mit aktuellen Büchern von Rafik Schami, Benedict Wells und Sascha Lobo.
// Es soll ja tatsächlich Menschen geben, die Rafik Schami noch nicht kennen. Dabei kann der Autor auf eine außergewöhnliche Biografie verweisen: er wurde 1946 in Damaskus geboren, 1970 ist er von Syrien nach Deutschland geflüchtet und hat 1979 sein Chemiestudium mit Promotion abgeschlossen. Nach kurzer Zeit in diesem Beruf hat er sich entschieden lieber als deutschsprachiger Schriftsteller tätig zu werden. Also hat er angefangen sämtliche deutschen Klassiker handschriftlich abzuschreiben, mit dem Ziel, exzellent in der „Literatursprache Deutsch“ texten zu können. Dass er damit goldrichtig lag, zeigen seinen zahlreichen Auszeichnungen und die begeisterten Leser und Zuhörer. Bei seinen Lesungen kommt es immer wieder vor, dass Herr Schami nicht aus seinen Werken vorliest, sondern Geschichten aus dem Stehgreif erzählt – wie man sich das, dem Klischee entsprechend, von einem orientalischen Geschichtenerzähler eben so vorstellt. In seinem aktuellen Kurzgeschichtenband „Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat“ befasst sich Schami mit eigenartigen Begebenheiten, welche zahlreichen Migranten in Deutschland so wieder fahren könnten. Er erzählt darüber hinaus von Deutschen, welche unbefangen aber bisweilen auch etwas unbeholfen auf die Kultur der Einwanderer treffen. Er berichtet von Missverständnissen zwischen den Kulturen, erzählt aber auch moderne Geschichten aus „1001 Nacht“ oder fantastische Storys über, z.B. die Freundschaft zu einer Fliege. Sein neues Buch ist demnach der perfekte Lesestoff für Schami-Neueinsteiger. (verfasst von K. Reschke)
// Benedict Wells war ein literarischer Spätzünder. Zumindest hinsichtlich der Aufmerksamkeit, welche ihm von Seiten der Verlage entgegen gebracht wurde. Das führte am Ende dazu, dass sein erster Roman erst nach dem zweiten veröffentlicht wurde. Wir wollen in diesem Zusammenhang mal chronologisch vorgehen und uns nach den Schaffensphasen der jeweiligen Werke richten. Sein Debüt „Spinner“ dreht sich um einen zwanzigjährigen Überlebenskünstler aus Berlin. In dem Werk, das der Autor bereits mit 19 Jahren verfasste, bringt er das Lebensgefühl einer Generation auf den Punkt, die sich jeden Tag mit zahllosen Alternativen herumschlagen muss. Welche Entscheidung am Ende getroffen wird, kann weitreichende Folgen mit sich bringen. Da ist es kein Wunder, dass manch einer sich einfach aus dem Spiel ausklinkt. Zunehmend stellt sich eine gewisse Orientierungslosigkeit beim Betroffenen ein, der sich nicht mehr im Stande dazu sieht, sein Leben in geregelte Bahnen zu lenken. Und irgendwann kann man die ganze Scheiße auch nicht mehr weglächeln. Die Vergangenheit holt einen unwiderruflich ein. Dunkle Wolken ziehen auf. Im Roman heißt es: „Ich legte das Bild mit meinem Vater weg. Ich wollte keiner von diesen Leuten sein“. Und diese Leute, das sind diejenigen, die immer schon im Vorhinein alles besser gewusst haben. Diejenigen, die es immer schon geahnt haben. „Spinner“ ist ein Buch, welches sehr intensiv das Innenleben seines Protagonisten ausleuchtet und mit zahlreichen ironischen Momenten gespickt ist. Auf den ersten Eindruck erscheint es demnach nur folgerichtig, dass die Orientierungslosigkeit auch in seinem zweiten Buch einen Platz in der ersten Reihe einnimmt. Die Story von „Becks letzter Sommer“ dreht sich um einen Lehrer in der „Midlife Crisis“, der