// zuckerbeat vol. 95 – i don´t have to sell my soul, he´s already in me

Mika ist wieder da. Dieser nimmermüde Bubble-Gum-Popper aus Beirut hat sich ein zweites Mal ein Herz gefasst und Popmusik in einen Zeichentrickfilm überführt. Sein neues Album „The Boy Who Knew Too Much“ ist ein himmelhoch jauchzender Jungbrunnen, der so größenwahnsinnig geraten ist, dass man ihn nur bezaubernd oder abstoßend finden kann. Wie der Popmusikant hier […]

mikaMika ist wieder da. Dieser nimmermüde Bubble-Gum-Popper aus Beirut hat sich ein zweites Mal ein Herz gefasst und Popmusik in einen Zeichentrickfilm überführt. Sein neues Album „The Boy Who Knew Too Much“ ist ein himmelhoch jauchzender Jungbrunnen, der so größenwahnsinnig geraten ist, dass man ihn nur bezaubernd oder abstoßend finden kann. Wie der Popmusikant hier orchestrale Sounds mit zuckersüßem Pop verknüpft, ist ganz großes Kino – vorausgesetzt natürlich man erwartet von Musik nicht mehr, als unterhalten zu werden. Das tun seine Songs. Auf dem neuen Album finden sich 12 Wohlfühlspritzen, von denen zehn als Single durchgehen. Damit toppt er sogar die Scissor Sisters, denen er vom Sound her gar nicht mal so unähnlich ist. Trotzdem fehlt hier am Ende was. Beim dritten Mal, wenn die anfängliche Euphorie verzogen ist, wirken manche Tracks seltsam leer. Manche, wie der Opener fangen an zu nerven. Trotzdem finden sich dazwischen immer wieder glitzernde Perlen, die dem Hörer ein Tor zu einer phantastischen Welt öffnen. Mika kann Songs schreiben, die anmuten, als würde ein Sternschnuppenregen vom Himmel purzeln. Nur sind es bisweilen die Tracks, die im Strudel der Emotionen untergehen, welche sich am Ende als wahrhafte Cinderella-Momente entpuppen. Dann nämlich, wenn Mika in einem Song mal nicht auf den großen Moment zusteuert. Wenn er sich zurücklehnt und seinen Melodien Raum zum Entfalten lässt, dann macht er einem bewusst, wie begnadet er ist. Das klingt dann aber nicht nach „We Are Golden“, sondern nach „I See You“ – dem vielleicht besten, weil rührendsten, Stück der Scheibe.

stone-rosesWomit wir uns mal einer alt-ehrwürdigen Band aus britischen Gefilden zuwenden: die Rede ist natürlich von den Stone Roses. Deren gleichnamiges Meisterwerk in Sachen moderner Rockmusik erscheint nun in renovierter Form. Die Musik macht das natürlich nicht besser, ist ja im Grunde auch gar nicht möglich. Die Scheibe ist perfekt. Das wusste schon Noel Gallagher. „The Stone Roses“ ist ein Gitarrenrock-Manifest mit Discokugel-Blinklicht. Eine „Collector´s Edition“ dieses Werks kann also nicht schaden. Vielleicht führt man damit ja auch einer jüngeren Generation vor Augen, wo Kasabian und Konsorten ihre Inspiration hergenommen haben. Auf diesem Werk ist alles schon vorgedacht. Die große Geste von Oasis, die treibende Rhythmik von Kasabian. Alles verpackt in elf sagenhaften Songs, die bis heute ihren Zauber nicht verloren haben. Dazu gibt’s noch zahlreiche Liner-Notes von Noel-Gallagher und Mark Ronson, eine DVD mit legendärem Konzertauftritt, 48 Seiten Text im schick zusammen gebasteltem Booklet und das Ganze natürlich auf Wunsch auch im alt-ehrwürdigen LP-Format. Ein durchaus angemessener Rahmen für ein Album, das von Teilen der britischen Fachpresse als bestes aller Zeiten geadelt wird. Wer es noch nicht kennt, sollte das jetzt nachholen. Worte reichen hier nicht; die Musik der Stone Roses – die muss man fühlen.

