// aufgelesen vol. 74 – „warnende wellen“

mit Büchern von Arezu Weitholz, Lisa Kränzler, Jens Bergmann, Tilman Rammstedt und Christiane Rösinger. // Der neue Roman von Arezu Weitholz setzt sich in der Zwischenzeit differenziert mit dem Leben zweier Menschen im Pop-Journalismus auseinander. Die Ernsthaftigkeit, mit der die beiden Protagonisten Anna und Ludwig an ihre Arbeit herangehen, lässt nur wenig Raum für Zwischenmenschliches. […]

mit Büchern von Arezu Weitholz, Lisa Kränzler, Jens Bergmann, Tilman Rammstedt und Christiane Rösinger.

arezu-weitholz// Der neue Roman von Arezu Weitholz setzt sich in der Zwischenzeit differenziert mit dem Leben zweier Menschen im Pop-Journalismus auseinander. Die Ernsthaftigkeit, mit der die beiden Protagonisten Anna und Ludwig an ihre Arbeit herangehen, lässt nur wenig Raum für Zwischenmenschliches. Dementsprechend droht auch ihre eigene Beziehung an eben jenen Umstand zu scheitern. Kurz nachdem der Schlussstrich vollzogen ist, sitzt Anna nun an Ludwigs Bett und versucht all ihre Gefühle in einen scheinbar endlosen Monolog auf den Punkt zu bringen.

„Du atmest. Und ich sitze an deinem Bett“ – der Autorin gelingt es mit ihrer Sprache eine durchweg poetische Stimmung zu erzeugen, welche der eines Pop-Songs nicht unähnlich ist. Mit ihrem Roman wirft sie aber vor allem die Frage auf, warum man als leidenschaftlicher Mensch nur sehr schwer Zugang zum eigenen Gegenüber findet. Ludwig jedenfalls scheint durch eine unsichtbare Mauer von der Welt um sich herum getrennt – er lebt für seine Arbeit und trägt Schlachten aus, die anderen nur ein müdes Schulterzucken wert sind. „Unsere Leidenschaft ist ihnen rätselhaft“ haben Tocotronic einst in einem ihrer besten Songs gesungen. Genau darum geht es in „Wenn die Nacht am stillsten ist“. Um die Leidenschaft– und warum sie, manchmal, wenn sie ganz besonders intensiv ist, alles Zwischenmenschliche um sich herum zu ersticken droht.

lisa-kranzler// Der neue Roman der bildenden Künstlerin Lisa Kränzler ist nicht nur für den „Preis der Leipziger Buchmesse“ nominiert, er bringt einen auch ins Grübeln mit einer packenden Geschichte über zwei junge Mädchen. In „Nachhinein“ erzählt die Freiburgerin die Entwicklung einer komplizierten Freundschaft zwischen zwei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während die eine in einem wohl-behüteten Elternhaus aufwächst, sieht sich die andere schon früh mit dem Ernst des Lebens konfrontiert. In ihrer Familie sind Gewalt und Missbrauch an der Tagesordnung und das stellt auch die Beziehung der beiden Freundinnen auf eine harte Probe. Aus Freundschaft wird so mit der Zeit ein Machtkampf, der von Missgunst und Grausamkeit gekennzeichnet ist. Die Autorin räumt ihren beiden Protagonistinnen viel Raum zur Entfaltung ein und spitzt die Situation immer weiter zu. So dreht sich „Nachhinein“ nicht nur um die widersprüchlichen Wünsche und Eindrücke im Rahmen der Pubertät, sondern auch um unerfüllte Erwartungen und Missgunst, welche eine innige Freundschaft kurzerhand in eine tickende Zeitbombe verwandeln können.

