// fliegen zu können ist eine frage der technik

Fliegen zu können ist eine Frage der Technik. In einem bestimmten Winkel stoße ich meine Arme durch den Raum, und von neuem Auftrieb in der Luft gehalten, fliege ich durch den Himmel. Die Sonne sieht aus wie immer, und ich berühre einen ihrer gelben, sich zur Mitte hin verjüngenden Strahlen. Er ist gar nicht heiß […]

Fliegen zu können ist eine Frage der Technik. In einem bestimmten Winkel stoße ich meine Arme durch den Raum, und von neuem Auftrieb in der Luft gehalten, fliege ich durch den Himmel. Die Sonne sieht aus wie immer, und ich berühre einen ihrer gelben, sich zur Mitte hin verjüngenden Strahlen. Er ist gar nicht heiß und ionisch, sondern auf Rauhfasertapete aufgemalt, und plötzlich fällt mir das Wesen der Welt und des Seins wie Schuppen von den Augen.

Ich werde es nicht in Worte fassen, denke ich noch, damit würde ich bloß den Sinn verfälschen. Da reißt mich der Wecker mit seinem brutalen Briepen in die Wirklichkeit zurück; mit der Präzision eines Skalpells durchschneidet er meinen Tag. Um genau 9.10 Uhr werde ich wach, keine Minute früher, keine Minute später.

Nach dem Frühstück und der Fahrt hoch zum Hubland (im Bus haben sie heute eine zweite Etage eingeführt – ohne Boden) germanistisches Seminar, wo eine strebsame Brünette ihr Werk verliest. Der trockene Kommentar meines Sitznachbarn: Die muss erst noch lernen, dass mit dem kreative Output, der einem auf dem Klo immer überkommt, nicht das gemeint ist, was in der Schüssel landet. Ich lache laut und handele mir den rügenden Blick meines Profs ein. Das Seminar ‚Social Networking‘ sei nebenan, sagt er.

Wieder zuhause sitze ich in der Küche und lausche den Klagen meiner Freundin über die dummen Gespräche mit ihren Bekannten. „Ich will mich einfach mal wieder gescheit unterhalten… diese ganze Oberflächlichkeit kotzt mich nur noch an.“
Ich schweige, weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Schließlich frage ich sie, ob sie eine neue Brille habe. Sie verzieht nur ihr Gesicht und schüttelt enttäuscht den Kopf.

Abends geht es ran an die aktive Familienplanung. Sie ist da ziemlich forsch und will mindestens drei Kinder. Ich denke nur, meine Güte, nicht in diesem Leben. Sie weiß das, und hat einen tiefen Griff in die Trickkiste gemacht: Zum Geburtstag bekam ich von ihr eine Familienpackung Kondome geschenkt. Familienpackung Kondome? Ja, richtig gelesen, trotz Paradoxon. 120 Stück, alle undicht. Die habe ich dann ausgetauscht gegen richtige, sie weiß es nicht und ist weiterhin ganz gierig. Ich fühle mich etwas schlecht, aber im Leben zählen nunmal Ergebnisse.

Danach zufrieden einschlafen, und morgen aufstehen um 9.10 Uhr – nicht eine Minute früher, nicht eine später.


// text: dirk böhler // photo: luise aedtner