem hölzernen Schlitten. Fürs erste Plumpsen in den Schnee. Für den heißen Punsch in deiner Kehle. Für das Knistern des gefrorenen Atems. Leute. Packt die Konfettikanonen aus und füllt sie mit Sternenstaub. Diese Platte ist ein Ereignis. Eine Momentaufnahme. Ein sprudelnder Quell voll Melodien, der der eisigen Kälte trotzt und fröhlich Pirouetten ins Nichts schlägt. Die Killers eben. Da kann man gar nicht anders, als aus dem faulen Winterpulli zu schlüpfen und sich was Tanzbares überzuziehen. Das eignet sich hinterher auch perfekt für die After Show Party mit the-young-punx.jpgThe Young Punx!. Die hinterließen mit ihren Clownsfressen schon als Vorband von The Teenagers einen äußerst sympathischen und vor allem irren Gesamteindruck. Live geht da einiges. Wenn die Jungs und Mädels ihre Elektrokanonen zücken, dann gibt’s Feuerwerk und zwar nonstop. Auch auf ihrem Album „Your Music Is Killing Me“ stoßen sie reichlich Wohlfühl-Elektro-House-Gewummse aus, dass einem als Hörer kaum Luft zum Atmen lässt. Im Stil eines gelungenen DJ Sets wird der Euphoriepegel über die volle Länge an den Rand des strapezierfähigen Messgeräts transferiert. Das klingt dann wie ein anspruchsvolles Update aus den 90ern – als 2 Unlimited und Culture Beat noch der heißeste Scheiß waren. Nur eben spürbar ausgereifter. Nachhaltiger. Zeitgemäßer. Kurz gesagt. Wer sich zuletzt dabei ertappte, dass er zu unsäglicher Eurodance-Mucke verstohlen mit dem Fuß wippte, bekommt hier eine passende Alternative präsentiert. Taufrisch auf 17 atemlosen Tracks. Und für den Moment genommen das Brett der Stunde. Nur nach der Langlebigkeit sollte man nicht fragen. Die dürfte unter der Overdose an Melodien sicher etwas leiden. Macht aber nix. Tanzen ja eh schon alle im Blitzlichtgewitter. Also genießen, solange der Scheiß noch heiß ist. Gleiches gilt für das neuste Mixtape aus dem Hause Kid Alex alias Boys Noize. boys-noize.jpg„I Love Techno“ ist gesegnet mit allerhand brachialem Elektrogeholze der Marke Alter Ego und Mr. Oizo und ballert einem dabei die Synthie-Kugeln um die Ohren, als wollte er Paintballmäßig eine karge Mauer in ein farbenfrohes Gemälde verwandeln. Diese Scheibe macht keine großen Gefangenen. Vom ersten Track an stampft der Beat in Richtung elektronische Gewitterfront. Abseitigere Tracks, wie „Hypercommunication“ von Poni Hoax, sorgen hin und wieder für den entsprechenden Schuss Abwechslung. Fügen sich aber aufgrund der gelungenen Remix-Arbeit von Alter Ego ebenfalls sehr homogen ins Gesamtbild ein. Am Ende steht man den mit verschwitztem Shirt auf der Tanzfläche. Von der Decke regnet es Glitzerstaub. Und man reißt die Hände zum flackernden Blitzlicht des Stroboskops gen Clubhimmel. Die Zeit scheint zu stehen, wenn das grelle Licht für einen Moment den Raum durchflutet. Und man verliert sich in der Musik, die sich fortwährend ihren Weg durch die Szenerie bahnt, so als könnte sie sich einfach über Zeit und Raum hinwegsetzen. Ähnlich aufregend ist das aktuelle Release aus dem Hause Cazals. Das ist der neuste Indie-Wave-Entwurf von Kitsune. Und man muss zugeben. Nachdem man sich erstmal dran gewöhnt hat, dass einen hier keine treibenden Elektrobeats an die Wand schmettern, hat die Scheibe am Ende einiges mehr zu bieten, als der Output vieler Kollegen. Die Single „Somebody, Somewhere“ und das schlicht berauschende „A Big Mistake“ dürften jedenfalls in Kürze allecazals.jpg Indie-Tanzflächen der Nation in euphorischen Freudentaumel stürzen. Die weiteren neun Tracks der Scheibe können da zwar nicht immer mithalten, entpuppen sich aber mit zunehmender Dauer als äußerst langlebige Indie-Elektro-Alternativen, die man nur zu gerne aufs nächste Mixtape spielt. Direkt zwischen Bloc Party und CSS strahlen diese Songs umso heller, weil der Mainstream sie noch nicht vollständig infiltriert hat. „Life is Boring“? Nicht mit den Cazals. „What Of Our Future“ klingt so dermaßen mitreißend, zeitgemäß und ideenreich, dass man sich zeitweise immer wieder Luftpiano spielend im heimischen Wohnzimmer wieder findet. Die Boxen werden bis zum Anschlag aufgedreht und das drohende Klopfen der Nachbarn an der Zimmerwand schlichtweg überhört. Stattdessen feiert man die euphorie-geschwängerten Lichtblitze dieser Scheibe. Brüllt sich die Seele aus dem Leib und wirft sich schwärmerisch der heimischen Stehlampe um den Hals bis man zu Boden fällt und in einem Meer aus Funken versinkt. Also kommt schon. Alle zusammen… „Poor innocent boys… poor poor… innocent boys!” Als ob es kein Morgen mehr gäbe. Einfach traumhaft dieser Sound. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von: alexander nickel-hopfengart