Heute ist ja alles irgendwie retro. Auch in der Musik. Ist ja auch ziemlich schwer im Jahre 2008 noch etwas wirklich Neues zu Stande zu bringen. Ich meine, wie soll das auch gehen? Selbst Geräusche von Presslufthämmern gelten ja heutzutage als Musik. Und man kann sich den ganzen Einflüssen ja eh nicht entziehen. So wundert es letztlich auch nicht, dass die Einflüsse von damals nun selbst ihr Stück vom Kuchen fordern. Im schlimmsten Fall kommt dabei so was Halbgares raus, wie der letzte Output der bis dato legendären Gang Of Four. Da fehlte einfach der letzte Kick. Der Gegenwarts-Bezug. Und die Eier. Was (Not Was) begehen diesen Fehler nicht. Die Art-Funk-Legenden wirken auf ihrem Werk „Boo!“ (6,1/10) schlicht zeitlos. Auch wenn mancher Song vielleicht etwas zu stark auf radiotaugliches Format getrimmt wurde, kann man sich ohne weiteres in den entspannten Grooves dieser Platte verlieren. Mehr Art-Punk, als Art-Funk fabrizieren derweil Clinic auf ihrem neuesten Output „Do It!“. Da möchte man sich bedröhnt auf die Tanzfläche kullern und hektisch am Boden herumzappeln, wie ein hyperaktives Eichhörnchen. Ich bin mir sicher, alle unverstandenen Künstler dieser Welt werden sie für diese Soundentwürfe umarmen. Ich kann mich gar nicht mehr beruhigen und gebe 7,3 von 10 bunten Grinse-Smileys. Widme mich anschließend dann aber direkt dem elektronischen Gegenstück von Clinic. Das Ganze hört auf den Namen Freezepop und versetzt dir mit seinen rhythmisch verzerrten Elektrogefiebse und der glasklaren Gesangsstimme einen Schlag in die Fresse. Disharmonische Klänge hin oder her. Die Singstimme auf „Future Future Future Perfect“ (5,1/10) sorgt in ihrer Piepsigkeit trotzdem irgendwie für einen faden Beigeschmack. Strahlt aber hin und wieder (Pop Music Is Not A Crime“ & Get Drunk With Milk“) doch ein seltsam entrücktes Italo-Disco Flair der Marke Sally Shapiro aus. Unentschlossen wandere ich schließlich weiter in Richtung Mono & Nikitaman. Die versuchen sich auf dem Drittwerk „Ausser Kontrolle“ (5,6/10) an einem bewährten Stil-Mix aus Seedscher Chill-Atmosphäre und Mellow Markscher Polit-Attitüde. Weltbewegend ist das nicht. Macht aber trotzdem über weite Strecken viel Spaß und dürfte im Sommer auf den angesagten Festivalcampingplätzen für allerhand Grinsebacken sorgen. Firewater sind mit ihrem Polka-lastigen Sounds auf „The Golden Hour“ (7,1/10) ebenfalls prädistiniert, die bierseligen Seelen zufrieden zu stellen. Aber Vorsicht! Hinter den Songs versteckt sich eine tiefsinnige und äußerst zynische Lyrik, die dem Album eine kaum für möglich gehaltene Tiefe verleiht. Wem die einschlägigen Balkan-Partys aufgrund ihrer Sauf-Stimmung gehörig auf den Sack gehen, findet hier eine glänzende Alternative zur Wodka-Orgie. Ebenfalls sehr gelungen ist der überraschend poppige Neuling von den Young Knives. Schon der Opener „Fit 4 You“ präsentiert die Band im hymnischen Gewand und läutet ein wahres Indie-Hitfestival ein. Ich hör die Indie-Disco-Tanzflure jetzt schon laut aufschreien, wenn „Superabundance“ (6,9/10) auch hierzulande einschlägt. Etwas gediegener lassen es Hey Hey My My (6,3/10) auf ihrem selbst betiteltem Werk angehen. So, als würden Blonde Redhead plötzlich ein paar Stücke von den Beatles covern, schlängelt sich die Band durch poppige Indie-Folk-Songs mit Herz. Auf Dauer kann man das entweder ermüdend oder bezaubernd