// aufgelesen vol. 29 – „wir sollten uns lieber unter leute mischen…“

mit neuen Büchern von Christian Kracht, Roberto Saviano, Rob Sheffield, Helen Walsh & Berni Mayer. // Wenn der Name Christian Kracht fällt, werden als Allererstes schöne Erinnerungen an seinen Roman-Klassiker „Faserland“ wach. Nun legt er mit „Imperium“ ein weiteres, äußerst wagemutiges Werk vor, das die Geschichte eines Aussteigers erzählt. Man weiß bereits nach wenigen Sätzen, […]

mit neuen Büchern von Christian Kracht, Roberto Saviano, Rob Sheffield, Helen Walsh & Berni Mayer.

kracht// Wenn der Name Christian Kracht fällt, werden als Allererstes schöne Erinnerungen an seinen Roman-Klassiker „Faserland“ wach. Nun legt er mit „Imperium“ ein weiteres, äußerst wagemutiges Werk vor, das die Geschichte eines Aussteigers erzählt. Man weiß bereits nach wenigen Sätzen, ob man dieses Buch lieben oder hassen wird. Dennoch gelingt es Kracht dem Genre des „Abenteuerromans“ einige neue, interessante Facetten abzugewinnen. In seinem vierten Roman dreht sich alles um einen gewissen August Engelhardt. Selbiger macht sich auf in Richtung Südsee und landet auf einer kleinen Insel. Dort setzt der überzeugte Vegetarier seine eigene Vorstellung von einer besseren Welt Schritt für Schritt in die Tat um.

Er ernährt sich von Kokosnüssen und genießt die Sonne. Wobei Kracht es äußerst gelungen versteht, seine Leser immer wieder auf Distanz zum Protagonisten des Romans zu halten. Selbiger nämlich begegnet seiner direkten Umwelt ebenfalls aus der Position des Überlegenen (bisweilen Überheblichen) heraus. Das wiederum wird bei manchem Leser, welcher sich für zeitgenössische TV-Serien interessiert, vielleicht die eine oder andere Erinnerung an die Figur des „Sheldon Cooper“ aus der Serie „The Big Bang Theory“ wachrufen, der von seiner Nachbarin ebenfalls aufgrund seiner Eigenarten nur mit liebenswertem Kopfschütteln bedacht wird. August Engelhard aber ist sich ebenso sicher wie Sheldon als Mensch zu Größerem berufen zu sein: das wird unter anderem dann deutlich, wenn er sich seinem Traum von einer Kokosnuss-Plantage hingibt: „Engelhardt war, nachdem er durch einen Eliminierungsprozeß alle anderen Nahrungsmittel für unrein befunden hatte, unvermittelt auf die Frucht der Kokospalme gestoßen.“ Daraufhin folgt eine herzerwärmende, halbseitige Charakterisierung der Frucht, die letztlich zu folgender Erkenntnis führt: „…kurz, die Kokosnuß war vollkommen. Wer sich ausschließlich von ihr ernährte, würde gottgleich, würde unsterblich werden. August Engelhardts sehnlichster Wunsch, ja seine Bestimmung war es, eine Kolonie der Kokovoren zu erschaffen, als Prophet sah er sich und als Missionar zu gleich“. Ein diskussionswürdiges, alles in allem ziemlich verrücktes Werk über einem Menschen mit einem starken Hang zum Größenwahn.

saviano// Roberto Saviano, der Autor des Bestsellers „Gomorrah“, lebt seit Erscheinen seines ersten Buches mit Personenschutz. Nach seinem literarischen Rundumschlag muss er ständig um sein Leben fürchten. Nun ist mit „Die Schönheit und die Hölle“ ein weiteres Werk aus der Feder des Autors aus Neapel erschienen. In dem Buch sind zahlreiche Texte Savianos aus den Jahren 2004 bis 2009 versammelt. Diese drehen sich überraschenderweise nicht ausnahmslos um die Machenschaften und Strukturen von mafiösen Organisationen. Sie beschäftigen sich auch mit dem Fußballstar Lionel Messi oder den Schriftsteller Michel Petrucciani. Saviano rückt in seinem Sammelband das Schicksal des Einzelnen in den Mittelpunkt. Durch seine gewandte Sprache gelingt es ihm auf diese Weise den Werdegang der einzelnen Protagonisten bildlich zu vermitteln. Er stellt seinem Werk folgenden vielsagenden Satz voran: „Schreiben hat mir in diesen Jahren die Möglichkeit gegeben zu existieren“ und man glaubt es ihm sofort, wenn er hinzufügt: „Zu schreiben und auf meine Worte zu verzichten, hieß, mich nicht zu verlieren. Nicht aufzugeben. Nicht zu verzweifeln.“ Dementsprechend möchten wir alle Leser im Zuge der Veröffentlichung seines zweiten Romans noch mal auf dieses kleine aber feine Werk hinweisen: Anhand der zahlreichen Texte bekommt man einen guten Eindruck davon, welch immenses literarisches Talent in diesem Autor schlummert, dem es vor kurzem zumindest in New York gelungen ist, sind mal wieder frei zu bewegen.