beep-beepBeep Beep scheinen derweil eine Spur zu viel Helium geschluckt zu haben. Stimmlich jedenfalls wollen sie hoch hinaus, höher noch als Muse und Konsorten, und auch musikalisch geht’s ziemlich rund auf „Enchanted Islands“, das im schicken Papiercover-Doppelpack daherkommt und sich im Wesentlichen um eine Abenteuerreise dreht, sich mir allerdings nach dem ersten Durchlauf nicht so recht erschließen möchte. Im Endeffekt wird hier Postrock mit allerhand Stilmittel unterschiedlichster Färbung aufgemotzt und einmal durch den Reißwolf gedreht. Die Songs wechseln so oft die Richtung, dass man sich nach dem ersten Durchlauf fragt, ob man es hier mit einem Sampler zu tun hat. Beep Beep scheren sich nicht besonders um Konventionen. Was gefällt, wird verwurstet. Was zusammen gedacht werden kann, wird auch zusammen gebracht. Spätestens nach Durchlauf fünf ist man dem Album aber verfallen, wie abgelaufenem Obst. Ein bemerkenswerter Mix im Grenzgebiet von Radiohead, Band Of Horses, Minus The Bear und Porcupine Tree. Einfach Play drücken und auf Reise gehen.

bela-bUnd hinterher mal geschaut, was Bela B. Superstar auf seinem neuen Album so anstellt. Der werte Herr gibt sich anfangs gleich mal herrlich größenwahnsinnig. Wie der Comic-Fanatiker sich da selbstironisch durch „Rockula“ in Richtung Hörerherzen poltert, damit bringt er selbst die um den Verstand, die eine gewisse Hassliebe zu seiner Person verspüren. Alle, die Bela schon immer für den besten Arzt gehalten haben, können in diesem Fall dennoch blind zugreifen. Auf „Code B“ finden sich ein paar seiner besten Stücke. Alle anderen werden wieder maulen, dass das vielleicht wieder eine Spur zu gewollt wirkt. Gewollt witzig, gewollt selbstironisch, gewollt sympathisch und gewollt gereimt, was ja im deutschsprachigen Poppunk gerne mal peinlich wirkt. Die Single „Altes Arschloch Liebe“ geht gar nicht. Trotzdem gibt es einzelne Momente, die aufhorchen lassen, denn gerade weil sich Bela B. keinerlei Stil-Grenzen auferlegt, finden einzelne Tracks immer wieder den Weg ins Herz des Hörers. Dazu gehört unter anderem auch der Mariachi-Kracher „Hilf dir selbst“, der so schräg vor sich hinläuft, dass man sich fragt, ob sich Bela vielleicht eine Ladung Wüstensand ins Studio hat schütten lassen. Ansonsten ist „Code B“ ganz Bela-like ein ziemlich düsterer Brocken geworden. Das Album ist damit der böse Bruder des durchaus beachtenswerten Vorgängers, der allerdings daran krankte, dass man sich an den Songs zu schnell satt hörte. Ob das bei „Code B“ anders ist, wird sich zeigen. Auf die ersten Durchgänge ist es ein stimmiges, vor allem aber stimmungsvolles Werk – auch wenn sich die Frage stellt, ob es ein zweites „Schlaflied“ wirklich gebraucht hat.

