„Irgendwie dazwischen“ nimmt zwar für sich in Anspruch nur „eine zu 95 Prozent wahre Liebesgeschichte zu sein“, man schließt die Graphic Novel aber trotzdem schon nach wenigen Seiten ins Herz. Schon allein das Artwork wirkt, als hätte sich jemand daran versucht, die werte „Juno“ von der Leinwand in ein Comicheft zu überführen. Zwischen ihren spärlich ausgestatteten Bleistift-Zeichnungen lässt Schöpferin Tracey White viel Raum für Emotionen. Die Geschichte lasse ich hier aus gegebenem Anlass von der Autorin selbst zusammenfassen. „Ich hasste mein Leben, ich hatte einen Zusammenbruch, ich lieferte mich selbst ein, ich fand es dort schrecklich, auch wenn ich wieder glücklich sein wollte, ich spürte, dass ich richtige Probleme hatte, ich fing an zu reden, ich schrieb und zeichnete dieses Buch“. Wobei ihr Comic vor allem deshalb so lebensnah wirkt, weil es sich bei „Irgendwie dazwischen“ um eine (beinahe) autobiographische Geschichte handelt und sich gerade deshalb sehr viele Menschen in den Kopf der verunsicherten Protagonistin hineinversetzen können. Die schwarz-weißen Zeichnungen dürfen in diesem Zusammenhang als Sinnbild für die Emotionen unserer „Heldin“ angesehen werden. „Irgendwie dazwischen“ ist am Ende vor allem ein Buch, das einen auf eine Reise mitnimmt und zum Nachdenken anregt, weil es dem Leser ein Gefühl dafür vermittelt, warum manche Menschen mit dem eigenen Dasein überfordert sind. Es macht aber auch viel Spaß diese Geschichte zu lesen. Und das ist am Ende das eigentlich Bemerkenswerteste.
Die hochwertige Graphic Novel namens „Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski“ entführt uns derweil nach München. Wir schreiben das Jahr 1918, ein Journalist der Münchner Zeitung wird gesucht. Er soll einen Brand gelegt haben. Blöderweise findet man nur seine Leiche, was Inspektor Kajetan dazu anstachelt, mal ein bisschen genauer nachzuforschen. Anscheinend war dieser Journalist mit dem Namen Meininger doch tatsächlich einer heißen Geschichte auf der Spur. Er stand kurz davor, den Mord an Ministerpräsident Eisner aufzuklären. Leser wie auch Inspektor tappen in diesem Zusammenhang lange im Dunklen, weil Schöpfer Robert Hültner und Illustrator Bernd Wiedemann die Geschichte aus Sicht des Inspektors erzählen. Das sorgt nicht nur für Spannung, das sorgt auch für tiefgründige Momente, weil der Protagonist auf diese Weise mit einer gehörigen Portion Tiefsinn ausgestattet wird. Die enge Zusammenarbeit des fulminanten Duos wird auch dadurch spürbar, dass der renommierte Autor Hültner sich erst von den Illustrationen Wiedemanns zu einer Neu-Interpretation seiner Kriminal-Geschichte inspirieren lies. Dementsprechend können wir allen Krimi-Freunden dieses atmosphärische Meisterwerk nur Wärmstens empfehlen. Genauso überführt man anspruchsvolle Literatur in ein Meer aus großformatigen Bildern. Als Leser möchte man regelrecht versinken in diesem Werk.
„Swinging London“ dreht derweil den Zeiger der Uhr auf das Jahr 1967 und setzt sich thematisch mit dem Selbstmord eines Rockstars (Jasper Brown) in einem schottischen Schloss auseinander. Seinem besten Kumpel (Guru Indranath Ray) kommt es etwas komisch vor, wie schnell die Polizeiermittlungen eingestellt werden. Also versucht er mit einer Fotoreporterin aus Jamaika auf eigene Faust Licht ins Dunkel zu bringen. Die beiden Protagonisten landen sehr schnell im Reich des Okkulten und sehen sich mit einem Geflecht aus Korruption und Satanismus konfrontiert. Stutzig bezüglich des Selbstmords wird Guru Indranath Ray vor allem deshalb, weil er vorher einen Film von seinem besten Kumpel erhält, welcher mit satanistischen Material bestückt ist. Neben dieser schwierigen Thematik setzt sich das Buch aber auch gekonnt damit auseinander, wie nach dem Tod eines Musikers immer wieder versucht wird, dessen Erbe auszuschlachten. Der Buchtitel umschreibt derweil die aufstrebende, junge Rockszene Anfang der 60er Jahre in London, welche Acts wie The Rolling Stones oder The Kinks ins Rampenlicht schleifte, gleichzeitig aber auch in Stil-Fragen den damaligen Zeitgeist widerspiegelte. Alles in allem äußerst gelungener Werk von Texter Thomas Bénet und Christian De Metter, welcher es schafft, den damaligen Zeitgeist gekonnt in schraffierte, brüchige, bisweilen spontan anmutenden Zeichensprache zu übersetzen.