sheffield// Der renommierte „Rolling Stone“-Kolumnist Rob Sheffield wagt sich in seinem aktuellen Buch „Mit Mädchen über Duran Duran reden“ an eine ganz große Herzensangelegenheit seiner selbst heran: der Schmöker dreht sich um des Autors Liebe zur Popmusik. In diesem Zusammenhang streift die Geschichte immer wieder das Leben selbst und versucht allen Lesern auf sympathische Weise zu verklickern, wie man „mit dem richtigen Song die richtige Frau findet“. Duran Duran müssen in diesem Zusammenhang als Prototyp des popkulturellen Zeitgeistes der 80er Jahre herhalten, aber… geschenkt! Bemerkenswert ist vielmehr, dass Sheffield in seinem Buch trotzdem nicht in die Klischeefalle tritt. „Mit Mädchen über Duran Duran Duran reden“ ist ein liebenswerter Schmöker mit einem sympathischen Protagonisten, dessen Liebe zur Musik jederzeit spürbar ist. Dementsprechend sind natürlich auch die einzelnen Kapitel mit Songs von David Bowie, The Smiths oder The Replacements betitelt, so dass man sich als Leser (falls erwünscht) passend zum Schmökern gleich noch den entsprechenden Soundtrack zu Gemüte führen darf. Soll heißen: Rob Sheffields aktueller Roman ist ein absolutes Muss für alle, die sich an zauberhaften Geschichten der Marke „High Fidelity“ ergötzen oder für Morrissey-Konzerte extra nach Manchester pilgern.

walsh// Die britische Autorin Helen Walsh veröffentlicht in diesen Tagen einen bemerkenswerten Roman über das Leben nach der Geburt des ersten Kindes. In „Ich will schlafen!“ dreht sich alles darum, wie es ist, zum ersten Mal Mutter zu werden. Wie der Titel bereits andeutet, kommt bei der „Romanheldin“ in diesem Zusammenhang leider keine allzu große Freude auf. Das liegt nicht unbedingt an ihrem Sohn. Rachel, so der Namen unserer frisch gebackenen Mama, benötigt nur dringend mehr Schlaf. Im Gegensatz zu vielen Ratgebern, die mal hinsichtlich des richtigen Umgangs mit dem eigenen Nachwuchs in den einschlägigen Buchläden findet, beschränkt sich Helen Walsh komplett auf die Situation Rachels. Die ist einerseits erfüllt von Liebe für ihr Kind, dreht aber andererseits vollkommen am Rad, weil sie schon eine gefühlte Ewigkeit kein Auge mehr zu getan hat. Das wiederum bringt die junge Mutter an den Rand des Wahnsinns. Sie scheint im wahrsten Sinne des Wortes durchzudrehen. Jeder der mal nach ein paar schlaflosen Nächsten versucht hat, auch nur halbwegs ungeschoren durch den Alltag zu kommen, wird ein Lied davon singen können, wie schwierig es ist, auch nur die einfachsten Tätigkeiten zu verrichten. Im Fall Rachel allerdings beginnen sich plötzlich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion aufzulösen. „Ich will schlafen!“ beschreibt, wie sie mit diesem Umstand umgeht. Das Buch erzählt von der endlosen Liebe Rachels zu ihrem Kind. Von ihrer Hingabe und dem Kraftakt, den sie auf sich nehmen muss, um die ganze Situation zu bewältigen. Dass sie in diesem Zusammenhang vielen jungen Müttern aus dem Herzen spricht, zeigen die zahllosen Zuschriften, die sie von Selbigen erhalten hat, nachdem ihr Roman in Großbritannien veröffentlicht wurde. Wer mehr wissen möchte, sollte unbedingt mal reinlesen. Mutter, Vater oder kinderlos… dieses Buch berührt. Auf Welche Art und Weise muss jeder selbst für sich entscheiden.

mayer// Wenn Musikjournalisten plötzlich ihren Job verlieren und sich anschließend als Privatdetektive in Szene setzen, ist das eine überaus interessante Ausgangsposition für einen Roman. Berni Mayers aktuelles Buch „Mandel´s Büro“ spinnt diesen amüsanten Ansatz weiter und sorgt damit für zahlreiche Lachkrämpfe beim Leser. Im Rahmen ihres ersten Falles versuchen die beiden „staatlich geprüften Detektive“ Max Mandel und Sigi Singer einen ehemaligen Punkrocker namens Leo zu beschatten. Seine Noch-Ehefrau und Schauspielerin Veronika hat die Vermutung, dass er fremdgeht. Blöderweise wird Leo im Laufe der Ermittlungen ermordet und die beiden Detektive finden sich plötzlich in einem Dickicht aus Intrigen und Lügen wieder. Was die Plattenindustrie mit der ganzen Geschichte zu tun hat? Am besten du findest es selbst heraus. Dem Autor gelingt es seine bisherigen Erfahrung als Chefredakteur für MTV und Produzent der Internet-Reihe „Kavka vs. The Web“ gekonnt in eine verrückte Geschichte zu überführen. In diesem Zusammenhang dürften nicht nur Fans von John Nivens Musikgeschäft-Abrechnung „Kill Your Friends“ auf ihre Kosten kommen, auch Krimi-Freunde dürften sich blendend unterhalten fühlen. „Mandel´s Büro“ ist alles in allem ein äußerst kurzweiliger Spaß, dem hoffentlich schon bald eine ebenso gelungene Fortsetzung folgt. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal.