// aufgelesen vol. 92 – „fucking miss this shit“

mit Büchern von Daniel Kehlmann, James Meek, Isabella Straub, Michael Muhammad Knight und Asokan Nirmalarajah. // Neugierig stimmt einen das schlichte Artwork des aktuellen Romans von Daniel Kehlmann. Der gebürtige Münchner, der inzwischen zwischen Berlin und Wien hin und her pendelt, hat sich mit seiner „Vermessung der Welt“ eine große Fangemeinde aufgebaut und legt nun […]

mit Büchern von Daniel Kehlmann, James Meek, Isabella Straub, Michael Muhammad Knight und Asokan Nirmalarajah.

kehlmann// Neugierig stimmt einen das schlichte Artwork des aktuellen Romans von Daniel Kehlmann. Der gebürtige Münchner, der inzwischen zwischen Berlin und Wien hin und her pendelt, hat sich mit seiner „Vermessung der Welt“ eine große Fangemeinde aufgebaut und legt nun ein ebenso begeisterndes Werk vor, das im Sommer vor der großen Wirtschaftskrise ansetzt. In seinem Buch dreht sich alles um drei Brüder, die es faustdick hinter den Ohren haben. Einen von ihnen, ein hoch-verschuldeter Finanzberater, wird von unheimlichen Visionen geplagt. Allerdings verrät er niemandem etwas davon. Vielleicht betreffen seine Hirngespinste ja auch seinen Zwillingsbruder Iwan – seines Zeichens Kunstkenner. Dritter im Bunde ist ein katholischer Priester namens Martin, der schon seit geraumer Zeit vom Glauben abgefallen ist.

„F“ beschreibt, wie die Fassade der einzelnen Protagonisten zu bröckeln beginnt. Je genauer man hinguckt, umso tiefer wird der Abgrund, der sich vor ihnen auftut. Bis schließlich ihre ganze Existenz auf dem Spiel steht. Daniel Kehlmann versteht es in diesem Zusammenhang ganz hervorragend eine vielschichtige Erzählung aus dem Ärmel zu schütteln, die einem noch Tage später im Kopf herum spuckt. Man sollte also unbedingt mal hinter das weiße „F“ auf dem Buchrücken spitzen.

meek// In dem Roman „Liebe und andere Parasiten“ dreht sich alles um einen alternden Rockstar namens Ritchie, der sich darum bemüht, eine Affäre mit einer Minderjährigen unter Verschluss zu halten. Seine Schwester Bec versucht währenddessen die Menschheit von der Plage der Malaria zu befreien. Ihnen gegenüber steht ein gewisser Val, seines Zeichens Boulevardjournalist, der versucht das Geschwisterpaar gegeneinander auszuspielen. Ob ihm das gelingt? James Meek entwirft mit seinem Roman eine spannende Familiengeschichte, die vor dunklen Geheimnissen und verräterischen Aktionen nur so strotzt. Die Welt ist aus den Fugen geraten in seinem Werk und es scheint niemand mehr da zu sein, der das Leben der einzelnen Protagonisten wieder in geregelte Bahnen zu lenken vermag. Und so treiben sie dahin. Werden schließlich selbst zu Getriebenen und empfinden das Leben selbst als große Provokation, der sie sich nur geringfügig zu stellen vermögen. Hält am Ende der Familienbund zwischen den beiden Protagonisten oder gelingt es Val (der gelichzeitig auch Becs Ex-Freund ist) die beiden auseinander zu bringen? „Liebe und andere Parasiten“ ist ein überaus spannendes Werk, das auch nicht mit gesellschaftskritischen Seitenhieben geizt. Es lohnt sich also mal reinzuschnuppern.