Ich oute mich in der Zwischenzeit mal als großer Fan der HBO-Serie „True Blood“, die nach einigen Startschwierigkeiten mit der zweiten Staffel doch noch aus dem Buffy-Fahrwasser sprang, um sich in tiefgründigere Gefilde aufzumachen. Nun erscheint der passende Comic dazu und versucht sich daran, die Fernseh-Geschichte weiterzuspinnen. Sookie Steakhouse (allein schon dieser Name: genial!!!) und ihre Kumpels werden in diesem Zusammenhang von einer ollen Geistergestalt gekidnappt. Der Clou allerdings ist: es kommt nur lebend raus, wer auch bereit ist, sein Innerstes nach außen zu kehren. Soll heißen: hier wird das eine oder andere schicke Geheimnis gelüftet. Noch dazu gelingt es Zeichner David Messina und die beiden Texter David Tischman und Mariah Huehner ganz vortrefflich, die Leinwand-Charaktere ins Comic-Format zu überführen. Fans der Serie sollten deshalb auch keine großen Schwierigkeiten damit haben, sich schnell in den Comic-Kosmos von „True Blood“ einzufinden. Die Zeichnungen selbst erinnern derweil ein wenig an den Stil der Splatter-Persiflage „Hack/Slash“, zeichnen sich aber durch ein erhöhtes Maß an Detail-Dichte aus. Das alles macht Lust auf die weiteren fünf Bände, die in monatlichen Abständen allesamt noch in diesem Jahr erscheinen sollen. Wir halten euch diesbezüglich natürlich weiter auf dem Laufenden.
Und freuen uns, dass in der Zwischenzeit heimlich still und leise die Bände 2 und 3 des Manga-Klassikers „Angel Santuary“ in der Deluxe-Version erschienen sind. Die Geschichte um das himmlische Geschwisterpaar Alexiel und Rosiel, die sich wegen einer Liebschaft bis aufs Äußerste bekämpfen, geht in die nächste Runde. Gleich zu Beginn des zweiten Bandes wird in diesem Zusammenhang die Schlagzahl erhöht. Alexiel wurde für die Verbannung ihres Bruders von Gott höchstpersönlich in einen Kristall transformiert. Rosiel schlummert wiederum im Leibe von Setsuna Mudo, einem irdischen Jungspund, der zunächst gar nichts von seinem Glück mitkriegt. In diesem Zusammenhang kommt auch das Computergame ins Spiel, dem die Reihe ihren Namen verdankt. Nur durch dieses Spiel kann sich Rosiel wieder aus seiner menschlichen Hülle befreien. Drum herum entspinnt sich aber noch eine zweite Ebene. Womit wir dann auch schon mittendrin sind in der Geschichte. Setsunas heimliche Liebschaft Sara soll nämlich mit einem Mann verheiratet werden, der aber nicht so recht zu ihr passen möchte. Deshalb flieht sie vor ihrer Mutter, um sich ihren Gefühlen für Setsuna zu stellen. Setsuna wiederum ist zwar auch verliebt in Sara, muss aber gleichzeitig dagegen ankämpfen, dass Rosiel die Überhand über seinen Körper gewinnt, sonst würde er Sara wohl für immer verlieren. Für ausreichend Spannung ist also gesorgt. Die Zeichnungen des Engels-Comics orientieren sich in diesem Zusammenhang am klassischen Manga-Look, wobei es eher die tiefsinnige Geschichte ist, die beeindruckt. Man merkt den Büchern von Kaori Yuki an, dass sie einer ganzen Reihe von Nachahmern als Inspirationsquelle dienten. Deshalb unbedingt mal reinschnuppern. Es lohnt sich – nicht nur für Fans anspruchsvoller Manga-Unterhaltung. Und macht außerdem Lust auf die noch ausstehenden Fortsetzungen, welche schon bald erhältlich sein sollen.
Im vierten Band der Post-„Astro Boy“-Fabel „Pluto“ von Urasawa X Tezuka werden derweil weiter die Mächtigsten unter den Androiden um die Ecke gebracht. Wobei sich die Angriffe nicht mehr länger auf die Roboter selbst beschränken, sondern auch auf die verantwortlichen Ermittler, die für die Aufklärung der Fälle zuständig sind. Bemerkenswert ist vor allem die Fragestellung, ob es möglich ist, dass zwei „Lebensformen“ gleichberechtigt nebeneinander existieren. Wird sich in diesem Zusammenhang nicht immer die stärkere versuchen gegen die schwächere Gattung durchzusetzen? Pluto thematisiert das im Gegensatz zu „Astro Boy“ für ein erwachsen(es) (gewordenes) Publikum. Das Kindliche, das die „Astro Boy“-Reihe auszeichnete, bleibt hier über weite Strecken außen vor. Pluto punktet mit einer tiefgründigen Geschichte und Protagonisten, die allesamt gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die Serie dürfte demnach bald in einem Atemzug mit großartigen Reihen wie „Neon Genesis Evangelion“ und „Akira“ genannt werden, welche ja auch statt plumper Kampfchoreographien auf tiefsinnige Dialoge und philosophische Momente setzen. Womit wir dann auch schon wieder am Ende wären für heute. Lasst es euch gut gehen. Bis zum nächsten Strichcode.
UND WAS NUN?