Ich sage nur vielleicht
An alle, die es noch nicht wussten: Die Semesterferien sind demnächst zu Ende. Ja, schöne Sch***e, habe ich mir auch gedacht. War das nicht erst gestern, dass ich mir nach den „unzähligen“ Klausuren eine „strenge Lernpause“ verordnen musste, um nicht ständig und überall durch weltfremdes und neunmalkluges Gelaber aufzufallen, was mir nicht nur Unverständnis und Häme in meinem Bekanntenkreis einbrachte, sondern nebenbei auch noch eine handfeste Beziehungskriese? Ach, Februar war das?
Tja, so kann es gehen. Eben noch die Freiheit genossen und erleichtert festgestellt, dass man sich beim einwöchigen Powerlernen doch keinen Burnout zugezogen hat, schon geht der Stress wieder los.
Trotz meines ausgefuchsten Planes, den Stoff fürs kommende HS in Form von Hörbüchern beim Einschlummern ganz spielerisch in mein Unterbewusstsein aufzunehmen und dem ungebremsten Willen, das vergangene Russischsemester an einem einzigen Vormittag „aufzufrischen“ weil ich die restliche Zeit dazu brauchen werde, mir endlich mal ein professorenkompatibeles Magisterarbeitsthema aus den Fingern zu saugen, überfällt mich Panik.
Da war ich mit meinem Semesterferienzeitmanagement doch mal wieder voll daneben gelegen. Habe ich nicht bis vor drei Tagen noch meinen gesamten Freundeskreis mit dauerschlechter Laune aus Gründen gähnender Langeweile terrorisiert? Wollte ich mich nicht sogar selbst zu ehrenamtlicher Arbeit verdonnern, um mal wieder zu wissen, wie es sich anfühlt, gebraucht zu werden?
Jetzt haben wir den Salat. Ich habe mich mal wieder heillos vertan, und der nun einsetzende Instinkt ist mir zwar mittlerweile vertraut und mit billigster Verhaltensbiologie auch leicht zu entschlüsseln, wirft in mir aber immer wieder die Frage auf, wie zur Hölle es meinen Vorfahren gelungen sein kann, den Fortbestand unserer Art mit so einer Arbeitseinstellung überhaupt zu sichern. Wie aus dem Biologiebuch (war das zehnte Klasse?) folgt nun: die klassische Übersprungshandlung in einer ihrer armseligsten Ausprägungen.
Natürlich mache ich angesichts des unmenschlichen Berges an Arbeit, der mir in den nächsten Tagen bevorsteht, nun keine Fehler mehr.
Nein, ich fange nicht sofort planlos an, mich knietief darin zu versenken, nene, ich rolle mich erst mal gemütlich zusammen unter der Decke des „vielleicht“. Gelernt ist gelernt. Für was ist man schließlich Geisteswissenschaftler? Ich sehe es in Anbetracht meiner rabenschwarzen beruflichen Perspektive geradezu als meine Pflicht an, mich immer wieder in äußerst brenzlige und völlig aussichtslose Situationen zu begeben, um dann im Angesicht meiner unzähligen, überdimensionalen Probleme in eine Art Totenstarre zu fallen.
Ähnliche Prozesse laufen im Gehirn eines Rauchers ab, der in einem unbedachten Moment erkennt, dass die Zigaretten ihn eines schönen Tages noch umbringen werden. Der steckt sich auch sofort eine an. Man kann zusammenfassend durchaus sagen, dass ich selbst im Angesicht des alle Lebensbereiche bedrohenden Supergaus noch eine Fähigkeit zum Aussitzen an den Tag legen kann, von der sich selbst unsere Kanzlerin mal eine Scheibe abschneiden könnte.
Jetzt darf man diese elegante Lauerstellung aber nicht mit Faulheit verwechseln. Es ist ja nicht so, dass ich und mit mir Millionen andere gemeine Aufschieber die Semesterferien nicht im Sinne der maximalen Wissensvermehrung geplant hätten. Allein wo kein Wille ist, ist eben auch kein Weg.
Vielleicht kennt der ein oder andere von euch dieses Problem. Natürlich werde ich es wie immer auf den letzten Drücker doch noch schaffen, mich auf das neue Semester vorzubereiten, es kostet mich halt eine komplette Woche Dauerlernen bis tief in die Nacht inklusive vernachlässigter Freunde, beleidigtem Partner und Nikotin bis in die Haarspitzen. Dann habe ich es gemacht, weil es halt einfach sein musste.
War das nicht auch mal anders gewesen? Man sagt das immer so leicht, dass man Germanistik, Soziologie oder Volkskunde studiert, am besten alles zusammen, und nach dem Studium einfach mal schaut was geht, eigentlich kann man ja eh alles machen.
Innendrin weiß man doch genau, was Sache ist: Man kann schon alles machen, aber halt nichts gescheit. Dafür braucht man nicht zu Studieren. Leidenschaft für ein Fach hin oder her, die späte Periode der Sangspruchdichtung hat mit dem Ernst des Lebens (der sich durchs Studieren auch nur hinauszögern lässt) nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Irgendwann war man doch mal stolz darauf gewesen, das zu machen was man will, und nicht das, was vernünftig wäre. Jetzt ist man nur noch feige. Die ganze Aufschieberei ist ein Trick, um sich selbst vorzugaukeln, man hätte keine Angst vor der Zukunft und brauche sich darauf auch gar nicht weiter vorzubereiten. Weil doch sowieso irgendwie wieder alles klappen wird. Es muss doch!
Und so lebe ich vor mich hin und schiebe auf und verdränge und sage immer „vielleicht“, weil wenn man etwas nur ein bisschen macht, dann ist das Scheitern auch nur ein bisschen schlimm. Ich jammere ein wenig über meine Studienwahl und das ganze System, und stecke meine Energie dann doch lieber in meinen Sport und unzählige Nebenjobs. Alles andere ist viel zu unsicher. Keiner will untergehen.
So was ist traurig und schade, und es ist gleichermaßen traurig und beruhigend zu wissen, dass es unzähligen Studenten, aber nicht nur denen, genauso geht wie mir. Aber was soll man da jetzt weiter drüber nachdenken? Da ist die Gefahr viel zu groß an einen Punkt zu gelangen, an dem man weiß, dass es Zeit ist zu Handeln, und zwar trotz aller Angst vor dem Scheitern und dem tiefen Wissen, den Karren nicht erst mit der Studienwahl in den Dreck gefahren zu haben. Aber gerade jetzt über so ein vertracktes Thema nachdenken? Das macht mich jetzt aber nervös. Vielleicht morgen. Oder?
// anna milanovic
UND WAS NUN?