// eine kleine sprachkritik

Wer bin ich, was kann ich wissen, was kann ich hoffen? Diese Fragen treten früher oder später bei der Bewusstseinswerdung des eigenen Ichs auf. Irgendwann, während man sich noch gelegentlich in die Windel macht. Sie sind eine gute Grundlage um sich über sich und die Welt Gedanken zu machen, Kritik zu üben, zu hoffen und […]

Wer bin ich, was kann ich wissen, was kann ich hoffen?

Diese Fragen treten früher oder später bei der Bewusstseinswerdung des eigenen Ichs auf. Irgendwann, während man sich noch gelegentlich in die Windel macht. Sie sind eine gute Grundlage um sich über sich und die Welt Gedanken zu machen, Kritik zu üben, zu hoffen und zu reifen, und etwas für die eigenen Wünsche und Träume zu tun, die sich wiederum aus diesen Fragen ergeben.

Gleichzeitig bieten diese Fragen den Anknüpfungspunkt für Vorschläge, die nicht unbedingt unserem eigenen Verstand entspringen, sondern  vorgegeben werden.  „Mobilität“ und „Flexibilität“, „Ordnung“ und „Fleiß“ beispielsweise sind Seinsvorschläge, die uns immer wieder eingeimpft werden und uns Glauben machen sollen, dass wir die alleinige Eigenkontrolle besäßen.

Sinn stiften

Das perfide Handwerkszeug der Administratoren sind Methoden und Instrumente zur Sinnstiftung. Kapitalismus und Liberalismus, Technologie und Fortschritt sind nicht nur Schlagwörter die im Grunde genommen ein und derselben ideologischen Vorstellung vom modernen „guten Leben“ anhängen, sondern nahezu grundsätzliche Prinzipien darstellen, für die es sich lohnt zu leben, mit denen es sich lohnt zu leben, und ohne die unser Leben in den Ländern westlichen Wohlstands unvorstellbar wäre. Die Sinnstiftung erfolgt im Gros industriell und über die Vermittlung von Recht und Kultur – und wird dabei durch Aufklärung und die Wissenschaft gedeckt.

Propaganda betreiben

Es ist immer wieder erstaunlich, wie genial diese Vermittlung betrieben wird und wie tiefgreifend unser eigenes Denken davon betroffen ist. Über die Sprache werden uns jeden Tag Bedeutungen und Interpretationen vorgegeben. Hinter einfachen, alltäglichen Wörtern verbergen sich häufig gezielte Denkvorgaben, die man, gerade weil sie so beiläufig und alltäglich platziert werden, oft gar nicht als solche erkennt:   Eine „Schutzwaffe“, bei der man zunächst etwa Selbstschutz und Verteidigung assoziiert, ist dabei genauso irreführend wie der „Atomausstieg“, weil bei letzterem bereits beim Einstieg der Ausstieg aus einer radioaktiv verseuchten Welt unmöglich wurde und eine Waffe eben eine Waffe zum Töten ist. Besonders die kommerzielle Werbung und die Streuung von Begriffen über die Medien sind populäre und wirksame Mittel: Public Relations und Werbung sind neue Formen von Propaganda, die vielleicht weniger plakativ sind, weniger Feindschaft und Stereotype produzieren, dafür aber sehr subtil – und deshalb nicht weniger gefährlich – auf die Beeinflussung von Menschen abzielen, um diese zum Kauf oder zur Unterstützung bestimmter Produkte zu überreden. Bei diesen Produkten handelt es sich mitnichten nur um industrielle gefertigte oder am Computer programmierte Güter und Dienstleistungen, sondern um alles und alle, die uns von ihren vermeintlichen Vorzügen überzeugen wollen: Ideale, Religionen, Politiker, Wandschränke und Eisbären.

Angst schüren

Eine weitere, gut durchdachte Form der Sinnvermittlung ist die Verbreitung von Angst. Und wieder kann man diese Art der Einflussnahme anhand der Sprache offenlegen, oder zumindest andeuten. Bei den Begriffen „Terrorismus“, „Alter“, „Krankheit“ und „Arbeitslosigkeit“ handelt es sich im Grunde nur um Konstrukte: Diejenigen beispielsweise, die den Terrorismus fürchten, stimmen staatlichen Sicherheitsmaßnahmen und umfassenden Eingriffen in die Privatsphäre eher zu als die, die sich vor Terrorismus nicht in die Hose machen. Zumindest in der Theorie. Oftmals sind letztere weitaus besser informiert und bilden in sich selbst eine relativ geschlossene elitäre Gruppe, die sich wiederum in vielen Lebensbereichen gegenüber den „Uninformierten“ emanzipiert fühlt. Dass ein solcher Informationschauvinismus auch zum Ausdruck von Ignoranz gegenüber vermeintlich weniger Informierten führen kann und ein aufklärerisch-missionarisches Auftreten produziert, wie man es oft bei sogenannten Verschwörungstheoretikern beobachtet, ist nur eine von vielen Konsequenzen, die sich aus einer krassen Ungleichverteilung von Informationen und Verfügbarkeit von Wissen ergeben. Eine Gesellschaft von ausschließlich informierten Bürgern scheint den Administratoren scheinbar zu fordernd, zu emanzipiert, um überhaupt regiert werden zu können. Und so nimmt man lieber verschiedene gesellschaftliche Informationsgruppen in Kauf, die je nach Bedarf gegeneinander mobilisiert werden können, oder gemeinsam über die Affären von Guttenberg, Wulff und Kachelmann streiten.

Wie pervers das Kreieren von Angstvorstellungen werden kann, fällt mir aktuell vor allem am Begriff der „Phobie“ auf. „Islamophobie“ und „Homophobie“ sind so zwei Begriffe, die das Wort „Phobie“ mit seinem psychologischen Ursprung in eine neue Wortschöpfung einbinden. Eine Phobie klingt ziemlich krank. Sie beschreibt im Sinne einer „Homophobie“ also eine krankhafte Angst vor Schwulen und Lesben. Nicht nur, dass dieser Begriff vor Assoziationen wie Hass, Abgrenzung und Furcht nur so strozt. Er verhindert auch eine nüchterne und vernunftgeleitete Auseinandersetzung mit dem Phänomen selbst. Warum spricht man denn nicht über die Gründe möglicher Auseinandersetzungen zwischen Homos und Heteros? Weshalb attestiert man Leuten hingegen lieber eine Homophobie?

Weil die Obrigkeit – in welcher politischen Ausprägung und Staatsform sie auch immer auftritt – offenbar keine Veränderungen möchte und darauf bedacht ist, mit den cleversten Mitteln Trägheit und Konformismus zu verbreiten, damit sie sich möglichst lange selbst erhält.

Auf den Menschen trifft es wohl wirklich zu, dass er es angenehm findet, nicht selbst denken zu müssen und alle Möglichkeiten und Entscheidungen vorgekaut zu bekommen.

Allerdings ist dieser Gedanke auch nur eine Reform und kein Wandel. Denn eine Reform des eigenen Verstandes ist kein Bruch mit dem Alten, sondern die Wiederherstellung des bereits Gedachten und Gesagten.
Mathias Pilz