// aufgelesen vol. 99 – „1968“

mit neuen Büchern von Terézia Mora, Ella Berthold & Susan Elderkin mit Traudl Bünger, William Shaw, Sina Trinkwalder, Mario Doulis und Peter Ott. // Ganz oben auf dem Thron saß in den vergangenen Wochen der aktuelle Roman von Terézia Mora. „Das Ungeheuer“ ist im wahrsten Sinne des Wortes ein beängstigendes Buch. Immer wieder huscht einem […]

mit neuen Büchern von Terézia Mora, Ella Berthold & Susan Elderkin mit Traudl Bünger, William Shaw, Sina Trinkwalder, Mario Doulis und Peter Ott.

mora// Ganz oben auf dem Thron saß in den vergangenen Wochen der aktuelle Roman von Terézia Mora. „Das Ungeheuer“ ist im wahrsten Sinne des Wortes ein beängstigendes Buch. Immer wieder huscht einem ein sanfter Schauer über den Rücken, wenn das Auge über die Zeilen der Autorin schweift. Das liegt nicht nur an der grandiosen Geschichte, sondern auch an dem Spalt, der sich in der Mitte des Buches auftut. Die Geschehnisse in „Das Ungeheuer“ sind nämlich zweigeteilt und so folgen wir unserem Protagonisten auf seiner Reise in Richtung Urlaub, während er gleichzeitig in dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau liest. Selbige hat sich das Leben genommen und seitdem versteht Darius Knopp (so der Name der Hauptfigur) die Welt nicht mehr.

Während er in Richtung Ungarn aufbricht, wo seine Frau aufgewachsen ist, widmet er sich den geheimsten Gedanken und Wünschen seiner Verflossenen, die sich allesamt unterm Strich widerfinden und so den Lesefluss kontinuierlich stören. Als Leser muss man sich immer wieder entscheiden: weiter der Geschichte folgen oder doch die quälenden Geister der Vergangenheit bemühen? Wer sich auf „Das Ungeheuer“ einlässt wird mit einem bemerkenswerten Stück Literatur belohnt. Weshalb die Auszeichnung als Gewinner des „Deutschen Buchpreis 2013“ auch vollkommen in Ordnung geht.

romantherapie// Bücher, die sich um Bücher drehen, sind meistens eine staubtrockene Angelegenheit. Nicht so das aktuelle Werk von Ella Berthold & Susan Elderkin. Zusammen mit Traudl Bünger haben sie sich hingesetzt und in ihrem Roman mit dem treffsicheren Titel „Die Romantherapie“ die wichtigsten Bücher für die unterschiedlichsten Lebenssituationen zusammengestellt. Unter dem Motto „253 Bücher für eine besseres Leben“ machen sie sich daran, die literarischen Errungenschaften von Tolstoi bis Fallada unter den Aspekten von einer nahenden Depression, Zahnschmerzen oder auf Ehebruch zu durchleuchten und den therapeutischen Nutzen des jeweiligen Schmökers aufzuzeigen. Wenn du also unglücklich verliebt bist, von Heimweh geplagt wirst oder vor lauter Stress kein Land mehr siehst, dann nimm dir ein paar Minuten Zeit und schmöker in diesem Almanach. „Die Romantherapie“ ist nicht nur liebevoll gestaltet, sondern auch äußerst hilfreich – und das bei so ziemlich jedem Problem, das man sich auf dieser Welt nur vorstellen kann. Außerdem bekommt man ganz nebenbei auch noch eine Menge Literatur-Klassiker empfohlen, die man unbedingt gelesen haben sollte.

shaw// In dem Kriminalroman „Abbey Road Murder Song“ werden wir in das London des Jahres 1968 transferiert. Autor William Shaw, seines Zeichens langjähriger Redakteur des Punkmagazins „ZigZag“ und Journalist für so renommierte Blätter wie den „Observer“ oder die „New York Times“ macht sich in seinem Polizeithriller daran, den Mord an einer jungen Frau aufzugreifen. Selbige wird nahe der berühmten Abbey Road Studios tot aufgefunden und es gibt zu Beginn noch keinerlei Hinweise darauf, warum sie das Zeitliche segnete. Weil zu jener Zeit gerade der Hype um die Beatles seinen Höhepunkt erreicht und das Mädchen ebenfalls zu den Anhängern zählte, ermitteln Detective Breen und seine Kollegin Tozer schon bald auch in Szenekreisen und sehen sich mit der Fratze des ach so farbenfrohen „Swinging London“ konfrontiert. Der Autor streut in diesem Zusammenhang nicht nur zahlreiche Seitenhiebe auf den Zeitgeist der 60er ein, sondern versteht es auch sehr gekonnt, die Geschichte bis zum Finale spannend zu halten, weshalb wir „Abbey Road Murder Songs“ auch allen Nicht-Beatles-Anhängern (gibt’s die überhaupt?) ganz innig ans Herz legen möchten.

