// aufgelesen vol. 16 – „effektivität steigern durch situativ bedingtes richtiges handeln“

Wenn man nicht so genau hinguckt, könnte man wirklich auf die Idee kommen, dass uns Douglas Coupland in geradezu schwindeleregender Geschwindigekit einen Roman nach dem Anderen vor den Latz knallt. Sein neuestes Baby hört auf den Namen „JPod“, ist aber eigentlich schon fünf Jahre alt. Die Übersetzung hat ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen, was […]

douglas_coupland_jpodWenn man nicht so genau hinguckt, könnte man wirklich auf die Idee kommen, dass uns Douglas Coupland in geradezu schwindeleregender Geschwindigekit einen Roman nach dem Anderen vor den Latz knallt. Sein neuestes Baby hört auf den Namen „JPod“, ist aber eigentlich schon fünf Jahre alt. Die Übersetzung hat ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen, was dazu führt, dass sein gefeiertes Werk jetzt erstmals auf Deutsch erscheint. Gelohnt hat sich die lange Wartezeit darüber hinaus auf alle Fälle. Die Geschichte dreht sich um sechs Angestellte einer Computerspiel-Entwicklungsfirma, die es satt haben, dass ihnen ihr Arbeitgeber vorgeben möchte, was für Gimmicks sie in ihre Spiele einbauen sollen. Darüber hinaus müssen sich die werten Kollegen aber auch noch mit illegalen Einwanderern in den heimischen vier Wänden, fremdgehenden Vätern und ein Haschisch-Plantagen herumschlagen. Mal abgesehen von der abgefahrenen Geschichte, die exakt den Nerv einer Generation des Schnelllebigen trifft, ist dem „Tropen“-Verlag auch eine grafische Meisterleistung geglückt. Das ganze Buch ist ein gefundenes Fressen für jeden Typographen. Die chaotischen Aspekte der Geschichte spiegeln sich famos im sich ständig verändernden Schriftbild wieder. Das belebt nicht nur die Phantasie, das schafft auch völlig neue Möglichkeiten, wenn plötzlich bestimmte Schlagworte in bester Pop Art-Manier auf den Leser einprasseln. So manche Kalorientabelle zu Tortilla-Snacks und Konsorten hätte man in diesem Zusammenhang vielleicht auch außen vor lassen können. Trotzdem beeindruckt es immer wieder, wie Douglas mit gängigen Schemata bricht, ohne dass sein Roman auseinander zu fleddern beginnt. Alles in allem ist „JPod“ ein beeindruckendes Buch über die rasante Flut an Informationen, die tagtäglich über uns Menschen herein bricht.

daniel-h-wilsonEine bemerkenswerte Zukunftsvision hat der Autor Daniel H. Wilson mit seinem Roman „Robocalypse“ entworfen. Fans von Serien a la „Battlestar Galactica“ oder dessen Spin Off „Caprica“ werden ihre helle Freude an diesem Roman haben. Das Buch dreht sich um künstliche Intelligenz – es wirft die Frage auf, was passiert, wenn Maschinen plötzlich feststellen, dass sie ihrem Schöpfer in vielerlei Hinsicht überlegen sind. Ausgangspunkt des Ganzen ist das Labor eines gewissen Professor Wassermann, der eines Tages feststellen muss, dass sich ein von ihm erschaffenes Wesen auf einmal nicht mehr vernichten lassen möchte. Stattdessen beginnt es, sich die Maschinen der ganzen Welt Untertan zu machen und setzt sie gegen die Menschheit ein. In diesem Zusammenhang folgen wir schließlich einer Gruppe von Aufständischen, die sich zum Kampf gegen den übermächtigen Feind entschlossen haben. Kein Wunder also, dass sich Steven Spielberg bereits vor dem Release des Buches die Rechte an der Geschichte sicherte. „Robocalypse“ ist wie geschaffen, um daraus einen fetten, actin-beladenen Hollywood-Schinken zu fabrizieren. Der Roman hat allerdings auch einige Schwachstellen in petto, die vorwiegend daraus bestehen, dass mit Ausnahme der Hauptpersonen sehr viele zweidimensionale Charaktere um die Ecke biegen. Das sorgt zwar für ein gehobenes Maß an humorvollen Momenten, als Leser hätte man sich aber dennoch eine Spur mehr Nachhaltigkeit gewünscht, gerade weil das Thema so brisant und hochaktuell ist. Stattdessen funktioniert dieser Roman ähnlich wie der Film „Starship Troopers“, dessen im Grunde genommen intelligenter Ansatz vom Massenpublikum über weite Strecken überhaupt nicht verstanden wurde. Am Ende „verballert“ Daniel H. Wilson dadurch zwar im wahrsten Sinne des Wortes die Chance einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, sorgt aber mit seinen zahlreichen Seitenhieben auf die Popkultur für rasante und humoristische Momente, die auch über die Distanz von 450 Seiten keine Langeweile aufkommen lassen.