straub// Im „Blumenbar“-Verlag erscheint in der Zwischenzeit ebenfalls ein charmantes Werk der Wiener Journalistin Isabella Straub, die mit „Südbalkon“ einen charmanten Roman über eine Außenseiterin aus dem Ärmel schüttelt. Das Buch dreht sich um eine junge Dame namens Ruth, die weder einen festen Job besitzt, noch allzu oft am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Ihr Medizinstudium hat sie abgebrochen und das Praktikum einer Traueranzeigen-Redaktion war auch nicht das richtige für sie. Immerhin hat sie einen Freund, dem gegenüber sie sich aber so unterwürfig verhält, dass er sich dann doch lieber an seinen Computer setzt. Im Grunde genommen verabscheut Ruth ihr ganzes Leben und die Menschen um sich herum. Sie verabredet sich zum Kaffee in Möbelgeschäften, weil es da billiger ist und schlendert sogar hin und wieder vor Kliniken herum, um sich besser zu fühlen. Ruth ist kurz gesagt: das absolute Gegenteil eines optimistischen Menschen und gerade das macht sie so interessant. Sie verweigert sich einfach allem und nur so aus Spaß mal zu Lächeln käme ihr auch nicht in den Sinn. Worüber auch sollte man sich freuen? Außer vielleicht über einen gewissen Pawel, den sie eines Tages trifft und der plötzlich ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Wenn du also auf sarkastische Unterhaltung stehst, schnupper mal rein.

taqwa// Ein Buch über eine muslimische Punk-WG in Buffalo: mit so etwas wird man nicht alle Tage konfrontiert. Umso besser, dass der aktuelle Roman von Michael Muhammad Knight, ein äußerst lesenswertes Unterfangen ist. Der Autor des Buches wurde 1977 in New Jersey geboren und wuchs als Katholik auf. Später konvertierte er zum Islam, nachdem er eine Biografie von Malcolm X gelesen hatte. In seinem Buch „Taqwacore“ dreht sich alles um einen bunten Haufen von Feministinnen (die Burkas tragen) und Sufis mit Irokesen-Frisur. Der Autor beschäftigt sich im Rahmen des Buches sehr intensiv mit seinen einzelnen Charakteren und stattet sie mit einer gehörigen Portion Tiefgang aus. Ob sich Fasiq beim Lesen des Korans einen Joint anzündet oder Jehangir sich nach dem Fastengebet betrinkt. Die einzelnen Protagonisten gehen ihren eigenen Weg und versuchen die Religion mit ihren persönlichen Vorlieben in Einklang zu bringen. Nach der Veröffentlichung des Romans gründete sich sogar schon ein Band namens The Kominas, die den Anhängern des Buches mit ihren Songs aus dem Herzen spricht. Für den Autor selbst war das Buch der Rettungsanker, welcher ihm seinen Glauben bewahrte. Durch seinen leichten Schreibstil gelingt es ihm, die Leser in einen Sog der Emotionen zu reißen. Wer sich mit den Gedanken und Wünschen junger Muslime intensiv auseinander setzen möchte, kommt an diesem Werk nicht vorbei.

UMS1843neu.indd// All jene, die sich gerne mal etwas genauer mit der Rolle des Gangsters in der TV-Geschichte auseinander setzen möchten, die kommen bei dem Werk „Gangster Melodrama – The Sopranos und die Tradition des amerikanischen Gangsterfilms“ auf ihre Kosten. Das Buch von Asokan Nirmalarajah widmet sich der wohl prominentesten Figur in Sachen Pop-Kultur im 20ten Jahrhundert und deren Niedergang. Nicht erst seit den Sopranos haben sich schließlich bestimmte Risse und Brüche hinter der makellosen Oberfläche des Gangsters offenbart, die von den Schöpfern auch gerne mal etwas genauer unter die Lupe genommen werden. So widmet sich der Autor nicht nur der Figur des Gangsters selbst, sondern auch dessen persönlichen Umfeld, seiner Familie, seiner Rolle als Mann und seine Stellung im Rahmen der Gesellschaft. Außerdem werden anhand der „Sopranos“ auch ein Blick auf die Problemstellungen für seine Ehefrau und die Rolle der Tochter geworfen. Auch Tony Soprano ist schließlich als Akteur immer noch Teil eines (oder noch besser zweier) Systeme und dem Buch gelingt es sehr gekonnt, die komplexen Interaktionen zwischen seinen verschiedenen Rollen herauszuarbeiten. Es lohnt sich in diesem Zusammenhang also mal reinzuschauen in dieses „Gangster Melodrama“ – nicht nur als „Sopranos“-Fan. Und damit Schluss für heute. Bis zur nächsten Leserunde.