superhshirtKommen wir derweil mal zur neuen Scheibe von Supershirt. Das sympathische Duo ist zurück und alle, die es bisher verpasst haben, können sich schon mal in Headbang-Pose werfen und dem elektronischen Geschnatter der pumpenden Elektro-Fanatiker frönen. Wie schon beim Erstling wird die Geschichte mit einem ballernden Intro eingeläutet, bevor der „German Psycho“ den Kollegen zeigt, dass hier neben den grellbunten Soundeskapaden auch inhaltlich einiges geht. Tanzparty kann man natürlich trotzdem dazu machen. „8000 Mark“ ist trotz der bemerkenswerten Lyrics wieder wie geschaffen für das Live-Erlebnis. Dann nämlich, wenn alle Hände in die Luft fliegen, Planschbecken (mit Menschen darin) über die ausgestreckten Fingerkuppen surfen und die Schweißtropfen im Blitzlicht des Clubs in kleine Stücke gehackt werden. Dann saugt man den Puls dieser Musik auf, wie Knutschflecken. Die Emotion muss raus und zwar schnell. Supershirt verorten sich dabei gekonnt im Grenzgebiet zwischen Deichkind, MTK, Egotronic und K.I.Z. „Haue für alle“ und ab dafür. Regler rauf und durchdrehen. Selbstironie ist im Falle der letzt genannten Referenz natürlich inklusive… ist ja Ehrensache… Also „Haue“ verdammt noch mal.

she-keeps-beesShe Keeps Bees klingen dann nicht ganz so lieblich, wie man es vom Bandnamen her erwartet hätte. Die Musik ruft schöne Erinnerungen an Janis Joplin wach. „Nests“ ist eine kantige Rockplatte ohne Überraschungen. Das macht in diesem Fall allerdings nichts, weil die Emotionen trotzdem beim Hörer ankommen. Der erdige Blues-Bastard fährt einem in die Glieder und sorgt ganz unterschwellig dafür, dass man nach anfänglichem Fußwippen wie wild in eine Luftgitarrenorgie versinkt. Die White Stripes sollten Jessica Larrabee und Andy LaPlant, die privat (Vorsicht: Gossip!) ein Pärchen sind, vielleicht mal zu sich ins Studio einladen. Da käme ein dynamisches Meisterstück bei raus. Auf sich gestellt ist dieser Post-Cat Power Rotzrock auch aller Ehren wert. Erst kürzlich wurde deshalb die Hype-Maschine angeworfen und ihre Single „Gimme“ von einem bekannten Musiksender zur Single der Woche ernannt. Alles in allem nicht unbedingt die Neuerfindung des Rock, aber eine weitere hübsche Scheibe für Fans von Scout Niblett bis The Black Box Revelation.

helgiHelgi Jonsson gibt sich derweil auf seinem aktuellen Album reichlich Mühe, den schmalen Grad zwischen anmutender Größe a la Sigur Ros und chartkompatiblen Radiopop a la Coldplay entlang zu spazieren. Vor allem im Opener „Ashes Away“ gelingt ihm das sehr gut. Doch auch im weiteren Verlauf entspringt seinem Piano der ein oder andere betörende Moment, der aufhorchen lässt. Wie hier musikalische Flächen mit Melodien gekontert werden, das imponiert nicht nur, das regt auch zu Tagträumen an. So richtig einzuordnen vermag man seine Musik allerdings nicht. Ein geheimnisvoller Schleier scheint sich durch seine Songs zu ziehen, so als würde Sean Lennon plötzlich einen Track von Radiohead einsäuseln.

the-cribsZum Abschluss ballern wir dann noch ein echtes Brit-Pop-Manifest in Richtung Nachthimmel. The Cribs sind wieder da und nach dem lauen Vorgänger finden sie auf „Ignore The Ignorant“ wieder zu alter Stärke zurück. Die Texte sind gewohnt hintersinnig, nur stimmt diesmal auch die Musik. Soll heißen: hier gibt’s die Vollbedienung für die Indie-Disco-Gemeinde, die jede Woche zu Franz Ferdinand und Maximo Park im Kreis springt. Euphorische Schlachtgesänge für eine durchfeierte Nacht sind das. Zu Songs wie „We Were Aborted“ und „We Share The Same Skies“ sehen sich Mädchen und Junge ganz tief in die Augen und träumen von einer besseren Welt. Kein Wunder, dass Johnny Marr da schwach wurde und bei der Band fortan die Gitarre bedienen wird. Mit diesem Album werden die Cribs zumindest in England für reichlich Furore sorgen. Einen schöneren Soundtrack zum ausklingenden Sommer 2009 kann man sich gar nicht wünschen. Also lasst es krachen – bis zum nächsten Zuckerbeat.