jens-bergmann// „Ich, Ich, Ich“ nennt sich der neue Roman des langjährigen „brand eins“-Redakteurs Jens Bergmann, der schon für „Bild der Wissenschaft“ und die „Frankfurter Rundschau“ aktiv gewesen ist. In seinem Buch dreht sich alles im das Individuum an sich. Es erzählt von der Sucht nach Aufmerksamkeit in einer digitalisierten Gesellschaft. Egal ob in der Politik oder auf der Straße, auf „Facebook“ oder bei „Twitter“ – die Menschen lechzen nach ihren „Five Minutes Of Fame“ und entblößen sich auf diese Weise immer mehr vor dem Rest der Welt. Wer bekommt die Meisten „Gefällt mir“-Klicks. Wessen Homepage hat die höchsten Zugriffzahlen? Über wessen Themen wird am Meisten diskutiert? Obwohl wie immer mehr miteinander vernetzt sind, scheinen wir uns im Zuge dessen immer weiter voneinander zu entfernen. So ist man zwar anfangs noch amüsiert von den Aufzeichnungen des Autors, mit zunehmender Lesedauer bleibt einem das Lachen aber immer wieder im Halse stecken. Welche Rolle das liebe Geld bei der ganzen Geschichte spielt? Und was wir mit den unterschiedlichsten Zuschreibungen für bestimmte Personentypen bezwecken? Am besten du findest es selbst heraus. Jens Bergmann hat mit „Ich, Ich, Ich“ ein faszinierendes Werk über das Individuum im Blitzlicht des öffentlichen Lebens aus dem Ärmel geschüttelt, das einen äußerst nachdenklich zurücklässt. Gerade deshalb lohnt es sich mit Hilfe seines Buches einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

tilman-rammstedt// Haben sie schon einmal darüber nachgedacht einen Roman zu lesen, auf dessen Rück-Umschlag ein Schreiben an Bruce Willis zu sehen ist, das darauf abzielt ein Statement der Marke „Ich konnte nicht aufhören zu lachen. Und ich lache bekanntlich nie“ als Antwort zu bekommen. Wenn sie jetzt verwirrt sind, lieber Leser. Keine Sorge. Das waren wir auch. Zumindest solange bis wir die ersten paar Seiten von Tilman Rammstedts neuen Roman gelesen hatten. Daraufhin wiederum waren wir nicht nur hocherfreut, sondern sichtlich begeistert. Denn sein Buch mit dem sperrigen Titel „Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters“ ist wirklich einzigartig. Das liegt nicht etwa daran, dass das ganze Teil komplett in Briefform getextet ist und allesamt mit „Sehr geehrter Herr Willis“ beginnen, sondern daran, dass eben jener Herr Willis einfach nicht antworten möchte. Also spinnt sich der Protagonist (also Tilman Rammstedt) selbst mit zunehmender Dauer seine eigene Geschichte zusammen, wird sogar selbst Teil seines perfiden Plans, den renommierten Schauspieler als Gaststar in seinem literarischen Unterfangen zu präsentieren und dreht irgendwann völlig durch… um sich kurz darauf wieder zu beruhigen. Wenn sie jetzt wissen möchten, was passiert, wenn man ein Ultimatum setzt und kein Schwein interessiert sich dafür, sind sie hier an der richtigen Adresse. „Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters“ ist das mit Sicherheit (wahn)witzigste Werk des Frühlings. Als schmökert mal rein.

rosinger// Christiane Rösinger, die langjährige Sängerin der Lassie Singers, hat in der Zwischenzeit ebenfalls einen neuen Roman aus dem Ärmel geschüttelt, der sich mit ihrer 2012er Reise zum „Bundesvision Song Contest“ auseinander setzt. In „Berlin – Baku“ macht sie sich mit einem kürzlich erworbenen Gebrauchtwagen auf nach Aserbaidschan und durchquert dabei allerhand Länder und Städte. Das Ziel ihrer Reise tritt in diesem Zusammenhang immer weiter in den Hintergrund, weil sie unterwegs auf zahlreiche, interessante Menschen trifft. So geht’s von Bremen Richtung „Winnetou-Gegend“, anschließend nach Istanbul und schließlich nach Georgien. Auf diese Weise entsteht ein sympathisches Reisetagebuch, das sich nicht nur differenziert mit den Urlaubern in den unterschiedlichen Ländern auseinander setzt, sondern auch mit zahllosen, witzigen (und weniger witzigen) Anekdoten und Fotos versehen ist. Wer sich also in diesem Jahr keinen richtigen Urlaub leisten kann, der sollte alternativ mal in dieses Werk reinschnuppern – er wird nicht nur viel Spaß damit haben, sondern auch die Antwort auf die spannendste aller Fragen finden: wird Christiane Rösinger wirklich irgendwann ihren Weg zum „Bundevision Song“ finden? Am Besten du findest es selbst heraus. „Berlin – Baku“ ist ein wirklich mit“reis“sendes Werk. Also packt schon mal die Koffer. Bis zur nächsten Leserunde.