finden. Je nachdem, ob man gerade im Bett liegt oder auf einer berauschenden Party abhängt. Je nachdem ob man gerade die Freundin vermisst oder verliebt in der Ecke rumsitzt und knutscht. Je nachdem ob man gerade eine einsame Straße entlang fährt oder mit durchdrehenden Rädern auf eine Klippe zusteuert. Und was…? Ihr meint, ich verlier den Faden? Vielleicht habt ihr Recht. Also zurück zur Musik. Besser gesagt zu Scott Matthew (7,0/10). Der erinnert auf seinem selbst betitelten Album stark an Devendra Banhart, entgeht aber der Gefahr, die Platte zu weit ausufern zu lassen. Stattdessen präsentiert er uns zärtliche, von Geigen getragene, Popmomente, die schon auf dem Bavarian Open allerhand Herzen gebrochen haben. Man spürt plötzlich irgendwo im Dunkeln ein Licht aufblitzen und geht unbeirrt darauf zu. Diese Musik ist ein Wegweiser für die verlorenen Herzen unserer Zeit. Und scheiße, bevor ich jetzt noch kitschiger rumeiere, werden erst einmal meine Ohren ordentlich durchgespült. Walls Of Jericho sind nämlich zurück Doch was ist das? Ich habe eigentlich mit einer brachialen Gitarrenbreitseite gerechnet und jetzt stapeln die auf ihrer neuen EP „Redemption“ (5,3/10) plötzlich eine Melodie nach der anderen. Weiter geht’s… Song 2. Ich will jetzt Schreie hören, doch die Balladendichte hält an. Was geht denn hier ab? Ist das wirklich ihr ernst? Auf drei der Tracks singt dann auch noch Corey Taylor von Slipknot mit, der sich ja schon mit seiner Band Stone Sour an gemäßigteren Tönen versuchte. Jedenfalls… die Platte hält den zurück gelehnten Balladen-Pegel über die volle Länge durch. Das kann man entweder mutig oder ermüdend finden. Ich bin hin- und hergerissen, zumindest aber überrascht. Das Gefühl hält allerdings nicht lange an, denn anschließend fluten die Emo-Pop-Mädels von Paramore meine Gehörgänge. Deren Album „Riot!“ (5,7/10) klingt mehr nach Roxette, als nach Aufstand. Trotzdem kann man ihnen bei dem hohen Hitlevel die poppige Produktion nicht wirklich vorwerfen. Dafür zünden Songs, wie „That´s What You Get“ und „For A Pessimist I´m Pretty Optimistic” einfach zu sehr. Abseits des Mitsingpotenzial bleibt allerdings nicht mehr als eine leere Hülle, die sich allein aufgrund des Publikumszuspruchs zu einem voluminösen Ganzen aufbläst. Das ist schade, aber mal ehrlich: Es gibt schlimmeres. Zum Beispiel die unsäglichen Streberbrillen auf dem Cover von Noze´s neuem Album „Songs On The Rocks“ (5,1/10). Die Musik dazu klingt dann auch, als wollten sie die nächsten Hot Chip werden. Trotzdem haben sie mit ihren charmanten Elektro-Piano-Songs der Marke „Danse Avec Moi“ und „Remember Love“ zwei durchaus gelungene Hüftschwinger im Gepäck. Der Rest läuft leider etwas gleichförmig direkt in Richtung Elektro-Pop-Niemansland und wurde nie mehr gesehen. Schön, dass uns Tom Mansi & The Icebreakers mit ihrer Dampflock (auf dem Cover und zu Beginn des ersten Songs) wieder zurück in die Metropolen der Welt kutschieren. „Love On The Rails“ (5,5/10) ist ein swingender Bastard aus Jazz, Folk, Blues und Rock´n´Roll. Das ist Musik. wie geschaffen für verrauchte Spelunken. Schade nur, dass die inzwischen alle Rauchverbot eingeführt haben. Kurz gesagt: Die Musik klingt zwar sehr versiert, wirkt aber leider etwas angestaubt. Und damit Schluss für heute. Wir lesen uns beim nächsten Zuckerbeat.
// von alexander nickel-hopfengart
UND WAS NUN?