// aufgelesen vol. 88 – „die gegend ist immer arm gewesen“

mit Büchern von Ulrich Gutmair, Lavie Tidhar, Markus Gabriel und Mark Watson. // Wer sich gerne intensiver mit der Geschichte der Hauptstadt auseinander setzen möchte, der sei heute an das wirklich wunderbare Werk „Die ersten Tage von Berlin“ verwiesen, das einen sehr guten Überblick über die Geschehnisse nach dem Fall der Mauer bereit hält. Ulrich […]

mit Büchern von Ulrich Gutmair, Lavie Tidhar, Markus Gabriel und Mark Watson.

1027_01_SU_Gutmair_TageVonBerlin.indd// Wer sich gerne intensiver mit der Geschichte der Hauptstadt auseinander setzen möchte, der sei heute an das wirklich wunderbare Werk „Die ersten Tage von Berlin“ verwiesen, das einen sehr guten Überblick über die Geschehnisse nach dem Fall der Mauer bereit hält. Ulrich Gutmair, der seit vielen Jahren als Redakteur bei der „taz“ tätig ist, setzt sich in diesem Zusammenhang hauptsächlich mit der kulturellen Szene der Stadt auseinander. Er begibt sich auf eine literarische Spurensuche in Sachen Berlin, lässt Zeitzeugen zu Wort kommen und zeichnet auf diese Weise ein bezauberndes Bild der örtlichen Club-Szene.

Sein Fokus richtet sich dabei vor allem auf „Berlin-Mitte“, das nur so vor zerfallenen Gebäuden strotzt, die nach der Wende kurzerhand von zahlreichen Hausbesetzern, Club-Betreibenden und Künstlern übernommen wurden. So wird nicht nur hemmungslos in den Ruinen der Stadt getanzt und gefeiert, sondern auch der eine oder andere Club ins Leben gerufen. Die Protagonisten selbst zelebrieren den Moment und so schwappt eben jener Enthusiasmus, den viele Kulturschaffende, DJs und Galeristen an den Tag legen, schon nach kurzer Zeit auf den Leser über. Wenn du den Puls der 90er fühlen möchtest, dann schnapp dir dieses Buch. Es fühlt sich an wie ein Schatz, den man nie wieder hergeben möchte, außerdem sieht man die Stadt hinterher in einem völlig veränderten Licht.

osama// Einen äußerst eigenwilligen Thriller hat Lavie Tidhar aus dem Ärmel geschüttelt. „Osama“ ist nicht nur der Gewinner des „World Fantasy Award 2012“, sondern auch ein paranoid-vertracktes Meisterwerk, das man sich am Liebsten an einem Stück zu Gemüte führen sollte. Die Handlung selbst ist äußerst verschachtelt und dreht sich um einen Detektiv namens Joe, der sich nicht nur mit seiner ausgeprägten Schwäche für Whiskey herumschlägt, sondern auch als harter Hund verschrien ist. Von einer seiner Flammen bekommt er den Auftrag, einen Autor ausfindig zu machen, der die Reihe „Osama bin Laden“ produziert. Das aber ist schwieriger als gedacht. Und so landet der Protagonist nicht nur in den edelsten Clubs der britischen Hauptstadt, sondern auch auf eine Osama-Fan-Convention. Noch dazu heften sich ein paar rigorose Agenten einer geheimen Behörde an seine Fersen. Je mehr Ungereimtheiten sich vor Joe auftun, umso mehr stellt sich die Frage, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. Noch dazu kommt die Frage auf: sind die „Osama“-Romane wirklich nur reine Fiktion? Wie das Ganze am Ende ausgeht. Es lohnt sich mal reinzuschnuppern. „Osama“ hat nicht nur für Verschwörungstheoretiker einiges zu bieten und spielt sehr gekonnt mit den unterschiedlichen Realitäts-Ebenen.

