// mufflon: das prinzip fan

Es gibt einen Schlag Mensch, der mir wirklich Sorgen bereitet, ja mir geradezu Angst einflößt. Blindlings schaltet er gesunden Menschenverstand und Würde aus, um sich ganz seinen Idolen hinzugeben; sich in ihrem Ruhm zu suhlen; ihnen nachzureisen und zu –eifern; ihren Stil zu kopieren; schöne, leere, lämmchenweiße Wände mit ihren Konterfeien zu behängen… Gemeint ist […]

Es gibt einen Schlag Mensch, der mir wirklich Sorgen bereitet, ja mir geradezu Angst einflößt. Blindlings schaltet er gesunden Menschenverstand und Würde aus, um sich ganz seinen Idolen hinzugeben; sich in ihrem Ruhm zu suhlen; ihnen nachzureisen und zu –eifern; ihren Stil zu kopieren; schöne, leere, lämmchenweiße Wände mit ihren Konterfeien zu behängen… Gemeint ist natürlich der Fan. Dabei ist es erst einmal egal, wen er sich als Objekt der Begierde aussucht. Bill Kaulitz, Pamela Anderson, Keanu Reaves oder Lukas Podolski. Das Prinzip bleibt das gleiche. Eine gesunde Bewunderung für die Leistungen und das Talent anderer sei ja jedem herzlichst gegönnt. Vor allem, wenn man es selbst zu nichts gebracht hat. Wenn diese Bewunderung allerdings dazu führt, dass sich der normal denkende Mensch suchend nach einem Betäubungsgewehr umsieht, um der ganzen Farce ein Ende zu bereiten, wird es ärgerlich.

So weit so gut. Momentan befindet sich der normal denkende Mensch wieder einmal in der glücklichen Situation, eine größere Anzahl dieser possierlichen Wesen in freier Wildbahn beobachten zu können. Alle Jahre wieder ermöglichen es uns Events wie jetzt die Fußball-Europameisterschaft, ganz nah und ohne Tarnzelt an den Fan (wir sprechen im Folgenden nur noch vom Fußballfan) heranzukommen. Denn unter solchen Idealbedingungen fühlt er sich sicher und kann ohne Scheu gefüttert und gestreichelt werden. Der leichteste Weg sich heranzupirschen ist, sich eine Fahne ans Auto zu heften und wild in der Gegend herumzuhupen. Das lockt Artgenossen an. Allerdings sei zur Vorsicht geraten. Es kann durchaus passieren, dass einige, vornehmlich männliche Exemplare, versuchen werden, in äußerst engen Kontakt mit dem Beobachter zu treten. In solch einem Fall ist ein kühler Kopf gefordert. So etwas kennt der Fan nicht; das verwirrt ihn.

Denn das schönste am Fan ist ja, dass sich sein Verhalten oft nicht vorhersagen oder gar logisch begründen lässt. Otto Normalverbraucher hat eine Hose an, der Fan eine Fahne. Otto Normalverbraucher sieht sich ein Spiel an, der Fan fährt währenddessen hupend durch die Innenstadt (völlig egal ob die eigenen Jungs hinten liegen oder nicht). Otto Normalverbraucher akzeptiert die gute, oder wahrscheinlicher, die schlechte Leistung der Mannschaft als gottgegeben, der Fan hingegen weiß sämtliche Interna, könnte alles mindestens doppelt so gut wie jeder einzelne auf dem Feld (Zitat: Und dafür kriegt der Millionen im Jahr) und ist zurecht beleidigt, wenn sein Fachwissen nicht in gebührendem Maße gewürdigt wird. Herrlich. Aber wie kann man sich auch anmaßen, die Gedankengänge des Fans zu durchschauen? Er befindet sich ja in einer solchen Zeit in einer Phase der kontinuierlichen Reizüberflutung. Wochenlanges Betrunkensein gehört genauso zum guten Ton wie das Tragen der schillerndsten Kriegsbemalungen. Auch zur Kommunikation braucht es nicht viel. Ein stattlich herausgerülpstes „Auf geht’s, Deutschland schießt ein Tor“ ist da schon völlig ausreichend. Grammatikalisch zwar äußerst fragwürdig, in seiner Durchschlagskraft im angrenzenden Public-Viewing-Block jedoch beispielhaft.

Doch soll diese Festschrift natürlich nicht zu einer reinen Lobeshymne auf das Fantum reduziert werden. Nein, der Fan kann dem unvorsichtigen Tierfreund durchaus gefährlich werden. Wie ein angeschossenes Raubtier ist er zu allem fähig. Ruhig in sich zurückgezogen oder lauthals um sich schwankend; alles ist möglich. An einer roten Ampel stehen bleiben kann da schon als Selbstmordversuch gewertet werden. Dinge wie einfach durch die Gegend laufen sind ohne Begleitschutz oder einschlägige Erfahrung im Umgang mir dem Fan ebenfalls nicht empfehlenswert. Es sei also gewarnt. Natürlich sieht das alles putzig aus. Doch sollte man sich nicht zu unvorsichtigen Handlungen hinreißen lassen. Am besten ist es, man grinst bierselig, redet kurz abfällig über Günter Netzers Frisur oder Jens Lehmanns schlechte Leistung der letzten Monate und schleicht sich mit einem zackigen „Schland“ davon.

Hoffen wir also auf ein schnelles und erfolgreiches Ende dieses Freudenfestes und freuen uns auf die Bundesliga. Dort ist der Fan wieder sicher im Gehege Wohnzimmer oder der nächsten Premiere Sportsbar eingesperrt und kann den Mitmenschen nicht mehr gefährlich werden. Bis dahin heißt es. Niemals unbewaffnet aus dem Haus gehen und sich geschickt tarnen. Wenigstens eine kleine Fahne sei jedem ans Herz gelegt. Denn man weiß ja nie.
Es lebe der Fan.

// text: sebastian struch