// zuckerbeat volume 36

Zuckerbeat Vol. 36 Manchmal überfällt einen die Musik ganz hinterrücks. Die Gitarren kreischen, die verzerrte Stimme sägt an den Nerven und doch fühlt man sich sofort bezaubert von der Wucht der Emotionen, die da auf einen herabregnen. Threatmantics aus Neath Valley in Wales haben ein solches Album raus gehauen. Besser gesagt eine Mini-LP. Und sie […]

Zuckerbeat Vol. 36threatmantics.jpg

Manchmal überfällt einen die Musik ganz hinterrücks. Die Gitarren kreischen, die verzerrte Stimme sägt an den Nerven und doch fühlt man sich sofort bezaubert von der Wucht der Emotionen, die da auf einen herabregnen. Threatmantics aus Neath Valley in Wales haben ein solches Album raus gehauen. Besser gesagt eine Mini-LP. Und sie sie hört auf den schönen Namen „Upbeat Love“. Sie klingt wie eine hymnisch verspielte Hommage an Joy Division. Und sie boxt die üblichen Verdächtigen, wie die Editors und She Wants Revenge mal eben mit links in die Ringecke. Nicht, dass eben genannte Bands wirklich schlecht wären, ganz im Gegenteil – aber dieses Teil hier. Da flennst du keine Tränen mehr, da spuckst du Blut. Vor allem, wenn sie dich, gerade als du es dir gemütlich gemacht hast, mit einem The Streets-mäßigem Knallbonbon namens „Don´t Care“ wieder bei der Hand nimmt und auf den Boden der Tatsachen zurück zerrt. Herrlich ist das, wie sich hier scheinbar unüberbrückbare Widersprüche in ebenso simplen, wie reduzierten, aber dennoch detaillierten Songs auflösen. Wie sich astreine Pophits plötzlich in noisiges Terrain verabschieden. Wie sie mit einem Folklore-Sidekick zum gelungenen Spagat zwischen den Stilen ansetzen. Wie sie hinterher keinen Stein auf den anderen lassen. Und innerhalb von nur acht Songs ein paar fette Spuren in der Poplandschaft hinterlassen. Wie gebannt sitzt man am Ende vor seiner Anlage. Atmet dreimal tief durch. Und drückt ganz zwangsläufig wieder auf die Rotationstaste. Dreht sich zum fantastisch schrägen Gesang von „Little Bird“ im Kreis, nur um für einen Moment in bester Metal-Manier seinen Kopf im Takt zu wippen. Dieses Album erzeugt eine Erwartungshaltung, der sich die Band im Laufe ihrer Karriere stellen muss. Und man wird abwarten müssen, ob sie dem gewachsen sind. So lange bleiben diese Songs ein Versprechen. Aber ein durchweg Wunderbares. Nach so viel Verzückung hat dann der lieb gewonnene nik-freitas.jpgNik Freitas keinen leichten Stand. Der Musiker, der Conor Oberst auf dessen letzten Tour unterstützt hat und dabei auch selbst ans Mikro treten durfte. Er hinterlässt auf seinem Soloalbum „Sun Down“ einen seltsam blümchenhaften Eindruck. Die Stücke sind zweifelsohne gesegnet mit Trampolin-springenden Melodien, driften aber auch gerne mal in eine Palmenstrandatmosphäre der Marke Jack Johnson ab. Da bleibt dann ganz zwangsläufig ein wenig der Herzschmerz auf der Strecke. Immer wieder wünscht man sich, der Sänger würde einmal seinen Emotionen freien Lauf lassen. Stattdessen überlässt er der alten Dame Pop den Vortritt. Dabei kann man keineswegs sagen, dass seine Songs besonders einseitig oder noch schlimmer: langweilig wären. In dieser Hinsicht hat er Jack Johnson einiges voraus. Nein – es ist vielmehr das Gefühl, dass da noch so viel mehr gehen könnte. Das sich da jemand in letzter Konsequenz seiner wahren Gefühle eben doch verweigert. Dass er sich lieber ein paar Blümchen ins Haar steckt, anstatt sich durch den Schlamm zu wühlen. Dass er lieber einen guten