Thomas Melle hat mit seinem aktuellen Roman einen weiteren Beitrag zum Thema „Orientierungslosigkeit“ verfasst. Die Schnelllebigkeit und Unübersichtlichkeit unseres Daseins ruft in „Sickster“ zwei junge Männer auf den Plan, die beide auf ihre Art und Weise mit dem eigenen Leben hadern. Der eine fristet ein Dasein als Manager zwischen Machos und Alphatierchen, der andere arbeitet für das Kundenmagazin eines Ölkonzerns. Beide hassen ihren Job auf ihre Art und Weise. Als sie sich nach vielen Jahren wieder treffen, werden die beiden ehemaligen Schulkameraden plötzlich wieder neugierig aufeinander, wobei die ganze Geschichte erst so richtig kompliziert wird, als sich der Eine in die Freundin des Anderen verliebt. Thomas Melle, der in Tübingen, Austin und Berlin Philosophie Schrägstrich Vergleichende Literaturwissenschaft studiert hat, versteht es ganz vorzüglich die Zügellosigkeit unsere Gesellschaft in Geschichten zu verpacken. Sein Roman macht deutlich, welche Überforderung die Existenz im Rahmen einer Konsumgesellschaft für zahlreiche Individuen darstellt. Viele wollen einfach nur ausbrechen aus dem Leben, wissen aber nicht wie sie das anstellen sollen. Dementsprechend fallen sie Stück für Stück aus der Rolle, krallen sich aber insgeheim auch weiterhin an alten Konventionen fest. Wenn sie sich dessen letztlich bewusst werden, suchen sie händeringend nach einer Alternative zum eigenen Selbst. Wo sie damit am Ende landen, versucht dieser Roman zu erforschen. Und so viel sei gesagt: durch seine melancholische Sprache und die gefühlvolle Zeichnung der einzelnen Charaktere, ist es einziger Genuss den 331 Seiten dieses Buches bis zum Ende zu folgen. Ob sie zu guter letzt einen festen Halt finden? Am Besten du findest es selbst heraus.
Mit ihrer Version einer digitalisierten Zukunft beglückt uns in diesen Tagen die studierte Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Miriam Meckel, die in Nordrhein-Westfalen bereits Erfahrungen als Regierungssprecherin sammeln konnte. In ihrem Werk „Next“ beschäftigt sie sich mit der Zukunft und wie sie zunehmend von Maschinen durchsetzt sein wird. Schon jetzt nutzen wir zum Beispiel die Möglichkeiten sozialer Netzwerke, um uns mit ähnlich tickenden Menschen überall auf der Welt zu vernetzen. Gerade erst hat sich ein großes Netzwerk dazu entschlossen, einen Zeitstrahl des Lebens auf seiner Plattform zu installieren und so nach und nach das komplette Leben des Nutzers abzubilden. Darüber hinaus nutzen wir jeden Tag Hompages von renommierten Internet-Händlern, welche uns passgenaue Produkte unterjubeln. Fast scheint es, als wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Mensch selbst im vollen Umfang berechenbar geworden ist. Ob es irgendwann wirklich möglich ist, die sozialen Motive und Handlungsweisen eines Menschen bereits im Vorhinein zu kennen? Hat man in Zukunft die Möglichkeit einen Blick in die Zukunft zu werfen und wenn ja: will man das auch? Es sind bisweilen philosophische Fragestellungen, die in diesem Buch aufgegriffen werden. Kein Wunder also, dass auf dem Rückumschlag des Werks gleich mal ein digitales „Netzwerks unser“ anstatt eines „Vater unser“ abgebildet wurde. Die Technik scheint sich zunehmend über uns selbst zu erheben. Wir alle müssen entscheiden, ob wir bereit sind, diesen Umstand tatenlos hinzunehmen oder ob wir dafür kämpfen möchten, am Ende weiterhin selbständige Entscheidungen treffen zu können. „Next“ leistet einen klugen Beitrag zum Thema Vernetzung und punktet darüber hinaus mit einer äußert differenzierten Darstellung unterschiedlicher Aspekte einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft. Stellt sich am Ende nur die Frage: wenn alles berechenbar ist… stellt das nicht unsere Vorstellung von Zukunft und Vergangenheit in Frage?
