// aufgelesen vol. 77 – „die banalität der architektur“

mit Büchern von Anne Waak & Max Dax, Colin MacInnes, Jenny Lawson, Pablo Tusset und David Rees. // Es freut uns immer wieder, wenn renommierte Zeitschriften ihre besten Beiträge in Form eines schicken Buches veröffentlichen. Nach etwas mehr als drei Jahrzehnten hat sich nun auch die Musik-Zeitschrift „Spex“ dazu entschieden, einen Rundumschlag ihres bisherigen Schaffens […]

mit Büchern von Anne Waak & Max Dax, Colin MacInnes, Jenny Lawson, Pablo Tusset und David Rees.

spex// Es freut uns immer wieder, wenn renommierte Zeitschriften ihre besten Beiträge in Form eines schicken Buches veröffentlichen. Nach etwas mehr als drei Jahrzehnten hat sich nun auch die Musik-Zeitschrift „Spex“ dazu entschieden, einen Rundumschlag ihres bisherigen Schaffens zwischen zwei stabile Pappdeckel zu pressen. In „Spex – Das Buch“ finden sich „33 1/3 Jahre Pop“ – bestehend aus 73 Texten, die es am Ende in den schlicht gestalteten Wälzer geschafft haben und allesamt zwischen 1980 und 2012 erschienen sind.

Die beiden Herausgeber Anne Waak und Max Dax haben keinerlei Kosten und Mühen gescheut und im Rahmen ihrer Recherche zahllose (zeitlose) Texte von Jens Balzer bis Diedrich Diederichsen, Uwe Viehmann, Hans Nieswandt, Sandra und Kerstin Grether, Tobias Rapp, Dietmar Dath und Jutta Koether von ihrer Staubschicht zu befreien und noch einmal im neuen Licht erscheinen zu lassen. In jedem Jahr bekommt man passend dazu die jeweiligen Albumcharts präsentiert, genauso wie eine einzigartige Magazin-Galerie, welche alle bis dato veröffentlichen Covermotive in sich vereint. Wenn du jetzt auch neugierig darauf bist, was Peter Bömmels 1980 zum Thema Joy Division zu sagen hatte oder dich differenziert mit den Themen „Northern Soul“ oder „Indie“-Musik auseinander setzen möchtest, bis du bei der „Spex“ an der richtigen Adresse. Zahlreiche Specials zu den Beastie Boys, My Bloody Valentine, Oasis, Blumfeld oder Arcade Fire gibt’s natürlich inklusive. Also zuschlagen bitte. Es lohnt sich.

absolute-beginners// Wer eine Zeitreise ins London der 50er Jahre absolvieren möchte, der sollte mal in den Klassiker „Absolute Beginners“ von Colin MacInnes hinein schauen. Mit dem zweiten Teil seiner „London“-Trilogie (die Bände „City Of Spades“ und Mr. Love And Justice“ sind hierzulande leider nur als Import zu bekommen) hat der Londoner den ultimativen Roman zur Mod-Kultur veröffentlicht und der liegt nun endlich als Neu-Übersetzung im „Metrolit“-Verlag vor. In dem Buch dreht sich alles um einen namenlosen Protagonisten, der im London der 50er aufwächst. Er verbringt seine Abende in den Jazz-Kneipen von Soho bis Notting Hill und zählt zu den so genannten „Youngsters“. Passend dazu rauschen die Hauptperson und seine Kumpels mit Motorrollern durch die Stadt und legen sich mit den rivalisierenden Teds an. Darüber hinaus spielt in „Absolute Beginners“ aber vor allem die Musik eine große Rolle. Die Figuren achten pingelig darauf sich vom gesellschaftlichen Mainstream abzugrenzen und das sowohl in musikalischer, als auch in stilistischer Hinsicht auszudrücken. Im Laufe des Romans kommt es dann allerdings zu rassistischen Unruhen (den so genannten „Noting Hill Riots“), die zu einer ganzen Reihe von Festnahmen führen. Dem Autor gelingt es in diesem Zusammenhang nicht nur sehr gut, ein glaubwürdiges Bild der damaligen Generation zu zeichnen, sondern das Ganze auch in zeitgeschichtlicher Hinsicht zu thematisieren. Wer sich also etwas intensiver mit der Geschichte der „Mod“-Kultur auseinander setzen möchte, kommt an diesem Standard-Werk nicht vorbei.