OrchesterHörspiele_Digipacks_SWR2.inddOrchesterHörspiele_Digipacks_SWR2.indd// Gleich sechs imposanten Kindergeschichten verstecken sich hinter einem kleinen, aber feinen Schuber der renommierten Wochenzeitung „Die Zeit“, welcher in diesen Tagen unter dem Namen „Literaturklassiker für Kinder“ in den Handel kommt. Der Clou bei der ganzen Geschichte ist: bei den vorliegenden Aufnahmen handelt es sich nicht nur um plumpe Lesungen diverser Literaturklassiker, sondern um so genannte Orchesterhörspiele. Komponist Henrik Albrecht, der an der Musikhochschule in Köln studierte und die Kölner „Literatur-Oper“ mitgründete, gelingt es die einzelnen Vorlagen kongenial mit Musik zu unterfüttern, so dass man sich (auch als erwachsener Hörer) in einen regelrechten Sog der Emotionen gerissen sieht. OrchesterHörspiele_Digipacks_SWR2.inddOrchesterHörspiele_Digipacks_SWR2.inddSo widmet sich der mehrfache Preisträger des „Deutschen Hörbuchpreises“ unter anderem der klassischen „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens, die man noch nie auf solch imposante Weise als Hörspiel präsentiert bekommen hat. Ebenfalls äußerst gelungen ist die Orchester-Hörspielvariante von „Alice im Wunderland“, die uns noch einmal in Richtung Hutmacher, weißes Kaninchen und Grinsekatze geleitet. Ebenfalls am Start ist der „Krieg der Knöpfe“. Darin liefern sich die Kids von Longeverne und Velran erbitterte Schlachten mit Steinschleudern. Wer verliert, verliert auch seine Knöpfe und sieht sich vor den anderen bloßgestellt. Ob jemand dem Spuck ein Ende macht? Am besten du findest es selbst heraus. Ebenfalls im Paket enthalten sind die Klassiker „Pinocchio“, „Peter Pan“ und OrchesterHörspiele_Digipacks_SWR2.inddOrchesterHörspiele_Digipacks_SWR2.indd„Das Gespenst von Canterville“, die allesamt von renommierten Orchestern wie dem „SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern“ und der „NDR Radiophilharmonie“ in ein neues Licht gerückt werden. Dabei geht niemals der ursprüngliche Charme der Originale verloren, die auch beim x-ten Durchlauf nicht langweilig werden. Wenn du also auf klassische Kinder-Geschichten in einer zeitgenössischen Variante stehst, solltest du unbedingt mal reinhören. Es lohnt sich. Auch wegen des 46-seitigen Buches, welches der Ausgabe beigelegt ist und mit zahlreichen Hintergrundinformationen über den Entstehungsprozess und die Geschichten bestückt ist.

gabriel// Wer wissen möchte, „Warum es die Welt nicht gibt“, der sollte sich mal an das gleichnamige Werk aus der Feder von Markus Gabriel heranwagen. Der widmet sich auf amüsante Weise dem Ursprung allen Seins und findet… so gut wie gar nichts. Dass es dennoch verdammt viel Spaß macht, seiner Abhandlung zu folgen, liegt daran, dass sein Werk nicht nur äußerst schmissig geschrieben ist, sondern auch an seinen schlüssigen Darlegungen, die jeden noch so großen Skeptiker ins Sachen „Nicht-Existenz“ vom Gegenteil überzeugen könnten. Wenn es die Welt also nicht gibt, bedeutet das dann gleichzeitig, dass da überhaupt nichts existiert? Also nicht mal wir selbst? Markus Gabriel überrascht mit provozierenden Theorien und Gedankenspielen, die jeden philosophisch-veranlagten Menschen ein breites Grinsen aufs Gesicht zaubern. So charmant hat schon lange niemand mehr die Welt um uns herum für null und nichtig erklärt. Wenn du dich also etwas intensiver mit dem Menschen, der Welt und deren beider Herkunft auseinander setzen möchtest, schnupper mal rein in dieses Fachbuch, das auch für Laien problemlos nachvollziehbar ist und niemals in Richtung wissenschaftliches Kauderwelsch abdriftet. Eine echte Perle, dieses Werk. Auch wenn es das Buch natürlich streng genommen gar nicht gibt…

watson// Was dabei herauskommt, wenn sich zwei ehemalige Klassenkameraden im ewigen Konkurrenzkampf miteinander befinden, kann man sich zu guter Letzt im Rahmen des Werkes „Rückwärts Leben“ zu Gemüte führen. Darin erzählt der Bristoler Kolumnist und Stand-Up-Comedian Mark Watson die Geschichte von Peter und Richard, die sich gegenseitig bis aufs Äußerste bekämpfen. Waren es als Kind noch die Anzahl der Tischtennisbälle, die man sich auf einmal ins Maul stecken konnte, stehen die beiden inzwischen voll und ganz im Berufsleben und versuchen sich am Beruf des Psychiaters. Da der Konkurrenzkampf zwischen den beiden aber immer noch anhält, entwickelt sich aus ihrem Wettstreit eine waschechte Katastrophe. Ob es ihnen gelingt, das Ganze wieder in geregelte Bahnen zu lenken? Am besten du riskierst selbst mal einen Blick in das Werk, das nicht nur interessante Einblicke in den Beruf des Psychologen zulässt, sondern auch so manchem Analytiker ein breites Grinsen aufs Gesicht zaubern dürfte. Ob das am Ende zu Fratze transformiert? Am besten du findest es selbst heraus. Und damit Schluss für heute. Bis zur nächsten Leserunde.