sich spontan dazu entschließt, sein Leben umzukrempeln und nach Istanbul zu reisen. Zusammen mit einem Deutsch-Afrikaner und einem Musikgenie lernt er, was es bedeutet zu leben. Was auf den ersten Eindruck ziemlich kitschig klingt, entpuppt sich als glaubwürdige Erzählung, welche seinem Autor unter anderem den „Bayrischen Kunstförderpreis“ einbrachte. Wenn Desillusion, Depression und Liebe zur Musik aufeinander prallen, kann das zwangsläufig eigentlich nur in Hoffnungslosigkeit münden. Trotzdem ist „Becks letzter Sommer“ kein überaus melodramatisches Werk. Es handelt von Menschen, die hin und wieder eine falsche Entscheidung getroffen haben und nun von den Konsequenzen eingeholt werden. Dass Wells die einzelnen Kapitel nach Songs von Bob Dylan benannt hat, erscheint nur folgerichtig, schließlich wandeln sich die Charaktere im Laufe der Geschichte ebenso wie das vielseitige, musikalische Schaffen dieses Ausnahmekünstlers. Ob sie am Ende irgendwo ankommen? Ob das Leben noch mal einen Sinn für sie bereit hält, am Besten du liest selbst mal rein. Und schnappst dir hinterher noch den dritten Roman, den Benedict Wells in diesen Tagen aus dem Ärmel schüttelte. „Fast genial“ umreist das Leben eines jungen Menschen, dessen Mutter stirbt. Seinen Vater hat er nie kennen gelernt, wie auch – seine Mutter verrät ihm schließlich erst in ihrem Abschiedsbrief, dass Selbiger überhaupt existiert. Francis Dean, so der Name des Protagonisten, ist demnach das Resultat einer Samenbank-Spende, was dazu führt, dass er fortan alles daran setzt, seinen echten Vater zu finden. Im Zentrum des Buches steht in diesem Zusammenhang anfangs noch die Suche nach dem Vater, zunehmend aber wandelt sich die Reise für das sympathische Dreiergespann zu einem lohnenswerten (Selbstfindungs-)Trip. Wer auf spannende Coming Of Age-Unterhaltung steht, sollte sich „Fast genial“ auf keinen Fall entgehen lassen. Wells absorbiert in seinen Romanen das Lebensgefühl verlorener Seelen, nur um Selbiges in reine Poesie zu überführen.
// Wer gerne ein ganzes Sammelsurium an Wortneuschöpfungen der letzten Jahre durchstöbern möchte, der ist bei Trend-Guru Sascha Lobo an der richtigen Adresse. „Wortschatz“ ist sein „Duden für die Zukunft“. Die unterhaltsame Kolumne aus der „Neon“ hat er nun zu einem kleinen Schmöker aufgeblasen, der all jenen gefallen sollte, die sich schon am „Unnützen Wissen“ erfreuten. „698 neue Worte für alle Lebenslagen“ bekommt man vor den Latz geknallt und fühlt sich ganz vorzüglich unterhalten von Wortneuschöpfungen der Marke „Mailboxen“ und „Phloskel“. Mit seiner gewitzten Schreibe setzt Lobo neue Trends, er schenkt uns darüber hinaus Begrifflichkeiten, die den rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit zumindest teilweise gerecht werden. Dieses Werk ist aufs Engste mit dem Zeitgeist verknüpft und selbst, wenn nicht jedes Wort, das sich in diesem Almanach findet, auf Dauer in unseren gewohnten Sprachgebrauch einfließt, ist für ein hohes Maß an Kurzweil dennoch gesorgt. Es dauert nämlich gar nicht allzu lange, bis man sich selbst dabei erwischt, wie man „und/oder“ durch „under“ ersetzt. Deshalb am besten eine Runde zum „ichsamen“ Menschen transformieren und in Zeiten der „Unterlastung“ Schrägstrich „Bangeweile“ dieses Buch zur Hand nehmen. Eine bessere Ablenkung vom öden Alltag wird man derzeit kaum finden. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal.
UND WAS NUN?