// zuckerbeat volume 33

Die Vorfreude ist riesig, als klar ist, dass Tocotronic den zweiten Teil der Reihe „Pop Portrait“ kompilieren. Jan Delay hat ja schon auf dem Erstling ein bemerkenswertes Gespür für große Popmomente bewiesen – nicht nur indem er den grandiosen Selig zu später, aber verdienter Ehre verhalf. Nein, er hat es tatsächlich geschafft, dass man sich […]

tocotronicxDie Vorfreude ist riesig, als klar ist, dass Tocotronic den zweiten Teil der Reihe „Pop Portrait“ kompilieren. Jan Delay hat ja schon auf dem Erstling ein bemerkenswertes Gespür für große Popmomente bewiesen – nicht nur indem er den grandiosen Selig zu später, aber verdienter Ehre verhalf. Nein, er hat es tatsächlich geschafft, dass man sich als Hörer wieder in die Zeit zurückversetzt sieht, in der man mit dem musikbegeisterten Kumpel noch fleißig Mixtapes austauschte. Nun also liegt es an Tocotronic mit neuen Schätzen aus der Musiktruhe um sich zu werfen. Und wie zu erwarten, gibt es auch auf Nummer zwei kaum was zu bemängeln. Stilsicher bewegen sich die Jungs aus Hamburg vorwiegend in indie…(zuweilen …lektuellen) Bahnen, ohne dass man sich auch nur einmal genötigt fühlt, die Skip-Taste zu drücken. Max Müller wird da ehrenvoll versichert, dass seine Band Mutter immer noch ein wichtiger Einfluss für die inzwischen ebenfalls in die Jahre gekommene Jugend ist. Mit Stephen Malkmus (Pavement) wird ein betörender Moment exquisiter Gitarrenarbeit rekapituliert. Und zu guter letzt auch noch der grandiose House-Hit „Muzik“ von den Hamburgern selbst ins tocotronische Korsett überführt. Weiterhin am Start: Die wie immer verstörend schönen Sonic Youth, Elektrokönig Justus Köhnke. Die Trauerklöse von Wilco und natürlich The Fall, die ewig hippe Combo des ewig nörgelnden Mark E. Smith. Da kann man glatt nostalgisch werden. Und sich jetzt scsenses-fail.jpghon auf Teil 3 freuen. Vorher pfeifen wir uns allerdings noch die neue Scheibe von Senses Fail rein. Die müssen ja oft als abschreckendes Beispiel dafür herhalten, was aus dem schönen Begriff „Emo“ geworden ist. Auf Tournee mit der alten Garde soll es sogar zu abfälligen Kommentaren ihnen gegenüber gekommen sein. Kurz gesagt: Die Vorzeichen für die Band könnten nicht schlechter sein. Dabei war Album numero uno, genannt „Let It Enfold You“, ja durchaus geschmacksicherer Screamo-Pop, dem man den ein oder anderen Hit attestieren konnte. Nun allerdings ist Schluss mit lustig. Die Band verheddert sich auf „Life Is Not A Waiting Room“ in halbgaren Ideen und fabriziert dabei nicht nur alternativ rockende Simple Plan-Standards der Marke „Hair Of The Dog“, sondern ebenso halbherzige Hardcore-Attacken. Spätestens nach Track Nummer fünf schaltet der Hörer dabei endgültig auf Durchlauf. Und sucht schnell das Weite in Richtung Those Dancing Days. Deren Album „In Our Space Hero Suits“ galoppiert gleich im Opener so charmant powerpoppig nach vorne, dass man sich those dancing daysgut am Halfter festkrallen sollte. Wie ein hyperaktives Schaukelpferd wippen die Mädels aus Schweden im Takt und schlagen dabei auch gerne mal den einen oder anderen Salto. Dass sie dabei nicht vom Ross purzeln, liegt am Ende vor allem an der hohen Melodiedichte der ersten Hälfte. Da reiht sich Hit an Hit, was schließlich im Cardigans-liken „Actionman“ seinen Höhepunkt findet. Die fußwippende Hüftschwunggesellschaft in jeder Indiedisco dürfte ihnen also schon mal sicher sein. Und die etwas verschrobenere zweite Hälfte kann man sich trotz einzelner Aussetzer auch ohne weiteres schön grinsen. Schließlich ist man immer noch wie berauscht von diesen Melodien, die wie ein winziger Sonnenstrahl eine Schneise ins kühle Herbstwetter reißen. Womit wir uns der spannenden Frage zuwenden, ob einem wie Everlast auch 2008 noch eine gewisse Bedeutung zuzumessen ist. Dafür spricht ja schon mal, dass Snoop Dogg ihn erst kürzlich zum Duett gebeten hat. Aber reicht die Restenergie auch noch für ein ganzes Album. „Love, War And The Ghost Of Whitey Ford“ gibt darauf keine eindeutige Antwort. Die Platte rummst relativ düster vor sich hin und verliert sich über weite Strecken in Old-School-Sounds der Marke Cypress Hill & Konsorten. Das findet der nostalgisch veranlagte Hörer natürlich äußerst charmant. Aber spätestens, wenn Everlast Johnny Cash mit einem Cover von „Folsom Prison