metastasenEin äußert mutiges Werk haben derweil die beiden Journalisten Gianluigi Nuzzi und Claudio Antonelli auf den Markt geworfen. In „Metastasen“ dreht sich alles um einen gewissen Giuseppe Di Bella, der rechten Hand des Kopfes der `Ndrangheta´, der im Jahre 2009 seine Frau verlor. Er hat sich am Totenbett dazu entschlossen, der mafiösen Organisation den Rücken zuzukehren und reinen Tisch zu machen. In diesem Zusammenhang enthüllt er dem „Libero“-Prozessbeobachter Antonelli und „Vatikan AG“-Verfasser Nuzzi zahlreiche Details über das Innenleben der Organisation. Gerade die persönlichen Eindrücke des Protagonisten sorgen dafür, dass man am Ende das Gefühl hat, einen sehr tiefen Einblick in eine Organisation vermittelt bekommen zu haben, die sonst vollständig im Verborgenen agiert. Der Leser erhält Klarheit darüber, wie die Geldwäsche organisiert wird (zahlreiche Wirtschaftszweige werden hier involviert, u.a. erfolgen Investitionen in Restaurants, Discos und Immobilien). Darüber hinaus erfährt man mehr über Giuseppe Di Bella Entschluss auszusteigen („Weil meine Frau immer versucht hat mich auf den rechten Weg zurückzubringen. Ich hatte ihr versprochen, da raus zu kommen. Als sie erkrankte, habe ich ihr versprochen, ganz auszusteigen“) und über die Motivation der Organisations-Mitglieder (Stichwort: „Blutsverwandtschaft“). Geradezu erschreckend gestalten sich in diesem Zusammenhang Andreas Ulrichs ebenfalls hinzugefügten Ausführungen darüber, in welchem Maße die Mafia bereits seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Fäden spinnt. „Metastasen“ ist am Ende nicht nur ein spannendes Buch, sondern auch äußert verständlich getextet, was dazu führt, dass beim Durchschmökern dieses „Sachbuchs“ keine Sekunde langweilig aufkommt.

systemneustart-william_gibsonUnd mit Verschwörungsgeschichten ist es ja immer so eine Sache. Man kann sich darauf einlassen, allerdings läuft man dann sehr schnell Gefahr, als irrationaler Nerd bloßgestellt zu werden oder man begegnet der ganzen Geschichte mit einem gehörigen Portion Skepsis, was dazu führt, dass viele Argumente beiseite geschoben werden, die eigentlich stichhaltig sind. Dem Autor William Gibson ist es gelungen all das Klischeehafte an Verschwörungstheorien aus dem Blickfeld zu schubsen, indem er seine Geschichte einfach vollkommen ins Absurde schlittern lässt. Wer bitteschön kommt denn auf die Idee einen durch geknallten Junkie und einen abgefuckten Rocker zum Spionieren los zu schicken. Noch dazu geht’s dabei um ein geheimes Mode-Label (bzw. eine bestimmte Designerin), das sich anschickt, ganz spezielle Hosen im Military-Look auf den Markt zu schmeißen. Diese wiederum sollen hinterher dann im großen Stil an das Militär verkloppt werden. Hollis (der Rocksänger) und Milgrim (der Junkie) machen sich also daran, das große Mysterium zu lüften und konfrontieren den Leser auf diese Weise äußert elegant mit dem eigenen Fanatismus für bestimmte Produkte und Markenklamotten. Sind wir am Ende doch alle Teil einer groß angelegten Verschwörung? Nach Genuss dieses Buches fühlt man sich zumindest ein bisschen dabei ertappt, bestimmten Marktmechanismen allzu blind links zu folgen. Eben das macht „System Neustart“ aber am Ende so empfehlenswert. Außerdem sei bei dieser Gelegenheit auch auf die beiden Romane „Mustererkennung“ und „Quellcode“ hingewiesen, die zusammen mit diesem Werk eine imposante Trilogie bilden.

driftWas dabei herauskommt, wenn man sich zu sehr vom Herzschmerz vereinnahmen lässt, kann man derweil in Michel Bozikovics aktuellen Roman „Drift“ nachlesen. Da macht sich der 19jährige Julien mit der Karre seiner Mutter kurzerhand auf nach Kroatien an die Front. Es beginnt eine düstere Reise ins alte Jugoslawien, die den Protagonisten immer auf dem schmalen Grad zwischen absoluter Hoffnungslosigkeit und einem Licht am Ende des Tunnels tänzeln lässt. Er schlägt sich schließlich als Scharfschütze durch, was zehn Jahre später einen gewissen Martin auf seine Lebensgeschichte aufmerksam macht. Der enthusiastische, aber arbeitslose Journalist schnappt sich Julien, um damit seiner Karriere einen zweiten Frühling zu verschaffen. Die Schicksale der beiden Protagonisten sind auf diese Weise untrennbar miteinander verbunden. Und so geht es den Beiden am Ende vorwiegend darum, die Dinge, die in ihrem Leben falsch gelaufen sind, wieder gerade zu rücken. Ihr Ziel ist es, den ganzen Scheißhaufen, der sich vor ihrer Haustür ausgebreitet hat, einfach wegzuschubsen und dem eigenen Dasein einen neuen Sinn zu verleihen. Man könnte das ganze auch sehr gut mit den Worten von Douglas Coupland ausdrücken, die er in „Generation X“ auf diese (oder ähnliche) Weise verwendete: Entweder entstehen aus deinem Leben Geschichten oder es gibt einfach keinen Weg hindurch. Und damit schließt sich der Kreis. Bis zur nächsten Lesetour.