trinkwalder// Nach abgebrochenem BWL-Studium und einer Dekade in der Werbebranche eine Textilproduktion ins Leben zu rufen – in Deutschland, zu sozialverträglichen Bedingungen und mit biozertifizierten Stoffen? Unmöglich?!? Nein… Sina Trinkwalder, Jahrgang 1978, hat es geschafft. Die unbequeme aber leidenschaftliche Unternehmerin hat trotz vielen Unkenrufen im April 2010 ihre Textilproduktion in Augsburg begonnen. Dabei handelt es sich bei ihr nicht um einen Gutmenschen, die ihr Geld sinnvoll ausgeben möchte. Auch sie ist an Gewinnmaximierung interessiert, jedoch nicht auf Kosten ihrer Mitarbeiter oder der Umwelt. Vielen ist der Name Sina Trinkwalder schon durch ihre Aktivitäten in Sozialen Medien, u. a. bei Twitter, ein Begriff – manche haben sie auch schon in diversen Talkshows (Erwin Pelzig, Anne Will oder Günter Jauch) live erleben können. In ihrem Buch „Wunder muss man selber machen“ zeigt die Autorin den steinigen Weg der Näherei „Manomama“ auf. Es liest sich fast wie einen Abenteuerroman und hat doch etwas Märchenhaftes. Hier gibt es also ein starkes Fräulein, das gegen alle Widrigkeiten ein Unternehmen aufbaut um soziale Standards tatsächlich umzusetzen und nicht nur davon zu reden. Es gilt das richtige Personal zu finden und auch die Produktionshalle ist immer wieder ein Thema, das es neu zu überdenken gibt und natürlich ist die Beschaffung der Nähmaterialen, der (Näh)maschinenpark, die Bio-Stoffe und die Kurzwaren, auch keine Kleinigkeit. Dabei fällt Frau Trinkwalder durch alle Raster. Ihre Geschäftsidee ist für Banken nicht plausibel, deshalb kann sie keinen Kredit hoffen, sondern muss die Altersversorgung von sich und ihren Mann hernehmen, um ihren Traum in die Tat umzusetzen. Obgleich sie ausschließlich Menschen einstellt, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, wie z. B. Langzeitarbeitslose, Näher oder Immigranten, kann sie keine Förderungen beantragen oder Spendenquittungen ausstellen. Und das obwohl sie 2011 die Preise „Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit“ vom Rat für Nachhaltige Entwicklung, den „Bürgerkulturpreis“ des Bayerischen Landtags  und den „Deutschen Nachhaltigkeitspreis“ verliehen bekam. In ihrem Buch werden persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen immer wieder von kurzen Exkursen und Analysen zum Thema Wirtschaft abgelöst und es macht verdammt viel Spaß ihren Aufzeichnungen zu folgen. (verfasst von K. Reschke)

remediate// Mit den Folgen der Digitalisierung setzt sich auch das aktuelle Werk „Remediate“ von Mario Doulis und Herausgeber Peter Ott auseinander. Unter dem Motto „An den Rändern von Film Netz und Archiv“ setzen sie sich differenziert mit dem Übergang von Film und Video in Richtung Computer auseinander. Dadurch ändert sich nicht nur unser gesamtes Rezeptionsverhalten, das Ganze wirft auch grundlegende Fragen auf. Warum noch fürs Kino produzieren, wenn die Meisten sowieso nur noch via DVD oder Web konsumieren? Wird der Übergang vom Film zum Computerspiel (und umgekehrt) in Zukunft immer fließender? Welche Rolle nehmen so genannte „Machinimas“ in diesem Zusammenhang ein (das heißt: Filme, welche in Computerspielen gedreht werden) Neben Professor Mario Doulis und Filmemacher Prof. Peter Ott kommen in diesem Zusammenhang auch die Kuratorin Isabelle Arvers, der „Digitalkultur“-Projektleiter Michael Vust und der Software-Entwickler Daniel Kurfess neben vielen Weiteren zu Wort. Sie alle liefern gewohnt informative Beiträge, die mit zahlreichen Querverweisen auf gegenwärtige Entwicklungen im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung versehen sind. In diesem Zusammenhang wird nicht nur über eine neue Rolle des Faktors „Öffentlichkeit“ im hier und jetzt diskutiert, sondern auch in Richtung Zukunft geblickt. Wenn du also heute schon wissen möchtest worüber morgen alles sprechen werden, dann schnupper mal rein. Es lohnt sich. Und zwar nicht nur für Fachleute. Und damit Schluss für heute. Bis zur nächsten Leserunde.