Blues“ seinen Respekt ausspricht, stellt sich unweigerlich die Frage, ob da nicht etwas mehr gehen müsste. Lediglich Sounds aus der Konserve aufkochen? Reicht das, um relevant zu bleiben? Am Ende muss man schon zugeben, dass diese zurückgewandte Sichtweise durchaus einen gewissen Reiz hat. Dann allerdings muss man auch einwerfen, dass viele der Songs wohl auch auf einer „Best Of The 90s“-Compilation nicht sonderlich auffallen würden. Also ist man hin und her gerissen von der Musik, die wirkt, als wäre die Zeit einfach um die Jahrtausendwende everlast.jpgstehen geblieben. Am besten also, man lehnt sich zurück, schließt die Augen und drückt noch mal auf Play. Ich meine, immer noch besser als dieses unsägliche Euro-Dance-Revival! Und „Die In Yer´ Arms“ ist einfach ein verfluchter Hit, der mit jedem Durchlauf den Partypegel weiter nach oben schraubt. So „jump, jump, jump, jump…“ Oder so ähnlich. Und dann check mal Frittenbude. Heiß und fettig geht’s auf deren Album „Nachtigall“ zu. Perfekt arrangierter Elektro-Wumms Marke Egotronic & Bratze schreit einem da aus voller Kehle entgegen. Mit schickem Tiercomic auf dem Cover rufen sie den Ausnahmezustand aus. Wer sich ihr Remix von Kettcars „Graceland“ auf Myspace angehört hat, kommt aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Die Mediengruppe Telekommander jedenfalls sollte auf der Hut sein, denn hier könnte ihnen jemand den Rang ablaufen. Diese Musik schreit so dermaßen nach einer schweißtreibenden Liveshow, dass man sich geneigt fühlt, selbst auf die Straße zu rennen und „Pandabär, Pandabär“ zu skandieren. Dazu beginnen dann die Straßenlaternen zu flackern und tauchen die City in ein betörendes Blitzlichtgewitter. Also lässt man sich einfach vom ruhelosen Beat treiben. Vom schlicht bezaubernden „Mindestens in 1000 Jahren“ in die Welt der Kunsfrittenbude.jpgt entführen. Und vom „Superschnitzellovesong“ ordentlich durchbraten. Hinterher hüpft man dann zur charmanten Gemma Ray in den Wagen und dreht eine Runde zu den cineastischen Sounds ihres gelungenen Albums „The Leader“. Einige meinen schon hier die perfekte Fusion aus Amy Winehouse und Norah Jones gefunden zu haben. Andere brüllen laut: Nina Simone. Auch PJ Harvey darf da natürlich nicht fehlen, bevor Isobell Campbell den Referenzregen vollendet. Insgesamt muss man sagen. Sie liegen durchaus richtig. Dieses Album saugt den Sound vergangener Tage überaus gekonnt in sich auf, nur um ihn dann in Richtung Zielgruppe zu pusten. Diese Stücke kann man sich ebenso in den heruntergekommenen Spelunken eines Tarantino-Streifens vorstellen, als auch im Vorspann zum nächsten Bond Streifens.gemma-ray.jpg Gemma Ray macht zeitlose Musik für Bars, bereichert sie aber um Gospelanleihen und verliert sich nur zu gerne in gängigen Pop-Schemata. Dass sie dabei noch so frisch und unverbraucht klingt, macht sie zur vielleicht spannendsten Alternative der gängigen Konsenssirenen auf dem Musikmarkt. Weil man merkt, dass hier trotz des missratenen Covers mehr Wert auf Inhalt, als auf die Verpackung gelegt wird. Also merkt euch Gemma Ray und freut euch hinterher auf ein Wiedersehen mit den Jungs von Bloc Party. Die geistern jetzt ja schon seit geraumer Zeit mit neuen Songs durch die Blogsphären des World Wide Web. Haben sich nun aber durchgerungen ihr neustes Meisterstück auch regulär zu veröffentlichen. „Intimacy“ ist am Ende ein echter Befreiungsschlag geworden. So elektro-verschwurbelt, wie im Opener „Ares“ hat man die Crew jedenfalls noch nicht erlebt. Und mit „Mercury“ wird dann ein beatlastiges Brett nachgelegt, das auch den letzten Hausbesetzer auf die Straße schickt. Im Pub angekommen genehmigt man sich dann erstmal einen Drink zum famosen „Halo“, führt ein bisschen Small Talk zu den flüsternden Lauten von „Biko“ und schickt sich an mit der famosen Über-Single „One Month Off“ endgültig dem Pulsschlag des Nachtlebens zu erliegen. So komisch es klingt: Blobloc-party.jpgc Party vertonen mit diesem Album die intime Vorstellung eines atemlosen Wochenendes. Dass sie es dabei immer wieder schaffen, den darin liegenden Widerspruch aufzulösen, ist mehr als nur bemerkenswert. Es zeigt, welche Möglichkeiten noch in dieser Gruppe schlummern. Also unbedingt dranbleiben. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von: alexander nickel-hopfengart