Wer sich darüber hinaus mit weiteren, grundlegenden philosophischen Fragestellungen auseinandersetzen möchte, kommt an den „Meditationen über die Erste Philosophie“ von René Descartes nicht vorbei. Der Autor beschäftigt sich in seinem Werk mit der Suche des Menschen nach Gott und dem Verbleib der menschlichen Seele, wenn der Körper das Zeitliche segnet. Im ersten Teil des Buches dreht sich alles um Sinnestäuschungen und es ist durchaus bemerkenswert, wie wir jeden Tag den unterschiedlichsten Illusionen aufsitzen, ohne auch nur das Geringste davon mitzukriegen. Dementsprechend nutzt Descartes seine Meditationen dazu, der Wahrheit auf den Grund zu gehen und sich so von äußeren Einflüssen zu befreien. Mit der Gewissheit im Rücken, von sich selbst behaupten zu können, er existiere, wird ihm klar, dass er nicht aus dem Nichts entstanden sein kann. Ebenfalls schlussfolgert er, dass es etwas geben muss, dass seinen Verstand übertrifft, weil etwas unvollkommenes, wie der Mensch, niemals die Vollkommenheit seines Schöpfers übertrumpfen kann. Diesen Schöpfer wiederum nennt er Gott. Wem es jetzt schon etwas zu kompliziert geworden ist, der sollte erstmal den Rest des Buches lesen, das im renommierten „Reclam“-Verlag in lateinischer und deutscher Sprache erhältlich ist. Es lohnt sich darüber hinaus auch den eben erschienen Kommentar „Descartes´ Meditationen“ von Gregor Betz hinzuzuziehen. In seinem Werk kommentierter er allerdings nicht Descartes „Meditationen über die Erste Philosophie“, sondern die sechs Meditationen seines Buches „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“, welche im „Felix Meiner“-Verlag erschienen sind. Er schafft es auf diese Weise, für zahlreiche Denkanstöße beim Leser zu sorgen. Beschäftigt sich mit den Grundlagen unseres Sein und wirft zahlreiche Fragen auf: Was bin ich für ein Wesen? Wie viel kann ich wissen? Welche Art von Gegenständen existiert auf der Welt? Wobei er die Möglichkeit nutzt, die Thesen von Descartes mit den Meinungen zeitgenössischer Vertreter der Philosophie zu kombinieren, was immer wieder neue Fragestellungen aufwirft. Über den Sinn des Lebens kann man sich eben endlos streiten. So lange zumindest, bis es einen einholt. Wer jetzt Lust bekommen hat, sich an des Rätsels Lösung heranzuwagen: Die beiden Bücher öffnen einem ein Tor zu einer faszinierenden Welt. Alle anderen seien bei dieser Gelegenheit auch noch auf den (inzwischen leider ausgelaufenen) Comic Strip „Renés Meditationen“ hingewiesen, der lange Zeit auf der Rätselseite der „Frankfurter Rundschau“ erschienen ist. Darin werden zahlreiche Thesen Descartes´ von Zeichner Thomas Wellmann auf humoristische Weise aufgegriffen. Weshalb letztlich nur zu hoffen bleibt, dass der Comic-Strip in Kürze auch noch als reguläres Werk erscheint.
Nachdem wir durch das aktuelle Buch von Tobias Hürter („Du bist, was du schläfst“ – unbedingt empfehlenswert, das wahrscheinlich beste Buch, das jemals zum Thema „träumen“ erschienen ist) auf den Geschmack gekommen sind, wollen wir die Gelegenheit nutzen, euch noch ein weiteres Sachbuch des studierten Philosophen vorzustellen. Das Werk „Die verrückte Welt der Paralleluniversen“, welches er zusammen mit dem „ZEIT Wissen“-Redakteur Max Rauner aus dem Ärmel schüttelte, hat zwar schon zwei Jahre auf dem Buckel, inhaltlich aber hat die Abhandlung über zahlreiche Doppelgänger unserer selbst, keineswegs an Relevanz verloren. In verständlicher Sprache wird der Leser mit der komplexen Theorie konfrontiert, es gäbe laut Aussage zahlreicher Wissenschaftler, einen ganzen Haufen nahezu identischer Exemplare von uns. In verständlicher Sprache gelingt es dem Duo ihre gewagten Thesen glaubwürdig darzulegen und in diesem Zusammenhang auch Themen wie Zeitreisen mit einzubinden. Man muss sich natürlich einlassen können auf dieses Werk, wird aber dafür mit zahlreichen Denkanstößen belohnt, die einen nächtelang wach halten. Am Ende stellt sich die Frage, ob wir nicht mal so langsam das bestehende Weltbild überdenken sollten. Wer dieses Buch gelesen hat, wird das Ganze jedenfalls nicht mehr als bloßes Hirngespinst einiger verquerer Wissenschaftler abtun. Am Besten aber du verschaffst dir selbst ein Bild. Wir sagen derweil erst mal tschüß für heute. Bis zur nächsten Leserunde.
UND WAS NUN?