Witz reißen möchte, als sich ernsthaft mit seinen Dämonen auseinander zu setzen. Das ist es, was dieses Album leider von den zeitweise großartigen Veröffentlichungen seines Kumpels Conor Oberst unterscheidet. Auch wenn die Songs natürlich trotzdem Spaß machen, tröpfelt hier doch einiges an der Oberfläche, das sich eigentlichsly-robbie.jpg wie ein einziger Schwall über einen ergießen sollte. Womit wir uns mal wieder einer verdienten Entspannungs-Kapelle namens Sly & Robbie zuwenden. Die haben zusammen mit dem Soulmusiker Amp Fiddler von Funkadelic ein nostalgisch angehauchtes Soul-Pop-Album ausgetüftelt. Und je länger die Platte so vor sich hin läuft, desto öfter stellt man sich die Frage, ob es sich da jemand nicht allzu einfach macht. Zugegeben. Von einer Kooperation namens Amp Fiddler / Sly & Robbie. Da erwartet man nicht unbedingt, dass sie das Rad der Musik um zehn Jahre nach vorne drehen. Aber was auf „Inspiration Information“ so beiläufig an Songs raus gehauen wird, das wirkt manchmal ein bisschen, als würde sich da jemand auf seinen Lorbeeren ausruhen. Mehr „Information“ als „Inspiration“ ist das. Weshalb der Titel durchaus Programm ist. Ich muss bei der Platte ständig an das letzte Werk von Michael Jackson denken. Wie hieß das noch gleich…? Eben… und so hätte man sich von dieser Fusion dreier brillanter Künstler am Ende doch etwas mehr Mut zum Risikomanagement gewünscht. Was jetzt nicht heißen soll, dass die Scheibe ein Reinfall wäre. Für Fans des beseelten Genres ist sie durchaus zu empfehlen. Bei allen anderen läuft sie eben so durch ohne groß Aufsehen zu erregen. Dann vielleicht doch lieber auf einen Sprung beim John Dear Mowing Club john-dear-mowing-club.jpgvorbei geschaut. Wobei auf dem holländischen Hinterhof auch allerhand nostalgische Klänge aufgewärmt werden. Die Songs balancieren mal mehr, mal weniger gekonnt zwischen den Polen Tom Waits, Bob Dylan und Wilco. Erreichen dabei aber nur selten die Strahlkraft der Originale. Entrückte Folk Minimalismen treffen auf pathetische Americana. Was zwischendurch immer wieder die Frage aufwirft, warum sich Mastermind Melle de Boer nicht auf erstere beschränkt. Der Song „Right Here“ zum Beispiel klingt wie ein melancholisches Überbleibsel aus dem alten Bright Eyes- Universum. Und strahlt weitaus heller, als gelegentliche Versuche, sich mit den Großen zu messen. Alles in allem also leider nicht der große Wurf, dieses Album. Ganz im Gegensatz zur neuen Scheibe von The Audience. Die spielen nicht nur am 31.01. nächsten Jahres ein schickes Konzert im Jugendkulturhaus Cairo in Würzburg. Die haben nach dem über weite Strecken gelungenem Vorgänger jetzt auch ein neues Album am Start.the-audience.jpg „Dancers And Architects“ wirkt dabei mehr denn je, als wolle die Crew dem Sound von The Robocop Kraus eine fette Spritze poppiger Glückseeligkeit injizieren. In bester, beat betonter Post Punk-Attitüde stampfen sie durch hymnische Tracks, wie „Picture´s Motion“ und „Kill The Octaves“ und stoßen damit eine Tür in Richtung Wohlbefinden auf. Die manchmal etwas schlaffe Produktion des Vorläufers wurde kurzerhand ad acta gelegt. Stattdessen wird einmal drüber poliert und schon ist ein Stück, wie „The Shy Runner“ gar nicht mehr so weit entfernt von Franz Ferdinand (Strophe) und Maximo Park (Refrain). Überhaupt. Je länger die Scheibe läuft umso mehr verliert man sich in diesen tanzbaren, architektonischen Sounds. Man bekommt vielleicht sogar