jenny-lawson// Wenn schon Jenny Lawsons Friseur empfiehlt, dass wir mal in das Werk der Schriftstellerin reinschauen sollen, dann wollen wir das natürlich gerne tun. Der werte Herr mit der Schere hört schließlich auf den Namen Jesus und deshalb wohnt seiner Aussage „Grandios abgefuckt und anbetungswürdig verrucht“ schon der Geschichte wegen etwas leicht Prophetisches inne. Im Grunde genommen macht sich die Autorin in „Das ist nicht wahr, oder?“ daran, die Grenzen zwischen dem Privatleben und der öffentlichen Wahrnehmung vollkommen zu verwischen. Sie spricht einfach mal aus, was sie denkt und eckt dabei in vielerlei Hinsicht ganz ordentlich an. Parallel dazu ist die Autorin allerdings auch ein sehr liebenswerter Mensch, was wiederum dazu führt, dass man sich als Leser selbst immer wieder dabei ertappt, die Spiegelschrift seines eigenen Daseins in der einen oder anderen Situation wieder zu entdecken. Viel wichtiger aber ist: man schmeißt sich bisweilen immer wieder Weg vor Lachen, wenn die Autorin aus dem Nähkästchen plaudert und uns ihre verdrehten Geschichten präsentiert. So erzählt sie von Einkauftouren ihres Mannes, bei denen der sich mal eben Bundesstaat-technisch verfährt, weil er die falsche Abzweigung genommen hat oder von Stanley, dem sprechenden Eichhörnchen. Jenny Lawson versteht es dabei sehr gut, der eigenen Selbst-Entblößung mit einer Portion ironischen Charme zu kontrastieren, was jede noch so verrückte Episode zu einer äußerst humorvollen Angelegenheit macht.

tusset// In fiktionalen Gefilden wildert der aktuelle Roman des spanischen Autors Pablo Tusset. In „Oxford 7“ erzählt er uns von einer futuristischen Gesellschaft, die sich mit dem altbekannten Problem der totalen Überwachung auseinander setzt. Die drei Protagonisten Mam´zelle BB und Marcuse haben keine Lust mehr auf der extraterrestrischen Universität „Oxford 7“ zu studieren und treten die Flucht in Richtung Erde an. Dadurch möchten sie auch den stetigen Kontrollen entkommen, denen sie sich von Seiten zahlreicher Großunternehmen ausgeliefert sehen. Zusammen mit dem Haudegen Rick machen sie sich schließlich mit einem Shuttle auf in Richtung alte Heimat und haben nur ein Ziel vor Augen: sie wollen nach Barcelona und dadurch den Fängen der Marken-dominierten Gesellschaft entkommen. Ob ihnen das ambitionierte Unterfangen gelingt? Und was Franz von Assisi mit der ganzen Geschichte zu tun hat? Am besten du findest es selbst heraus. Pablo Tusset gelingt mit seinem Roman ein herrlich-absurdes Werk über die Folgen eines totalitären Systems. Und so darf man seinen Roman auch als Mahnung für unsere heutige Gesellschaft verstehen.

rees// Sich 220 Seiten lang mit dem Spitzen eines Bleistifts auseinander zu setzen, klingt erst einmal nach einer äußerst öden Angelegenheit. Der Schriftsteller David Rees aber versteht es sehr gekonnt, sich in dieses wagemutige Unterfangen zu stürzen. So sieht man sich als Leser nicht nur mit den zahllosen Möglichkeiten des Spitzens konfrontiert, welche vom Taschenmesser über den Kurbelspitzer bis hin zur persönlichen Willenskraft reichen, der Autor bringt einen auch mit seinen wahnwitzigen Erläuterungen immer wieder ins Schmunzeln. Mit zahlreichen Fotostrecken wird darüber hinaus dafür gesorgt, dass in der Praxis auch jeder noch so absurde Versuch fachgerecht von einem Bleistift-Laien umgesetzt werden kann. Am Ende des Buches ist man als Leser einfach nur paff. Wie macht der Kerl das nur? So ein verrücktes Thema auf solch epische Weise vor einem auszubreiten, ohne dass dabei auch nur eine Sekunde lang Langeweile aufzukommen droht. Wir empfehlen euch deshalb: „spitzt“ am besten selbst mal rein. Es lohnt sich. Und damit Schluss für heute. Bis zur nächsten Leserunde.