einen Eindruck davon, wo The Robocop Kraus auf ihrem letzten Album hätten landen können, wenn sie sich nicht in Richtung verschwurbelte Psychedelik verabschiedet hätten. Am Ende sind The Audience also definitiv die bessere Alternative für den Ritt unter der Discokugel, als der britische Einheitsbrei a la Harrisons und Konsorten, der in diesem Jahr in den Clubs angespült wurde. Womit wir uns dann mal wieder unseren nostalgischen Gefühlen hingeben. Gott. Was habe ich No Fun At All damals für ihreno-fun-at-all.jpg Songs gefeiert. Und, dass sie jetzt kurzerhand wieder auferstanden sind, mag sicherlich nicht dem Auflauf der Halloween-Zombies in hiesigen Weiten geschuldet sein. Nein, blutleere und kajalgeschängerte Konsens-Mucke muss draußen bleiben. Stattdessen regieren auf „Low Rider“ Singalongs der Marke Bad Religion und jede Menge Punk Rock-Spirit vergangener Tage. Jeder der irgendwann mal ein Herz für die üblichen Verdächtigen Marke No Use For A Name, Millencolin, Descendents, Pennywise oder Rise Against hatte, kann in den 33 Minuten, in denen die Scheibe läuft, gar nicht anders, als einen Kniefall vor dieser Combo hinzulegen. All diejenigen, die zudem Angst hatten, die Band würde mit zunehmenden Alter auch die Geschwindigkeit drosseln (was der Titel ja durchaus nahe legt), hängen schon nach wenigen Sekunden zu den melodieverliebten Hymnen in den Seilen. Das sind immer noch die gleichen No Fun At All, die man damals ins Herz geschlossen hatte. Also rauf aufs Bike, Sturzhelm in die Tonne kloppen, stattdessen Kopfhörer drüber und mit Vollgas einen atemlosen Ritt durch die Prärie hinlegen. Absteigen gilt nicht. Und wenn du doch mal auf die Fresse fliegst: Diese Scheibe wird dich schon wieder auf die Beine zerren. Versprochen. Womit wir uns auch schon dem Ende nähern. Aber nicht ohne vorher noch mal in das neue Mixtape aus dem Hause The Rapture reinzuhören. „Tapes“ ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Bietet es nicht nur eine unfassbare Stilvielfalt hinsichtlich der Songauswahl. Unter anderem sind Ghostface Killah, Armand Van Helden, Alter Ego, Richie Havens, the-rapture.jpgDances With White Girls, Paul Johnson und Cajmere am Start. Es macht auch spürbar, wo die Band ihre Inspiration für ihre Musik raus zieht. Sei es „Bounce, Rock, Skate, Roll“ (Vaughan Mason & Crew) – einem der größten Hits des discotauglichen Raps. Oder die Duo Donk Boys, die ein sagenhaftes Mash Up raus hauen. All diese Einflüsse klingen auch bei den Stücken von den Rapture durch. Zudem beschränkt sich die Scheibe nicht auf große Namen. Europäische Underground Acts stehen in einer Reihe mit den großen der Szene – wie zum Beispiel Thomas Bangaltar von Daft Punk, der hier den Track „Club Soda“ beisteuert. Die Songs erinnern zudem an das famose Dj-Kicks-Mix von der allseits beliebten Annie. Die scherte sich damals auch nur geringfügig um Stilgrenzen, geschweige denn hauchfeine Übergänge. Hier wird auch mal gekonnt ein Break rein gehauen, wenn’s sein muss. Und so fühlt man sich fast ein bisschen, als hätte einem ein guter Kumpel ein Tape kompiliert. Dass dabei nicht immer alles glatt läuft – umso besser. Das macht das Ganze nur umso unmittelbarer. Und sorgt für Abwechslung in der überlaufenen und oft allzu gleichförmigen Mixtape-Welt. Also freut euch auf diesen Leckerbissen kompilierter Musikgeschichte. Und schaltet wieder ein… wenn der Zuckerbeat seine Tore öffnet.

// von: alexander nickel-hopfengart